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SARS-CoV-2

Hüllprotein als Ziel für antivirale Wirkstoffe

Durch einen Vergleich des SARS-CoV-2-Genoms mit dem anderer β-Coronaviren entdeckten Wissenschaftler ein potenziell neues Target zur Behandlung von Covid-19.
Theo Dingermann
30.07.2020  11:00 Uhr

Trotz enormer Anstrengungen ist das Spektrum verfügbarer Covid-19-Therapeutika sehr übersichtlich. Da lassen Studien aufhorchen, die mithilfe innovativer Analysestrategien neue potenzielle Zielstrukturen für Wirkstoffe gegen schwere Covid-19-Verläufe aufzeigen. Eine solche Studie ist jetzt im Journal »Frontiers in Cellular and Infection Microbiology« erschienen.

Die Wissenschaftler aus Saudi-Arabien, Frankreich und Japan wählten einen evolutionär-analytischen Ansatz, um zu klären, welche Genombereiche bei der Evolution von β-Coronaviren konserviert bleiben, also nicht zu Mutationen neigen. So konnten sie vorhersagen, ob therapeutische Ansätze, die für andere β-Coronaviren entwickelt wurden, bei SARS-CoV-2 funktionieren könnten.

Zu den essenziellen Funktionselementen der Coronaviren gehören das Spike-Protein (S), welches das Virus für den Eintritt in die Wirtszelle braucht, das Membran-Glykoprotein (M), das Nukleokapsid (N), das Hüllprotein (E – dabei steht E für Envelope) und das ORF1ab-Polyprotein, das als Replikase oder Protease fungiert. Alternativ können sogenannte akzessorische Merkmale des SARS-CoV-2-Genoms herangezogen werden, also die weniger offensichtlichen Eigenschaften, die nichts mit der Replikation zu tun haben, aber zum Beispiel die Pathogenität des Virus antreiben. Derartige akzessorische Elemente sind jedoch deutlich schwieriger zu erkennen. Hier helfen Genomananalysen und Strukturmodellierungen.

Strukturdomäne im E-Protein als mögliches Wirkstofftarget 

Forscher um den Bioinformatiker Dr. Intikhab Alam von der King Abdullah University of Science and Technology in Thuwal, Saudi-Arabien, wählten einen vergleichenden Ansatz ganzer Genome, um Gencluster aufzuspüren und deren Funktionen zu bestimmen. Dabei stellten sie fest, dass das E-Protein zwar unter den β-Coronaviren variiert, dass aber wichtige Merkmale des E-Proteins zwischen SARS-CoV (dem SARS-Erreger von 2002) und dem neuen Coronavirus SARS-CoV-2 erhalten geblieben sind. Im Gegensatz zu früheren Analysen klassifizierte das Team daher das E-Protein, das auch als ORF3a oder Viroporin bekannt ist, als ein potenziell akzessorisches Protein.

Das E-Protein fungiert auch als Ionenkanal und weist ein Proteinmotiv auf, das als »postsynaptisches Dichteprotein 95 (PDZ)-bindendes Motiv« bekannt ist. Über dieses Motiv könnte ein Teil der Virulenz des Virus vermittelt werden. Die E-Proteine von SARS-CoV-2 und SARS-CoV unterscheiden sich in dieser Region nur durch drei Substitutionen und eine Deletion.

Aufgrund der starken Homologie kann man erwarten, dass die konservierten Domänen des E-Proteins von SARS-CoV-2 eine ähnliche Funktion entfalten wie die von SARS-CoV, von denen bekannt ist, dass sie als akzessorisches Element die virale Pathogenität durch Protein-Protein-Interaktionen verstärken.

Das E-Protein von SARS-CoV bestimmt also mit über die Pathogenität des Virus, da dieses Protein durch Interaktion mit dem Inflammasom des Menschen als Auslöser eines Zytokinsturms fungieren kann. Aus diesem Grund wurden auch schon Wirkstoffe gegen diese Zielstruktur in Folge der SARS-Epidemie entwickelt.

Auf Basis ihrer Analyse empfehlen nun die Autoren, diese Arzneistoffkandidaten auch auf Wirksamkeit bei SARS-CoV-2 zu testen. Auch wenn diese Wirkstoffe die Ausbreitung des Virus nicht stoppen werden, kann man doch hoffen, dass sie das akute Atemnotsyndrom abschwächen oder verhindern und helfen können, Leben zu retten.

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