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Arzneimittelgesetz

50-jährige Erfolgsgeschichte

26.07.2011  17:12 Uhr

Von Lutz Tisch / Am 1. August 1961 trat das Arzneimittelgesetz (AMG) in Kraft. Zum ersten Mal galt damit ein einheitliches Rechtsregime für die Arzneimittelversorgung und -sicherheit im gesamten Bundesgebiet. Seitdem haben vielfältige Änderungen zur heutigen Fassung geführt, nicht zuletzt die Umsetzung europarechtlicher Vorgaben.

Von Anfang an war das Gesetz, das die Arzneimittelsicherheit und den Arzneimittelverkehr regelt, auch für Apotheker von zentraler Bedeutung. So schrieben Arno Kloesel, damaliger Regierungsdirektor, und Walter Cyran, Regierungspharmaziedirektor im Innenministerium Baden-Württemberg, im bereits im Mai 1961 verfassten Vorwort zur ersten Auflage ihres heute noch erscheinenden Kommentars zum Arzneimittelgesetz: »Er [der Kommentar, Anmerkung des Verfassers] will allen, die sich, sei es als Hersteller, Großhändler, Vertriebsunternehmer oder Letztabgebende (wie Apotheker oder Drogisten), sei es als Aufsichtsführender oder als Richter, mit dem Arzneimittelwesen befassen müssen, ein jederzeit zur Verfügung stehender Ratgeber und Helfer sein.«

Aus den damals 65 Paragrafen sind bis heute mit allen eingeschobenen abc-Paragrafen fast 200 geworden. Dies ist ein Zeugnis der permanenten Weiterentwicklung dieser Rechtsmaterie.

 

Das Arzneimittelgesetz enthielt von Beginn an neben den zentralen Vorschriften zur Herstellung und Registrierung von Arzneimitteln einige speziell für Apotheker grundlegende Regelungen. Dazu zählen etwa die Apothekenpflicht, die Ermächtigungsgrundlagen für Verordnungen über apothekenpflichtige und freiverkäufliche Arzneimittel sowie zur Verschreibungspflicht, die Verankerung dazu anzuhörender Sachverständigenausschüsse und für die Organisation der Aufsicht. Später kamen weitere wichtige Vorschriften wie unter anderem die Ermächtigung zum Erlass einer Arzneimittelpreisverordnung und zur Pharmakovigilanz hinzu.

 

Seine grundlegende Überarbeitung erfuhr die Rechtsmaterie durch das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelrechts vom 24. August 1976. Mit ihm wurde die Arzneimittelsicherheit noch erheblich stärker in den Fokus gestellt und die Contergan-Katastrophe aufgearbeitet. Erstmals wurde die Zulassungspflicht verankert, die Überwachung des Arzneimittelverkehrs wurde gestärkt und die Gefährdungshaftung für pharmazeutische Unternehmer eingeführt. Damit erhielt das Arzneimittelgesetz im Wesentlichen seine heutige Struktur und wurde durch die Vielzahl der folgenden Änderungen zwar inhaltlich erheblich verfeinert aber nicht mehr grundsätzlich verändert.

 

Europa nimmt Einfluss

 

Seit Anfang der Neunziger Jahre unterliegt das Arzneimittelrecht und mit ihm das Arzneimittelgesetz einem zunehmenden Einfluss europarechtlicher Vorgaben und Harmonisierungen. Es gilt zwischenzeitlich als weitgehend harmonisierte Rechtsmaterie, die sich der originären Kompetenz des nationalen Gesetzgebers zunehmend entzieht. Betrachtet man die erreichten Sicherheitsstandards im Verkehr mit Arzneimitteln, so kann man von einer Erfolgsgeschichte des Arzneimittelgesetzes sprechen.

 

Dessen ungeachtet sind aber aus der Sicht der Apotheker sicherlich auch einige Unzulänglichkeiten auszumachen, die zum regelmäßigen Stein des Anstoßes wurden.

 

Obwohl der Europäische Gerichtshof im Dezember 2003 feststellte, dass ein Versandhandelsverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel europarechtlich nicht zu beanstanden sei, gab der deutsche Gesetzgeber den Versandhandel im vorauseilenden Gehorsam gegenüber einer anders erwarteten – oder möglicherweise erwünschten – Entscheidung für alle Arzneimittel frei.

 

Zwar bleibt der Versandhandel apothekenpflichtiger Arzneimittel Apotheken vorbehalten und seine Zulässigkeit unterliegt der vorherigen behördlichen Erteilung einer Versandhandelserlaubnis. Dies kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass wesentliche Nachteile für den Schutz von Patienten in Kauf genommen werden. Zumindest in seiner derzeitigen Ausgestaltung bleibt es dem Patienten überlassen, einzuschätzen, ob er hinsichtlich im Versandhandel erworbener Arzneimittel die Beratung durch den hierfür kompetenten Apotheker benötigt.

 

Dubiose Internetangebote

 

Dies überfordert die Kompetenz des mündigen Verbrauchers, der über das hierfür erforderliche Fachwissen in der Regel nicht verfügt. Die Annahme, der verordnende Arzt werde dieses Defizit durch seinerseits erbrachte Beratung kompensieren, ignoriert die Realität in den Arztpraxen und unterstellt wiederum eine nicht im gleichen Maße wie beim Apotheker vorhandene Kompetenz des Arztes.

Der Versandhandel und die mit ihm einhergehenden Folgeerscheinungen führen zu einer schleichenden Trivialisierung der Arzneimittel in der allgemeinen Wahrnehmung. Dies zeigt sich nicht zuletzt in der teilweise kritiklosen Inanspruchnahme dubioser Internetangebote für Arzneimittel, bei der die mit dem Arzneimittelrecht angestrebte Arzneimittelsicherheit nicht gewährleistet werden kann. Die ständig zunehmende Zahl sichergestellter Arzneimittelfälschungen belegt die bedenkliche Gefahrenlage. Europäische Anstrengungen zur Authentifizierung von Arzneimitteln werden diese nur teilweise begrenzen können. Auch die pauschale Zulassung des Versandhandels aus Ländern, die in einer, wie es scheinen könnte, angebotsorientierten Länderliste geführt werden, verbessert die Beurteilung nicht.

 

Pick-up-Verbot ausgebremst

 

Dessen ungeachtet finden warnende Stimmen derzeit keine politische Unterstützung. Politisch vermeintlich mehrheitlich nicht gewollte Folgeerscheinungen wie Pick-up-Stellen führen bisher zu keinem substanziellen Umdenken. Ein Verbot von Pick-up-Stellen war sogar in der Koalitionsvereinbarung der amtierenden Regierung angekündigt und wurde durch verfassungsrechtliche Einwände des Bundesverwaltungsgerichts, des Justiz- und Innenministeriums zumindest vorläufig ausgebremst.

 

Eine ältere, die Apotheker mehr und mehr belastende Baustelle ist die schleichend zunehmende Zahl zentraler Beschaffungsstellen für Arzneimittel. Ursprünglich für Organisationen mit aufgabenbedingt hohem allgemeinem Arzneimittelbedarf gedacht wie das Deutsche Rote Kreuz oder der Zivilschutz, werden sie zunehmend für Arzneimittel genehmigt, die bei bestimmten Indikationen, wie zum Beispiel der Dialyse, zur Anwendung kommen.

 

Für die erforderlichen Genehmigungen durch die zuständigen Landesbehörden gibt das Arzneimittelgesetz kaum Kriterien vor. Ihre gerichtliche Überprüfung scheitert an der Klagebefugnis, weil der Norm keine drittschützende Wirkung zugebilligt wird und die Reichweite der Erlaubnisse geht oft noch über ihren erklärten Zweck hinaus, indem auch weitere von entsprechenden Patienten benötigte Arzneimittel einbezogen werden. Dies erscheint fragwürdig, weil die damit verbundene Ausnahme von der Apothekenpflicht eng auszulegen ist und nicht sukzessive ausgehöhlt werden darf. Insbesondere aus Kostengründen motivierten Umgehungen des für Apotheken geltenden Preisbildungssystems muss daher vehement widersprochen werden.

 

Stoff für Auseinandersetzungen bieten auch die Privilegierungen der Apotheken bei der Zulassungspflicht für Arzneimittel. Während die mit pharmazeutischer Herstellungserlaubnis ausgestatteten pharmazeutischen Unternehmen hierin eine immerwährende Provokation sehen, kann den Apotheken der Freiheitsgrad naturgemäß nicht groß genug sein. Dabei ist es richtig, eine patientenindividuelle Anfertigung von Arzneimitteln in Apotheken nicht zu behindern. Zugleich muss aber auch sichergestellt werden, dass die Vorschriften nicht zur Umgehung der Zulassungspflicht missbraucht werden. Es kann daher nicht überraschen, wenn eine Reihe damit verbundener Interessengegensätze erst durch höchstrichterliche Entscheidungen geklärt werden konnten.

 

BGH-Urteil zu Rezepturen

 

So stellte der Bundesgerichtshof am Ende eines jahrelangen Rechtsstreits 2005 fest, dass es sich nicht um ein von der Zulassungspflicht befreites Rezepturarzneimittel, sondern um ein zulassungspflichtiges Fertigarzneimittel handele, wenn es in keiner Weise mehr von der dem Apotheker angelieferten Bulkware abweicht und sich dessen Tätigkeit daher auf das bloße Neuverteilen der seiner Einwirkung im übrigen nicht mehr unterliegenden Arznei beschränke. Nur wenn tatsächlich individuelle Rezepturen vorliegen und die wesentlichen Herstellungsschritte in der Apotheke erfolgen, kann von dem Instrument der Zulassung, einem wesentlichen Baustein zur Arzneimittelsicherheit, abgesehen werden.

 

Überraschend gegenläufig hat sich der Gesetzgeber entschieden, als er die Zulassungspflicht für außerhalb von Apotheken neu verblisterte Arzneimittel aufhob. Es handelt sich hierbei um von der Industrie normal als Fertigarzneimittel in den Verkehr gebrachte Arzneimittel, die von anderen pharmazeutischen Unternehmen – häufig handelt es sich um von Apothekern gegründete Blisterzentren – aus ihren Originalpackungen ausgelöst und patientenindividuell miteinander kombiniert für den Einnahmezeitpunkt neu ver­blistert werden. Die entstehenden Schlauch- oder (Mehr-)Wochenblister sind industriell hergestelllte Fertigarzneimittel, die ohne Zulassung an Apotheken geliefert und von diesen ohne Zulassung an Patienten abgegeben werden dürfen.

Ungeachtet des bestreitbaren pharmazeutischen Nutzens, insbesondere in der hiermit fast ausnahmslos fokussierten Heimversorgung, und ihrer ökonomischen Unsinnigkeit, widerspricht dieser Ausnahmetatbestand dem Sinn und Zweck des Arzneimittelgesetzes. So wird die Authentizität des Originalproduktes aufgehoben und es stellen sich Fragen zu Kreuzkontaminationen, die vielfach ungeprüft sind.

 

Zudem wird die Beweissituation des Patienten im Falle einer Schädigung durch ein solches Arzneimittel maßgeblich verschlechtert. Der Originalhersteller jedes der beteiligten Arzneimittel kann sich der für den Patienten komfortablen Gefährdungshaftung zunächst mit dem Hinweis entziehen, der Patient solle doch erst einmal beweisen, dass nicht der Eingriff in das Originalprodukt durch das Blisterunternehmen ursächlich für den geltend gemachten Schaden war.

 

Blisterunternehmen haften nicht

 

Eine Gefährdungshaftung des Blister­unternehmens besteht aufgrund der Zulassungsbefreiung nicht, eine vergleichbare Haftpflichtversicherung der Blisterunternehmen ist ebenfalls nicht verpflichtend. Gemessen an den gesetzgeberischen Konsequenzen aus dem Contergan-Fall führt diese Gestaltung zu Verhältnissen, wie sie für die Arzneimittelsicherheit in Deutschland vor 1976 galten.

 

Bei aller Einzelkritik und in der Hoffnung, dass die beispielhaft aufgezeigten Mängel korrigiert werden, ist das Arzneimittelgesetz eine auch aus der Sicht der Apotheker positiv zu bewertende Rechtsmaterie. Wer den Verlauf von Gesetzgebungsverfahren kennt, weiß die Qualität des juristischen Handwerks von den Irrungen und Wirrungen mancher politischer Vorgaben zu unterscheiden, die nicht immer konsequent an den Zielen eines Gesetzes orientiert sind.

 

Keine größeren Zwischenfälle

 

Für die Patienten wurde der Schutz vor Arzneimittelrisiken durch das Arzneimittelgesetz wesentlich erhöht, größere Zwischenfälle sind seit langer Zeit nicht mehr aufgetreten und dies sollte auch das Ziel aller Fortschreibungen dieser Erfolgs­geschichte sein.

 

Für in diesem Sinne weitere 50 erfolgreiche Jahre AMG wünscht man sich zum Wohle aller Patienten Politiker, die Arzneimittelsicherheit als untrennbare Einheit aus Produktsicherheit, der Sicherheit der Vertriebswege und sicherer und effektiver Arzneimittel-Anwendung begreifen. Eine hier und da anzutreffende Verkürzung der Sicht auf rein ökonomische Fragen kann nicht als dem Gemeinwohl verpflichtet akzeptiert werden, denn Gesundheit und Lebensqualität sind mehr als nur Fragen der Steuer- und Soziallasten. / 

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