Lehren aus dem Paxlovid-Fall |
Um es vorwegzusagen: Dem Apotheker kommt nicht die Rolle zu, dem Patienten eine mündliche Erlaubnis oder gar Empfehlung zu geben, ein Medikament auch nach dem auf der Verpackung aufgedruckten Verfallstermin zu benutzen. Auch wenn er – durch seine Kenntnisse in der pharmazeutischen Chemie – eine längere als die erlaubte Verwendung gut begründen könnte.
Wie die Beispiele Tamiflu und Paxlovid zeigen, kann in besonderen Situationen die Haltbarkeit aber »von Amts wegen« verlängert werden.
Wie ist die Verlängerung der Haltbarkeit angesichts der regulatorischen Vorgaben möglich? Nicht einfach, obgleich Untersuchungen von Arzneimitteln außerhalb von regelhaften, wie oben beschriebenen Studien durchaus zeigen, dass Arzneimittel länger haltbar sein können. Das Problem bei weit über die Haltbarkeitsdauer hinausgehenden Arzneimitteln ist, dass sie nicht so kontrolliert gelagert wurden, wie es die ICH-Richtlinie Q1A vorsieht, das heißt, es fehlen überall die Aufbewahrungsarten. Dafür sind es Real-Life-Bedingungen und deshalb wertvoll. Das amerikanische und andere internationale Militärs führen entsprechende Studien durch, da man für den Verteidigungsfall eine Menge Arzneimittel vorrätig halten will, die unter normalen Bedingungen nicht oder kaum benötigt werden.
Das amerikanische Verteidigungsministerium hat bereits 1986 das »Shelf Life Extension Program« aufgelegt (12, 13), um die Frequenz der Neubeschaffungen von etwa 120 Arzneimitteln zu senken. Dies ist möglich, da man den Gehalt der Arzneimittel bei der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) regelmäßig analysiert.
Ähnliche Untersuchungen finden auch bei der deutschen Bundeswehr statt. Ergebnisse stehen der Öffentlichkeit aber nicht zur Verfügung.
Um ein genaueres Bild zu erhalten, untersuchen wir am Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung (IBMP), Nürnberg-Heroldsberg mithilfe der eigenen PEAKStab-Sammlung Arzneimittel, die bei Patienten über fünf Jahre hinaus gelagert wurden.
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Verlässt das Arzneimittel die Herstellerfirma in Richtung Großhändler und Apotheke, ist eine Lagerung bei ausreichend definierten Bedingungen garantiert. Nach Abgabe an den Patienten ist die korrekte Lagerung oft eher Zufall. Wie in den Medien oft kritisiert, heben viele Menschen ihre Arzneimittel im Badezimmer oder in der Küche auf, wo es zu warm und zu feucht sein kann. Oder die Medikamente werden in ein tropisches Urlaubsgebiet mitgenommen, wo sich beispielsweise ASS-Brausetabletten unter Extrem¬bedingungen von Feuchte und Temperatur schnell zersetzen. Idealerweise sollten Arzneimittel an einem kühlen, trockenen und dunklen Ort gelagert werden. Trotz einer möglicherweise unsachgemäßen Lagerung gilt das aufgedruckte Haltbarkeitsdatum.
Natürlich ist die Haltbarkeit auch abhängig von der Arzneiform und ob eine Verblisterung vorliegt. Daher sind Tabletten und Dragees in der Regel haltbarer als Salben, Gele, Cremes oder Flüssigkeiten. Letztere dürfen nach dem Öffnen der Tube oder der Flasche meist nur noch zeitlich begrenzt verwendet werden.