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Lieferengpässe

Langfristige Lösungen statt schnelle Gesetzentwürfe

Vor dem Hintergrund des gestern beratenen Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetzes (ALBVVG) diskutierten am heutigen Donnerstag drei Expertinnen und Experten über die Ursachen und Lösungsmöglichkeiten globaler Lieferengpässe.
Melanie Höhn
25.05.2023  18:00 Uhr
Langfristige Lösungen statt schnelle Gesetzentwürfe

Erst gestern wurde das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetzes (ALBVVG) im Bundestag beraten. Über die Ursachen und Lösungsmöglichkeiten globaler Lieferengpässe diskutierten am heutigen Donnerstag in einem virtuellen Briefing des Science Media Centers. Ulrike Holzgrabe, Seniorprofessorin für pharmazeutische und medizinische Chemie, Institut für Pharmazie und Lebensmittelchemie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg sowie David Francas, Professor für Daten- und Lieferkettenanalyse an der Hochschule Worms, University of Applied Sciences und Torsten Hoppe-Tichy, Leiter der Apotheke des Universitätsklinikums Heidelberg.

Laut der Experten haben die Engpässe und Lieferprobleme bei wichtigen Medikamenten in den vergangenen Jahren kritische Ausmaße erreicht und beeinträchtigen die Gesundheitsversorgung. Die Ursachen seien komplex: globale, kaum noch nachvollziehbare Lieferketten, Preisdumping, regulatorische Herausforderungen und die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie. Die Pläne von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), Engpässe bei wichtigen Arzneimitteln zu bekämpfen, stoßen bei den Wissenschaftlern auf Skepsis. Geplant sind neue Preisregeln, die die Lieferung nach Deutschland attraktiver machen. Außerdem sollen Pharmafirmen zu einer längerfristigen Lagerhaltung und einer früheren Engpass-Warnung verpflichtet werden. Die Produktion soll wieder stärker nach Europa geholt werden. Laut der Experten seien die Probleme komplexer, als viele das wahrhaben wollten und könnten nicht national gelöst werden.

Lieferketten resilienter machen

Doch wo muss der Fokus gesetzt werden, um Lieferengpässe aus der Welt zu schaffen? Für Ulrike Holzgrabe ist eines ganz sicher: »Wir müssen uns überlegen, wie wir Lieferketten resilienter machen, wie wir eine Diversifizierung von Lieferketten erreichen und müssen im Grunde genommen auch sagen, was uns das wert ist«. Da könne man nicht mit schnellen Gesetzentwürfen kommen und es müsse eine langfristige Lösung diskutiert werden. Ein Zurückholen von Produktion und das Herauskommen aus dieser Situation dauere mindestens drei bis fünf Jahre. »Lieferengpässe, Belieferung und Produktion sind ein sehr komplexes Geschehen. Wir sollten uns aber vor allem darauf konzentrieren, dass wir genügend Antiinfektiva und Onkologika haben«, so Holzgrabe weiter. Dies hinzubekommen, sei jedoch nicht einfach. »Penicilline und Cephalosporine lassen sich noch relativ einfach herstellen. Aber viele andere Antibiotika haben einen wesentlich komplexeren Herstellungsweg. Und darauf sollten wir uns in der Tat konzentrieren. Obwohl ich nicht glaube, dass wir letztendlich unabhängig werden von einem asiatischen Markt.« Es sei ein »bisschen naiv« zu sagen, »wir holen die Produktion zurück», so Holzgrabe. Es gebe nicht den einen Wirkstoff und die eine Firma, die für einen Lieferengpass verantwortlich seien, die Produktion laufe weltweit über viele Zwischenstufen. »Das ist schon eine sehr komplexe Angelegenheit«, erklärte Holzgrabe weiter.

Für David Francas, Professor für Daten- und Lieferkettenanalyse, Hochschule Worms, University of Applied Sciences, ist ein Lösungsweg das Erstellen einer umfassenden Strategie: Zuerst müssten die größten Probleme identifiziert werden. Das sollte jedoch nicht vom Tagesgeschäft diktiert werden, sondern man müsse sich die Faktenlage seitens der Lieferketten und seitens der Apotheken und Ärzte anschauen, »die wirklich genau wissen, was für die Patientinnen und Patienten relevant ist«, so Francas. Zudem fordert Francas eine transnationale Perspektive, denn Lieferengpässe als nationales Problem zu begreifen sei »grundsätzlich falsch«. Des weiteren macht Francas darauf aufmerksam: »Es gibt nicht die eine Lösung.« Frühwarnsysteme sind laut Francas zwar grundsätzlich sinnvoll, jedoch verhindern sie keine Engpässe.

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