Lehren aus dem Paxlovid-Fall |
Die Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Karl Lauterbach haben bis 2022 in der Hochphase der Covid-19-Pandemie eine Million Packungen für die Patienten gekauft, die über Großhandel und Apotheken verteilt werden sollten. So sind auch andere Länder vorgegangen.
Zu Beginn 2024 waren in Deutschland noch etwa 400.000 Packungen gelagert, die jeweils für knapp 800 Euro von der Bundesrepublik eingekauft worden waren (24). Sie durften aufgrund einer Warnung von Pfizer aber nicht mehr (für 59,90 Euro) verteilt werden, da das Verfallsdatum angeblich überschritten war. Auch dies ist in vielen Ländern ähnlich. Das bedeutet, dass weltweit Millionen von Paxlovid-Packungen ohne wissenschaftlichen Beleg für eine Notwendigkeit vernichtet werden müssen.
Interessanterweise verkündete Pfizer kurz zuvor eine Preiserhöhung auf 1150 Euro (inklusive Mehrwertsteuer) pro Packung [25], die die Firma entsprechend den regulären arzneimittelrechtlichen Vertriebswegen seit 15. Januar 2024 in den Verkehr bringt. Dieser Abgabepreis muss von Patienten und Krankenkassen bezahlt werden. Es gibt nach Einschätzung der Autoren keinen Grund, ab 15. Januar 2024 von einem instabilen Medikament zu sprechen, sodass kommerzielle Interessen des Herstellers im Vordergrund gestanden haben könnten.
Es ist richtig, dass man die Stabilität eines Arzneistoffs und Arzneimittels detailliert untersuchen muss, um Patienten vor Arzneimitteln minderer Qualität zu schützen. Es gibt aber in der Literatur mehrere Untersuchungen, dass viele Arzneimittel weit über das Verfallsdatum hinaus noch immer die geforderte Qualität und damit Wirksamkeit haben.
Daher sollten die Zulassungsbehörden die regelhafte Festsetzung der Laufzeit von fünf Jahren überdenken, auch wenn die Hinweise für die Sinnhaftigkeit eines solchen Vorgehens »nur« aus beim Militär oder in der häuslichen Umgebung von Patienten gewonnenen Daten und nicht aus einem für Stabilität prädestinierten Labor stammen. In Europa dürften wohl nur angebrochene flüssige Arzneiformen ein Problem darstellen; dagegen sollten verblisterte angebrochene Arzneimittel problemlos weiter eingenommen werden können, wie unsere vielfältigen Studien zeigen.
Die Autoren versichern, dass sie weder von der Firma Pfizer noch einem anderen Hersteller Honorare oder Unterstützung für die hier zitierten Forschungsergebnisse erhalten haben.
Die getesteten Präparate entstammen der Sammlung PEAKStab des IBMP, Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung, Nürnberg-Heroldsberg.
Angesichts möglicher Kostenersparnis, der vielfältigen Lieferengpässe von Arzneimitteln, aber auch der Nachhaltigkeit wäre die Verlängerung der Haltbarkeit nach entsprechenden Studien wohl berechtigt. Die dazu notwendigen Stabilitätsdaten müssten die Herstellerfirmen vorlegen, was aber offensichtlich von ihnen nicht unterstützt wird.
Der Fall Paxlovid zeigt nachdrücklich die Ablehnung weitergehender Stabilitätsuntersuchungen von Arzneimitteln über ihr Verfallsdatum hinaus durch die pharmazeutische Industrie, obwohl angenommen darf, dass solche beim Hersteller vorliegen und eine Selbstverständlichkeit sind. Umso wichtiger sind unabhängige Untersuchungen wie die am IBMP, die eine längere Haltbarkeit nahelegen.
Martina Kinzig studierte Chemie an der Universität Paderborn und wurde dort bei Professor Dr. Karl-Siegfried Boos promoviert. Anschließend arbeitete sie zunächst als Postdoc und seit 1993 als Laborleiterin am Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung in Nürnberg-Heroldsberg. Sie war bei etwa 300 Methodenentwicklungen und ihren Anwendungen im Bereich der Klinischen Pharmakologie federführend. Das von ihr geleitete Labor ist GLP-zertifiziert. Eine Vielzahl ihrer Studien führten zu Arzneimittelzulassungen weltweit.
Ulrike Holzgrabe studierte Chemie und Pharmazie in Marburg und Kiel und habilitierte sich in Pharmazeutischer Chemie in Kiel. Nach mehrjähriger Professorentätigkeit in Bonn ist sie seit April 1999 als Professorin in Würzburg tätig, seit Mitte 2022 als Emerita. Professor Holzgrabe war von 2018 bis 2021 Vizepräsidentin der Universität Würzburg. In vielfältigen Positionen arbeitete sie am Deutschen und Europäischen Arzneibuch am BfArM und EDQM mit. Seit vielen Jahren forscht sie auf dem Gebiet der Antibiotika und der Analytik.
Fritz Sörgel studierte Pharmazie an der Goethe-Universität in Frankfurt/Main und wurde bei Professor Dr. Ernst Mutschler promoviert. Anschließend war er Postdoc bei Professor Dr. Leslie Benet an der School of Pharmacy, University of California, San Francisco. Es folgten eine Tätigkeit an der Rechtsmedizin in Erlangen sowie die Habilitation und Professur an der Universitätsklinik Essen. 1987 gründete Sörgel in Nürnberg das Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung. Seither widmet er sich vielen Themen der Pharmakologie.