Impfpflicht im Bundestag gescheitert |
Der Bundestag hat in seiner heutigen 28. Sitzung über die lang umstrittene Covid-19-Impfpflicht abgestimmt. / Foto: IMAGO/Future Image
Der Bundestag hat über die Einführung einer Covid-19-Impfpflicht am heutigen Donnerstag abgestimmt. Der vor wenigen Tagen eingebrachte Kompromiss-Vorschlag zur Einführung einer Impfpflicht ab 60 Jahren mit einer möglichen Erweiterung für alle Erwachsenen ab 18 Jahren hat dabei keine Mehrheit gefunden.
Von 683 abgegebenen Stimmen haben 296 Abgeordnete dafür gestimmt, 378 dagegen. Es gab 9 Enthaltungen. Der Gesetzentwurf sah eine Covid-19-Impfnachweispflicht für alle Personen ab 60 Jahren vor, die seit mindestens sechs Monaten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben. Die Impfpflicht sollte ab dem 15. Oktober 2022 gelten. Alle Erwachsenen sollten zudem laut dem Entwurf verpflichtet werden, bis zum 15. Oktober entweder einen Impf- oder Genesenennachweis oder einen Nachweis über die erfolgte ärztliche Beratung bei der entsprechenden Krankenkasse oder Krankenversicherung vorzulegen.
Der Gesetzentwurf sah außerdem vor, dass für Zwecke der Dokumentation und Überwachung des Impf- und Immunisierungsstatus ein elektronisches Melde- und Informationssystem (Impfregister) bis zum 31. Dezember 2023 eingerichtet werden sollte. Wichtig auch: Der Entwurf sollte die Covid-19-Impfungen in Apotheken bis zum 31. Dezember 2023 verlängern. Bislang ist eine Beteiligung der Apotheken in die Impfkampagne bis Ende dieses Jahres vorgesehen.
Den Kompromiss hatten Gesundheitspolitikerinnen und -politiker der Ampel-Koalition darunter Janosch Dahmen (Grüne), Heike Baehrens (SPD), Professor Andrew Ullmann (FDP) oder Paula Piechotta (Grüne) vorgeschlagen. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und der Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD) waren Anhänger dieses Vorschlags. Eigentlich gab es zunächst zwei Gesetzentwürfe, einmal einen für eine Impfpflicht ab 18 Jahren und eine verpflichtende Impfberatung mit einer optionalen Impfpflicht ab 50 Jahren. Diese beiden Entwürfe wurden für die heutige Abstimmung zusammengeführt.
Auch ein Antrag zu einem Impfvorsorgegesetz der Unionsfraktion wurde am heutigen Donnerstag im Bundestag mit deutlicher Mehrheit abgelehnt. 497 Abgeordnete stimmten gegen den Unions-Antrag, 172 waren dafür. Auch hier gab es 9 Enthaltungen. Damit wird in Deutschland vorerst keine Covid-19-Impfpflicht eingeführt. Lediglich die einrichtungsbezogene Impfpflicht für Beschäftigte im Gesundheitswesen, die seit 15. März 2022 gilt, besteht weiter. Die Anträge der Gruppe um Wolfgang Kubicki (FDP) und der AfD wurden am Donnerstag ebenfalls abgelehnt.
Der Abstimmung war eine hitzige Bundestagsdebatte vorangegangen. Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) hatte im Bundestag die Linie von CDU/CSU verteidigt, nicht von ihrem eigenen Antrag zur Impfpflicht abrücken zu wollen. «Es handelt sich hier jedenfalls nach Überzeugung der Mehrheit unserer Bundestagsfraktion nicht um eine Gewissensentscheidung», sagte Merz am Donnerstag im Plenum an die Adresse der Ampelkoalition. Auf Betreiben der Ampel waren die Debatte und die Entscheidung über die Impfpflicht ohne die sonst übliche Fraktionsdisziplin organisiert worden. Die Union legte aber einen eigenen Fraktionsantrag vor. Befürworter der Impfpflicht aus der Ampel warfen der Union deshalb vor, die Impfpflicht aus parteitaktischen Gründen zu verhindern.
Lauterbach hielt der Union entgegen: «Sie können der Verantwortung nicht ausweichen, indem Sie sagen, Sie sind gesprächsbereit.» Die Verhandlungen seien lange geführt worden. «Wir brauchen heute einmal Ihre staatstragende Unterstützung, um im Herbst anders dazustehen als wir jetzt stehen», sagte Lauterbach. Nicht gewöhnen sollte sich das Land daran, «dass jeden Tag 200 bis 300 Menschen sterben», so Lauterbach. Die zur Abstimmung stehende Impfpflicht ab 60 würde 90 Prozent der Todesfälle verhindern, die durch eine Impfpflicht ab 18 Jahren verhindert werden können. Mehrere Befürworter einer Impfpflicht kritisierten, dass die Union die Impfpflicht nicht präventiv vorsehe.
SPD-Fraktionsvize Dagmar Schmidt sagte, Ziel einer allgemeinen Corona-Impfpflicht sei es, das Gesundheitssystem, die kritische Infrastruktur und die Gesundheit der Menschen zu schützen. «Das Virus wird nicht einfach verschwinden.» Auch angesichts der Folgen des Ukraine-Krieges mahnte Schmidt: «Wir haben heute die Chance, im Herbst nicht auch noch mit den Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung zurechtkommen zu müssen.» Der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen sagte: «Die Prävention mit der Impfpflicht bringt uns raus aus dieser Pandemie.» Eine Impfpflicht ab 60 sei wirksam, rechtssicher und vernünftig.
Der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki, der mit anderen Abgeordneten einen Antrag zur Erhöhung der Impfbereitschaft ohne allgemeine Impfpflicht vorgelegt hatte, argumentierte gegen die Pflicht. So werde durch Impfung keine Herdenimmunität erreicht, und eine Überlastung des Gesundheitswesens werde es voraussichtlich nicht geben - eine deutlich gefährlichere Variante im Herbst sei «nicht das wahrscheinlichste Szenario». Lauterbach wies daraufhin zurück, dass gefährlichere Varianten im Herbst nicht unwahrscheinlich seien. Kubicki sagte weiter, es sei nicht die Aufgabe des Staates, erwachsene Menschen gegen ihren Willen zum Selbstschutz zu verpflichten.
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