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Gestoppte Impfprogramme

Mehr als 100 Millionen Kinder durch Masern gefährdet

Weil viele Länder im Kampf gegen das Coronavirus ihre Impfprogramme zurückfahren, könnten Millionen Kinder weltweit an Masern erkranken.
Theo Dingermann
15.04.2020  13:30 Uhr
Mehr als 100 Millionen Kinder durch Masern gefährdet

Gesundheitsexperten der Vereinten Nationen warnen, dass Entwicklungsländer die von der WHO und von Unicef mitgetragene Masern- und Röteln-Initiative (M&RI) einstellen könnten, um das Risiko der Verbreitung des neuen Coravirus zu verringern. Zwar kann es zum Schutz vor einer Ansteckung durch das SARS-CoV-2-Virus erforderlich werden, Impfkampagnen zu unterbrechen. Allerdings dürfen die »Kinder dabei auf Dauer nicht zu kurz kommen«.

Bisher haben bereits 24 Schwellenländer, darunter Mexiko, Nigeria und Kambodscha, solche Programme gestoppt oder verschoben. Im Gegensatz zu wohlhabenderen Ländern, in denen in der Regel Impftermine vereinbart werden, um routinemäßige Impfungen durchführen zu lassen, werden in Schwellenländern Säuglingen und Kindern Massenimpfungen in kommunalen Einrichtungen wie Marktplätzen, Schulen, Kirchen oder Moscheen zu bestimmten Terminen geimpft.

Dr. Robin Nandy, der Leiter der Impfabteilung von Unicef, räumte ein, dass es derzeit heikel und schwierig sei, einerseits Maßnahmen zur Eindämmung der aktuellen Pandemie sicherzustellen und andererseits die wichtigen vorbeugenden Maßnahmen zur Verhütung schwerer, aber vermeidbarer Infektionskrankheiten zu gewährleisten.

»Bei unserem Bestreben, Kinder in den ärmeren Ländern so umfassend wie möglich zu impfen, dürfen wir nicht zur Verbreitung von Covid-19 beitragen«, sagt Nandy. »Andererseits wollen wir nicht, dass ein Land, das sich von der Pandemie erholt hat, danach mit einem Ausbruch von Masern oder Röteln zu kämpfen hat.«

Neue Impfleitlinie der WHO

Laut Nandy haben die Organisationen des öffentlichen Gesundheitswesens einer neuen Impfrichtlinie der WHO zugestimmt. Danach werden Massenimpfungen solange befürwortet, wie dies sicher möglich ist. Bestehen aber berechtigte Bedenken hinsichtlich der Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus, wodurch auch die Sicherheit der Mitarbeiter nicht mehr zu gewährleisten ist, sollten die Impfprogramme vorübergehend ausgesetzt werden.

Die neue Leitlinie unterstreicht nachdrücklich die Wichtigkeit der routinemäßigen Impfung von Kindern im Rahmen der Erbringung von Grundversorgungsleistungen. Sollten daher Impfungen tatsächlich ausgesetzt werden müssen, müssen so schnell wie möglich Nachholimpfungen organisiert werden, wobei den am stärksten gefährdeten Gruppen Vorrang einzuräumen ist.

»Wir müssen Unterbrechungen der Massenimpfprogramme akzeptieren, ob wir wollen oder nicht«, sagte Nandy. Gleichzeitig fordert er die Länder auf, für eine Wiederaufnahme der Impfprogramme vorbereitet zu sein und die Programme wieder aufzunehmen, sobald eine Lockerung der Covid-19-Einschränkungen möglich ist.

Jedes Jahr infizieren sich mit Masern weltweit rund 20 Millionen Menschen, darunter vor allem Kleinkinder. Obwohl genügend Impfstoff zur Verfügung steht, ist die hochansteckende Krankheit seit einigen Jahren wieder auf dem Vormarsch. Dies liegt nicht zuletzt auch an den vielen Impfgegnern in den westlichen Staaten, so Nandy.

Länder wie Brasilien, Bangladesch, die Demokratische Republik Kongo, der Südsudan, Nigeria, die Ukraine und Kasachstan kämpfen derzeit mit Masern-Epidemien. Zu den Ländern, die ihre Impfprogramme aufgeschoben haben, gehören Bolivien, Tschad, Chile, Kolumbien, Dschibuti, die Dominikanische Republik, Äthiopien, Honduras, Libanon, Nepal, Paraguay, Somalia, Südsudan und Usbekistan.

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