Lehren aus der Pandemie |
FFP2-Masken schützen effektiv vor Ansteckungen mit SARS-CoV-2 – wenn sie richtig getragen werden: Mund und Nase müssen bedeckt sein und die Maske muss eng anliegen. / © Adobe Stock/PixelboxStockFootage
Insbesondere zu Beginn der Pandemie, als erst sehr wenige Menschen eine Immunität gegen den neuen Erreger aufgebaut hatten, waren nicht pharmazeutische Interventionen (NPI) das einzige Mittel zur Eindämmung des Infektionsgeschehens: Abstands- und Hygieneregeln, Kontaktbeschränkungen, das Tragen von Schutzmasken, Schnelltests und Quarantäne. Das »Flachhalten der Kurve« war unerlässlich, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden. Einzelne oder auch alle NPI waren in Teilen der Bevölkerung äußerst unbeliebt und ihre Wirksamkeit wurde nicht zuletzt deshalb immer wieder infrage gestellt.
Zur Aufarbeitung der Pandemie zählt daher auch auszuwerten, wie gut die einzelnen NPI ihren Zweck erfüllt haben und Ansteckungen verhindern konnten. Das ist auch mit Blick auf eine kommende Pandemie wichtig, denn die grundsätzliche Situation, dass man die rasche Ausbreitung eines Erregers in der Bevölkerung eindämmen muss, ohne dafür adäquate pharmakologische Mittel zur Verfügung zu haben, wird bei jeder neuen Pandemie mindestens zu Beginn dieselbe sein.
Besprechungen und Konferenzen finden seit der Pandemie häufig (auch) online statt. / © Adobe Stock/Andrey Popov
In Folge 4 der neuen Staffel des Podcasts »Das Coronavirus-Update« von NDR Info gehen die beiden Wissenschaftsjournalistinnen Korinna Hennig und Daniela Remus der Frage nach der Effektivität der NPI nach. Sie erinnern zunächst daran, dass zu Beginn der Pandemie ein exponentieller Anstieg der Fallzahlen verhindert werden musste. Die Reproduktionszahl R, die angibt, wie viele Personen ein Infizierter ansteckt, wurde zunächst auf 2,4 bis 3,3 geschätzt. Ohne Eindämmungsmaßnahmen wäre sehr schnell die gesamte Bevölkerung infiziert gewesen.
Die Notwendigkeit, solche Maßnahmen rasch zu ergreifen, ohne dass es zu diesem Zeitpunkt schon direkte Evidenz geben kann, wird auch bei künftigen Pandemien gegeben sein. Direkte Evidenz für die Wirksamkeit von Schutzmasken wäre etwa eine Studie, in der eine Hälfte der Probanden Maske trägt und die andere nicht. Es leuchtet unmittelbar ein, dass eine solche Studie bei einem Erreger mit potenziell tödlichem Verlauf nicht möglich ist.
Professor Dr. Jörg Meerpohl, Evidenzforscher an der Universität Freiburg, betont aber im Podcast: »Absence of evidence is not evidence of absence.« Soll heißen: Bloß, weil in der vorhandenen limitierten Evidenz keine eindeutigen Effekte gesehen wurden, bedeute das nicht zwingend, dass eine Maßnahme nicht wirkt. Häufig gebe es indirekte Evidenz, etwa Analogieschlüsse von anderen respiratorischen Viren. Wie effektiv die NPI waren, zeigt sich auch daran, dass die Zirkulation anderer Atemwegserreger wie dem Respiratorischen Synzytialvirus und Influenzaviren stark reduziert war. So fiel in den Wintern 2020/2021 und 2021/2022 die Grippewelle vollständig aus.
Ob die einzelnen NPI in der Coronapandemie effektiv waren, hat rückblickend die britische Royal Society untersucht (DOI: 10.1098/rsta.2023.0211). Selbst im Nachhinein sind die Effektstärken der einzelnen Maßnahmen aber kaum zu ermitteln, da meistens mehrere davon parallel ergriffen wurden. Professor Dr. Lars Schaade, während der Pandemie Vizepräsident des Robert-Koch-Instituts (RKI) und mittlerweile RKI-Präsident, sagt dazu im Podcast: »Jede einzelne Maßnahme bringt 10 bis 20 Prozent, vielleicht 30 Prozent, viel mehr aber auch nicht. Der eigentliche Effekt, der letztlich den R-Wert senkt und damit zur Verlangsamung der Übertragung führt, ergibt sich daraus, dass sich die Einzeleffekte multiplizieren.« Dies nennt man Multilayer-Prinzip.
Getestet, geimpft, genesen: Unter Anwendung der 3G-Regel wurden nach und nach wieder öffentliche Veranstaltungen möglich. Wer positiv getestet war, musste zu Hause bleiben. / © Adobe Stock/okrasiuk
Laut dem Bericht der Royal Society waren Maßnahmen zur Kontaktreduktion am wirkungsvollsten zur Eindämmung der Infektionen, und zwar umso mehr, je strenger sie waren. Professor Dr. Dirk Brockmann, Modellierer an der TU Dresden, verdeutlicht den Effekt der Reduktion von Gruppengrößen an einem Beispiel. Bei einer Gruppe von zehn Personen in einem Raum ergeben sich 45 Ansteckungsmöglichkeiten: Jede Person kann jede andere Person infizieren; allerdings sind ein Kontakt von Person A mit Person B und ein Kontakt von Person B mit Person A identisch, sodass man das Ganze durch 2 teilen muss: 10 x 9 ÷ 2 = 45 Infektionsmöglichkeiten. Teilt man die Gruppe in zwei Hälften auf, ergeben sich für die dann nur noch fünf Personen jeweils zehn Infektionsmöglichkeiten (5 x 4 ÷ 2 = 10), bezogen auf die ursprünglich zehn Personen 20 (2 x 5 x 4 ÷ 2 = 10). Durch Halbierung der Gruppengröße wird somit die Zahl der Infektionsmöglichkeiten mehr als halbiert.
Auch Masken konnten Ansteckungen verhindern, und zwar FFP2-Masken besser als OP-Masken. Dabei war der Fremdschutz höher als der Eigenschutz. SARS-CoV-2 ist unter anderem über Aerosole übertragbar. Da sich Aerosole in Innenräumen sehr schnell verteilen, konnten sich auch Personen anstecken, die sich weit entfernt von einer infizierten Person aufgehalten hatten. Lüftungsanlagen konnten das nur bedingt verhindern.
Allerdings hängt die Effektivität einer Atemschutzmaske stark davon ab, ob sie richtig getragen wird. Bekanntermaßen soll sie Mund und Nase vollständig bedecken, regelmäßig gewechselt und nicht von innen angefasst werden. Da hierbei viele Fehler gemacht wurden, sei das Masketragen in Deutschland auf Bevölkerungsebene nicht sehr effektiv gewesen, heißt es im Podcast.
Antigen-Schnelltests waren ebenfalls sehr wirksam, um Infektionen zu entdecken und Ansteckungen zu vermeiden – aber nur, wenn sich positiv getestete Personen in Quarantäne begaben. Gesteigert wurde die Effizienz der Tests noch durch die Kombination mit Apps wie der Corona-Warn-App. Bei einem neuen Pandemieerreger sollten Tests daher wieder genutzt werden, auch um womöglich mehr Kontakte zulassen zu können, lautet das Fazit von Hennig und Remus.