Lieferengpässe: EU soll mehr koordinieren |
Jennifer Evans |
01.12.2020 15:30 Uhr |
Die Coronavirus-Krise hat die Lieferengpass-Problematik deutlich verschärft und das Thema in den Fokus gerückt – auch auf EU-Ebene. / Foto: shutterstock/Primus1
Die Anzahl der hierzulande nicht verfügbaren Medikamente, die Krankenkassen per Rabattvertrag für ihre Versicherten vorgesehen hatten, ist in der ersten Jahreshälfte 2020 um 68 Prozent auf 12,1 Millionen Packungen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum (7,2 Millionen) gestiegen. Nach Angaben der ABDA halten rund 84 Prozent der selbstständigen Apotheker in Deutschland die Lieferprobleme für eine der größten Herausforderungen ihrer täglichen Arbeit. Insgesamt investierten sie 10 Prozent ihrer täglichen Arbeitszeit dafür, Lösungen für die Patienten zu finden, so ABDA-Vize Mathias Arnold heute im Rahmen der ABDA-Fachkonferenz zum Thema Lieferengpässe. Er forderte unter anderem, Apothekern in solchen Fällen künftig die Möglichkeiten zum Austausch einzuräumen sowie den EU-Mitgliedsstaaten die nötige Freiheit für entsprechende Regularien zu geben.
Als Zeitverschwendung für Heilberufler bewertet auch der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese die Probleme rund um die Arzneimittel-Lieferengpässe. Auf EU-Ebene habe das Thema inzwischen Priorität, hob er hervor. Die Coronavirus-Pandemie habe die Schwierigkeiten in den Fokus gerückt. Liese plädiert dafür, dass es immer mindestens zwei Produktionsstätten für einen versorgungsrelevanten Wirkstoff geben sollte – einer davon mit Sitz in Europa. Der Preis eines Medikaments könne in Zukunft nicht mehr allein das entscheidende Kriterium sein. Gleichzeitig dürften aber übertriebene Geschäftsmodelle keine Chance haben. Die nächsten Schritte erforderten daher unter anderem eine enge Zusammenarbeit mit den pharmazeutischen Unternehmen, so der EU-Politiker. Kai Joachimsen, Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband der pharmazeutischen Industrie (BPI) zeigte sich zuversichtlich, gemeinsame Lösungen zu finden.
Wie zentral eine Diversifizierung der Lieferketten und Produktionsstätten in Zukunft ist, unterstrich auch Jutta Paulus, die für die Grünen im Europäischen Parlament sitzt. Wichtig ist in ihren Augen vor allem, dass die EU-Mitgliedsstaaten nun Hand in Hand und solidarisch agieren. Dies trage etwa beim gemeinsamen Kauf von Arzneimitteln zu einer besseren Verhandlungsposition bei. Für unglücklich hält sie als Apothekerin vor diesem Hintergrund allerdings multilinguale Packungen. Ihre Erfahrungen mit Patienten in der Apotheke haben demnach gezeigt, dass viel Skepsis hinsichtlich der Qualität solcher Präparate herrscht. Außerdem pocht Paulus darauf, dass die EU-Staaten sich auf eine gemeinsame Definition von Engpässen sowie entsprechende Strategien einigen. »Wir brauchen hier einen holistischen Ansatz«, so die Europaabgeordnete.
Die Aufgabe der EU sieht Paulo Duarte vom portugiesischen Apothekerverband und amtierender PGEU-Präsident vornehmlich in der Koordination und im Informationsaustausch und warnt vor zu viel zusätzlicher Bürokratie. Es müsse demnächst lokale und neue Wege geben, um den Engpässen vor Ort zu begegnen. »Die Apotheker sind bereit«, betonte er.
Arnold wies auf die zunehmende Bedeutung von Gesundheitspolitik auf EU-Ebene hin. »Diese historische Chance sollten wir nutzen.« Vor kurzem ist der ABDA-Vize zum Vizepräsident des europäischen Apothekerverbands PGEU gewählt worden. Ab 2021 wird er die Interessen von mehr als 400.000 Apothekern aus mehr als 30 europäischen Ländern vertreten.
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