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Grippeimpfung in Apotheken

»Impfen ist Prävention und keine Heilkunde«

Der Berufsverband deutscher Internisten (BDI) kritisiert, dass Apotheker nun im Modellprojekt im Raum Nordrhein ab kommender Saison gegen Grippe impfen. Sie halten dies für eine nicht zulässige Ausübung der Heilkunde und sehen die Patientensicherheit in Gefahr. Für den Präsidenten der Bundesapothekerkammer (BAK), Andreas Kiefer, sind die Vorwürfe haltlos, wie er im PZ-Interview erläutert.
Ev Tebroke
10.07.2020  15:48 Uhr

PZ: Mit dem am 1. März 2020 in Kraft getretenen Masernschutzgesetz hat die Regierung die Möglichkeit geschaffen, dass Apotheker in Modellprojekten Grippeimpfungen durchführen können. Die Bundesapothekerkammer hat dazu die entsprechenden Leitlinien verabschiedet. Herr Kiefer, anlässlich des nun angekündigten Starts des ersten Modellprojekts in Nordrhein gibt es vom Berufsverband deutscher Internisten heftige Kritik, was die Impfmöglichkeit in Apotheken betrifft. Die Ärzte bewerten es als eine nicht zulässige Ausübung der Heilkunde. Was sagen Sie dazu?

Kiefer: In der Apotheke gegen Influenza zu impfen, ist kein langjähriger Wunschtraum der Apothekerschaft. Aber der Gesetzgeber hat erkannt, dass die Impfquote erhöht werden muss und deshalb Modellprojekte zur Grippeschutzimpfung in Apotheken neu ins Sozialgesetzbuch aufgenommen. Wir wollen dazu beitragen, das umzusetzen. Und wir reden ja wohlgemerkt über Pilotprojekte. Wir sollten alle entspannt deren Ergebnisse abwarten. Dann diskutieren wir weiter. Im Übrigen ist Impfung Prävention, und Menschen, die geimpft werden, sind nicht krank. Deshalb ist die Grippeschutzimpfung in der Apotheke keine Heilkunde.

PZ: Vor allem argumentieren die Ärzte mit einer möglichen Gefährdung der Patientensicherheit. Beim Impfen könnte es zu Komplikationen wie etwa allergischen Reaktionen kommen und dann sei schnelles Handeln gefragt. Wie handeln die Apotheker in solch einem Notfall?

Kiefer: Ich finde es kontraproduktiv, wenn Ärztevertreter die Risiken der Grippeschutzimpfung überbetonen. Das schürt falsche Ängste gegen Impfungen und spielt Impfgegnern in die Hände. So erreichen wir keine höhere Durchimpfungsrate. Apotheken müssen vor einer Impfung einen Notfallplan erstellen, damit sie in solchen Fällen schnell und qualitätsgesichert handeln. Das bedeutet unter anderem, dass bei seltenen anaphylaktischen Reaktionen der Notarzt gerufen und Erste Hilfe geleistet wird. Das machen Arztpraxen genauso. Wenn unerwünschte Arzneimittelwirkungen auftreten, melden die Apothekenteams diese an die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK). Auch hier sehe ich keinen Unterschied zu einer Impfung in einer Arztpraxis.

PZ: Die Leitlinien sehen Schulungsmaßnahmen vor, die die Apotheker für das Impfen qualifizieren sollen. Welche wesentlichen Aspekte sind darin geregelt?

Kiefer: Die Apotheker werden mindestens acht Stunden lang in allen Aspekten der Grippeschutzimpfung geschult. Die für die Durchführung der Grippeschutzimpfungen benötigten Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten werden den Apothekern von ärztlichen Referenten vermittelt. Das Curriculum der Fortbildung ist auf abda.de frei zugänglich, hier kann sich jeder Kritiker selbst ein Bild machen.

PZ: Wo soll das Impfen künftig stattfinden? Können die Apotheken die entsprechende Diskretion und die Hygienevorgaben gewährleisten?

Kiefer: Ja, das können sie. Die Impfung findet nicht im Verkaufsraum statt, sondern in einem diskreten Beratungsraum unter hygienischen Bedingungen – ebenso wie in Arztpraxen nicht im Wartezimmer geimpft wird.

PZ: Die Ärzteschaft sieht die Apotheker beim Thema Impfen offenbar als Konkurrenz. Können Sie die Bedenken der Ärzte in gewisser Weise auch nachvollziehen?

Kiefer: Es ist genug Arbeit für alle da. Wir wollen den Ärzten ja keine Patienten wegnehmen, sondern neue Bevölkerungsgruppen für die Impfung gewinnen, die bislang trotz jahrelanger Bemühungen über die Arztpraxen nicht erreicht werden. Wenn wir außerdem bei einem Beratungsgespräch zur Impfung erkennen, dass besondere Risiken vorliegen oder Impflücken in anderen Bereichen vorliegen, dann werden wir natürlich an einen Arzt verweisen. Ärzte werden deshalb eher mehr Patienten bekommen als weniger.

PZ: Warum ist es gut, wenn auch Apotheker impfen dürfen?

Kiefer: Um eine Herdenimmunität zu erreichen, müssten 75 Prozent der Erwachsenen gegen Influenza geimpft sein. Es sind laut RKI aber nur 35 Prozent. Deshalb ist hier viel zu tun. Durch das niedrigschwellige Angebot der Apotheken kann die Impfquote gesteigert werden. Das können wir aus anderen Ländern wie Frankreich lernen, wo Apotheker schon impfen. Ich bin optimistisch, dass wir aus Modellprojekten ableiten können, dass dies auf Deutschland übertragbar ist.

PZ: Sollten Apotheken künftig auch Impfungen gegen Corona durchführen dürfen?

Kiefer: Warten wir zunächst mal ab, ob beziehungsweise wann es einen Impfstoff gegen SARS-CoV-2 geben wird. Unter Umständen müssen dann in kurzer Zeit sehr viele Menschen geimpft werden. Dazu braucht es die entsprechenden Kapazitäten. Es kann gut sein, dass dann auch die Apotheken gefragt sind. Wenn die Politik das will, können und werden wir nicht nein sagen. Sonst machen wir uns unglaubwürdig.

 

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