Herbstimpfungen sind Herzensangelegenheit |
Die Welle an Atemwegserkrankungen nimmt gerade an Fahrt auf. Impfungen gegen die häufigsten Erreger schützen vor einem schweren Verlauf. / © Adobe Stock/kichigin19
Das Statement kam ziemlich überraschend. Die Europäische Gesellschaft für Kardiologie stellte in ihrem im Juni erschienen Konsensuspapier erstmals klar, dass Impfungen nicht nur Infektionsschutz, sondern eine eigenständige präventive Maßnahme gegen kardiovaskuläre Ereignisse sind. Deshalb sind sie als vierte Säule neben der Blutdrucksenkung, der Lipidkontrolle und dem Diabetesmanagement fest zu etablieren.
Es war schon länger vermutet worden, nun gehen Kardiologen von einem Kausalzusammenhang aus: Infektionen wie Influenza, SARS-CoV-2, Pneumokokken oder RSV sind nachweislich mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse wie Myokardinfarkt, Schlaganfall oder kardialen Dekompensationen, aber auch COPD-Exazerbationen oder Sekundärpneumonien verbunden. So erhöht beispielsweise eine Influenza das Risiko für einen Myokardinfarkt um das Zehn-, das für einen Schlaganfall um das Achtfache. »Die Vorstellung, dass es sich bei einer Influenza um eine lokal alveoläre Atemwegserkrankung handelt, hat definitiv ausgedient«, sagte Professor Dr. Ralf Dechend, Arbeitsgruppenleiter des Experimental and Clinical Research Centers an der Berliner Charité beim Herbstimpf-Symposium des Unternehmens Sanofi.
Insbesondere vor dem Hintergrund, dass erhöhte Spiegel an Entzündungsmarkern im Blut mit einem deutlichen Risiko für atherosklerotische Herzerkrankungen einhergehen, sollten auch Infektionen vermieden werden, die einem Entzündungsausbruch gleichkämen, so die Erklärung. Die durch Infektionen getriggerte systemische Inflammation fördert Plaquerupturen, prothrombotische Zustände und myokardiale Dysfunktion.
Die Evidenz für den kardiovaskulären Nutzen ist für Influenzavakzinen am besten belegt. Metaanalysen und randomisierte Studien zeigen, dass die Grippeimpfung das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse, Reinfarkte und auch die Gesamtmortalität signifikant senken kann – vor allem bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom oder chronischer Herzinsuffizienz. Die Immunisierung ist gar ähnlich wirksam wie der Verzicht aufs Rauchen und bringt eine Risikoreduktion von bis zu 45 Prozent.
Selbst bei Patienten, die während des Krankenhausaufenthalts nach einem akuten Herzinfarkt geimpft wurden, konnte die kardiovaskuläre Sterblichkeit verringert werden. Dabei wirkt der hoch dosierte Grippeimpfstoff, den die Ständige Impfkommission (STIKO) für Menschen ab 60 Jahren empfiehlt, bei älteren Menschen etwas stärker kardioprotektiv als die Standarddosis, hat die laut Dechend größte je durchgeführte kardiovaskuläre Präventionsstudie mit mehr als 300.000 Teilnehmenden kürzlich ergeben.
Die STIKO empfiehlt allen Personen ab 60 Jahren, sich gegen Influenza impfen zu lassen – entweder mit einem inaktivierten, trivalenten Hochdosis-Impfstoff (wie Efluelda®), der die vierfache Antigenmenge im Vergleich zu Standardimpfstoffen enthält, oder mit der MF59-adjuvantierten Trivalent-Vakzine Fluad®. Die höhere Antigenmenge beziehungsweise der Zusatz eines Adjuvans verstärken nachweislich die Immunantwort und verbessern die Schutzwirkung bei Senioren.
Die jährliche Influenzaimpfung wird auch Patienten mit chronischen Erkrankungen empfohlen – darunter Kindern ab einem Alter von sechs Monaten (zum Beispiel Influvac®, Influsplit®, Xanaflu® oder Vaxigrip®) ebenso wie Menschen mit einer geschwächten Immunabwehr infolge einer Krankheit oder aufgrund der Einnahme von Immunsuppressiva. Da sie ein besonders hohes Risiko für schwere oder sogar tödliche Krankheitsverläufe tragen, profitieren sie besonders vom Impfschutz. Gleiches gilt für Bewohner von Alters- und Pflegeheimen. Auch Schwangere sollten ab dem zweiten Trimenon geimpft werden; bei bestehender Grunderkrankung kann die Impfung bereits früher erfolgen.
Für Kinder zwischen 2 bis 18 Jahren steht neben den Totimpfstoffen auch ein attenuierter Lebendimpfstoff als Nasenspray (Fluenz®) zur Verfügung. Die STIKO empfiehlt beide Impfvarianten gleichermaßen – allerdings nicht standardmäßig jährlich neu, sondern nur wenn eine Grunderkrankung besteht.