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Erwachsene Krebspatienten

Hörverlust nach Chemo häufiger als gedacht

Laut einer aktuellen Studie kommt es bei erwachsenen Krebspatienten häufiger als bisher – und von diesen selbst – angenommen infolge einer Chemotherapie zu Hörverlust und Tinnitus. Insbesondere das ototoxische Potenzial der Taxane wurde offenbar bislang unterschätzt.
Annette Rößler
01.08.2022  11:00 Uhr

Bestimmte Zytostatika können das Innenohr schädigen und dadurch einen Hörverlust oder Tinnitus auslösen. Die Ototoxizität ist eine bekannte Nebenwirkung insbesondere platinhaltiger Wirkstoffe. Diese werden vor allem bei krebskranken Kindern eingesetzt, weshalb die Kontrolle auf Hörverlust bei jüngeren Krebsüberlebenden zur Nachsorge gehört. Wissenschaftler um Professor Dr. Steven Cheung von der University of California San Francisco weisen jetzt im Fachjournal »BMJ Supportive & Palliative Care« darauf hin, dass auch ältere Krebsüberlebende häufiger als bisher angenommen davon betroffen sein können und dass auch Taxane diese Nebenwirkung haben können.

Das Forscherteam untersuchte 273 Personen im Durchschnittsalter von 61 Jahren, die etwa fünf Jahre zuvor eine Chemotherapie zur Behandlung von Brustkrebs oder einer anderen gynäkologischen Krebserkrankung, Lungenkrebs oder einem Tumor im Magen-Darm-Trakt abgeschlossen hatten. Die Patienten hatten dabei entweder platinhaltige Zytostatika, Taxane oder Wirkstoffe aus beiden Substanzklassen erhalten. Das Hörvermögen der Teilnehmer wurde anhand eines Audiogramms bewertet. Betrug es lediglich 50 Prozent oder weniger als der Durchschnittswert bei gleichaltrigen Personen desselben Geschlechts, lag ein Hörverlust vor. Ein Tinnitus galt als vorhanden, wenn der Betroffene laut Selbstauskunft während mehr als 10 Prozent der wachen Zeit Ohrgeräusche wahrnahm.

Die Autoren berichten, dass ein Hörverlust bei 52 bis 71 Prozent der Teilnehmer vorlag und ein Tinnitus bei 37 bis 40 Prozent. Die Häufigkeit, mit der diese Probleme auftraten, unterschied sich dabei nicht zwischen den drei Patientengruppen (platinhaltige Chemo, Taxane oder beides). Es sei daher davon auszugehen, dass eine Ototoxizität, die zu Hörverlust oder Tinnitus führe, bei Zytostatikatherapie unabhängig von der Wirkstoffklasse auftreten könne.

In einer Mitteilung ihrer Universität heben Cheung und die Seniorautorin Professor Dr. Christine Miaskowski zwei unterschiedliche Aspekte der Arbeit hervor. So betont Cheung, es sei bislang nicht bekannt gewesen, dass Taxane ebenso häufig wie platinhaltige Wirkstoffe Hörverlust und Tinnitus auslösen können. Dies solle in der Nachsorge von Krebspatienten künftig berücksichtigt werden.

Miaskowski weist darauf hin, dass viele Menschen einen Hörverlust bei sich selbst unterschätzten – was sicherlich vor allem für Ältere gilt. In der Studie hatten 31 Prozent der Patienten, bei denen später ein Hörverlust audiometrisch festgestellt wurde, zuvor selbst angegeben, gut hören zu können. Lediglich 17 Prozent der Probanden hatten ein Hörgerät. Ärzte sollten diese Nebenwirkung verstärkt im Blick haben und Krebsüberlebende routinemäßig zum Hörtest schicken, so Miaskowski.

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