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Pharmazeutische Betrachtungen
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Kants kritischer Blick auf die Arzneien

Immanuel Kant litt sein ganzes Leben unter gesundheitlichen Problemen, über die er in seinen späten Jahren auch offen sprach. Er schätzte die Chemie, stand der Pockenimpfung skeptisch gegenüber und wollte im hohen Alter auch sterben, aber »nur nicht durch Medizin«.
AutorKontaktHans Förstl
Datum 08.08.2022  07:00 Uhr

Im Senium

Christoph Wilhelm Hufelands (1762 bis 1836) handschriftlich erhaltene Überlegungen zu Kants Nervenschwäche des Alters und »irrende Gicht«, die Kant auf seinen Brief vom 6. Februar 1798 kritzelte, lauteten: »wöchentlich einige Fussbäder mit Senf – tägl Bewegung. Wöchentlich 2 - 3 mal Pil. Guajaci 3 III Lact. Sulph. Extr. Seneg. Rhab. ann 3; Extr. Teuleri q.s. ut f. pil. gr. 11 12 Stück« [14]. Sie kamen nie zur Anwendung. Resina guajaci, durch Ausschmelzen des Kernholzes gewonnenes Harz von Guajacum officinale (Zygophyllaceae), wurde zu Hufelands und Kants Zeiten für die Behandlung der »Gicht« eingesetzt und auch für Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis sowie bei Tonsillitis und Pharyngitis.

1803 wurden seine »Beängstigungen und Blähungen auf dem Magenmunde heftiger« [5] und nun war Kant bereit von Arzneien Gebrauch zu machen, gegen die er sonst geeifert hatte: »Naphta, Bittererde, Blähzucker«, die aber alle nur geringe Wirkungen entfalteten [5]. Gemeint ist möglicherweise Naphthalin; die farblosen Kristalle mit dem charakteristischen Geruch wurden bei Atemwegs- und Harnwegsentzündungen angewandt. Bei Bittererde handelt es sich um Magnesiumoxid, dem abführende Wirkung zugeschrieben wurde.

Auf Anraten eines Freundes nahm er einige Wochen lang »bittere magenstärkende Tropfen« unbekannter Zusammensetzung [6]. Andere brachten ihm »Maderawein und Porterbier … von dem Allen wurde aber immer nur sehr wenig genossen« [8]. Er versuchte auch »einige Tropfen Rum auf Zucker, a la Brown«, dessen Lehre Kant interessierte [5]. Der schottische Arzt John Brown (1735 bis 1788) begründete die populäre Lehre der ungleich verteilten Energie als Krankheitsursache («Brownianismus«) und erlag selbst dem Alkohol, was allgemein nicht als Widerspruch zu seiner Doktrin aufgefasst wurde.

Im Herbst 1803 stürzte Immanuel Kant so heftig, dass sein Gesicht und Rücken blutunterlaufen waren. Ohne Beiziehung eines Arztes erholte er sich nach Anwendung derThedenschen Arquebusade [5]: »Wundwasser (mixtura vulneraria acida)« aus je einem Teil Absinth, Lavendel, Pfefferminze, Raute, Rosmarin, Salbei wird aufbereitet mit vier Teilen Weingeist, eineinhalb Teilen Zucker und einem Teil verdünnter Schwefelsäure –  damals zur Behandlung stumpfer und offener Verletzungen verwendet.

Er »trank nur eine mässige Quantität Wasser« [6], was seiner Gesundheit vermutlich abträglich war und – wie bei vielen älteren Herren – unter anderem mit alterstypischen urologischen Beschwerden zu tun hatte. Dann überfiel ihn eine »grenzenlose Rastlosigkeit mit gleich grosser Schwäche, wobei man ihm nur dadurch helfen konnte, dass man ihn zu Bette brachte, wo er noch alsbald schlummerte und bewusstlos, halb träumend, halb wachend zubrachte, ohne etwas anderes als einen Salepaaufguss teelöffelweise zu sich zu nehmen« [6]. Salep(a) (gefleckte Orchidee, bot. Dactylorhiza maculata L) enthält Glycoside, Polysaccharide, Stärke, Mineralsalze und ätherische Öle, galt als entzündungshemmend und wurde zum Beispiel bei Gastritis und Atemwegserkrankungen eingesetzt.

Mit seinem bis dahin »sybaritischen Schnupftabakgebrauch« [6] hatte er vermutlich ins Schwarze getroffen und zielgenau das spezifische cholinerge Defizit einer beginnenden Demenz mit Lewy-Körperchen kompensiert [15]. Ansonsten lautete eine seiner letzten Äußerungen zur Pharmazie: »ich will sterben, nur nicht durch Medizin« [5]. /

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