Herbstimpfungen sind Herzensangelegenheit |
Auch was die Notwendigkeit der Immunisierung gegen Pneumokokken betrifft, stehen besonders ältere Menschen mit (kardialen) Vorerkrankungen im Fokus. »Die Inzidenz invasiver Pneumokokken-Erkrankungen ist in den vergangenen Jahren erheblich gestiegen«, machte Professor Dr. Claus Vogelmeier, Internist und Pneumologe aus Marburg, bei einer Pressekonferenz des Unternehmens Pfizer deutlich. Angesichts der damit verbundenen Morbidität und Mortalität stellt diese Entwicklung ein nicht unerhebliches gesundheitliches Risiko dar.
»Die Hospitalisierungsrate infolge einer invasiven Pneumokokken-Erkrankung liegt bei den über 60-Jährigen bei 52 Prozent. Davon versterben 12 Prozent“, konkretisierte Vogelmeier mit aktuellen Daten. Die Krankheitslast steige mit zunehmendem Lebensalter, vor allem wenn Grunderkrankungen bestehen. „Die Tatsache, dass eine Pneumonie generell zu einer Exazerbation der zugrundeliegenden Erkrankung führt, trifft besonders bei Menschen mit kardiovaskulären Grunderkrankungen zu.«
So sei das Risiko einer ambulant erworbenen Pneumonie bei chronischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen um mehr als das Dreifache erhöht. Jeder fünfte Patient, der mit einer Pneumonie hospitalisiert wird, verstirbt im Krankenhaus, weitere 5 Prozent innerhalb der ersten 30 Tage nach Entlassung. Dabei stehen kardiovaskuläre Ursachen mit über 60 Prozent im Vordergrund. Besonders erschreckend laut des Experten: »Die erhöhte Mortalitätsrate bleibt noch bis zehn Jahre nach dem Ereignis bestehen.«
Vor allem im Zusammenspiel mit anderen Atemwegserregern treibt Staphylococcus pneumoniae sein Unwesen: So sei er mit 35 Prozent der häufigste Erreger von Koinfektionen von hospitalisierten Influenzapatienten. Und auch bei stationären RSV-Patienten ist er in 23 Prozent der Fälle der häufigster Zweiterreger, berichtete Vogelmeier.
Alles für bessere Impfquoten: Die Schutzimpfungen im Herbst als Familienprojekt, bei dem die Älteren als Vorbild dienen. / © Adobe Stock/VadimGuzhva
Die STIKO empfiehlt denn auch Personen ab 60 Jahren sowie Patienten ab 18 Jahren mit chronischen oder immunschwächenden Grunderkrankungen die Impfung gegen Pneumokokken. Sie sollen seit März 2024 den 20-valenten Konjugatimpfstoff (PCV20, Prevenar 20®) bekommen, da dieser einen breiten Schutz gegen jene 20 Serotypen vermittelt, die bei Senioren die größte Rolle spielen und mit schwerwiegenden Verläufen assoziiert sind. Erwachsene mit Grunderkrankungen, die in der Vergangenheit bereits eine sequenzielle oder einzelne Impfung mit dem 23-valenten Polysaccharidimpfstoff erhalten haben, sollen in einem Mindestabstand von sechs Jahren eine Impfung mit PCV20 erhalten. Für die Grundimmunisierung im Säuglingsalter empfiehlt die STIKO weiterhin vorrangig PCV13 oder PCV15, da bei PCV20 Unsicherheiten bezüglich der klinischen Wirksamkeit bestehen.
Angesichts niedriger Impfraten von nur 20 Prozent bei den Über-60-Jährigen sei dringend Handlungsbedarf. Denn auch die Durchimpfungsraten bei den Säuglingen sei nicht zufriedenstellend, weil noch zu viele keine Boosterung oder Impfungen nur zeitversetzt bekommen. »Wir adressieren unser Konzept, dass die ganz Jungen die Älteren schützen, nicht gut. Insofern kann der Schutz zwischen den Generationen nicht gut funktionieren«, sagte Vogelmeier.
Bei Pneumokokken handelt es sich um grampositive Bakterien der Art Streptococcus pneumoniae, die meist als Diplokokken vorliegen und von einer Polysaccharid-Kapsel umgeben sind. »Diese Kapsel ist der wichtigste Virulenzfaktor«, berichtete Vogelmeier. Die Polysaccharid-Zusammensetzung der Kapsel macht also die krankmachende Wirkung der Erreger aus. Sie kommt in etwa 100 verschiedenen Serotypen vor. Manche wie Typ 3 oder 19F sind stärker verkapselt, was zu einer erhöhten Virulenz führt.
Es gibt immer wieder Verschiebungen von Serotypen. Derzeit im Fokus: invasive Pneumokokken-Erkrankungen durch Serotyp 4. Er gewinnt vor allen Dingen bei den jüngeren Erwachsenen an Bedeutung und gehörte in der vergangenen Saison zu den fünf häufigsten Serotypen bei den 18- bis 59-Jährigen. Bei Kindern und Teenagern löste Serotyp 4 kaum solche Fälle aus, so der Pneumologe.
Das größte Erregerreservoir sind Menschen mit asymptomatischer nasopharyngealer Kolonisation, vor allem kleine Kinder unter fünf Jahren sind Keimträger von S. pneumoniae. Sie finden sich bei mehr als 50 Prozent der Kleinkinder unter fünf Jahren und etwa 5 bis 10 Prozent der Erwachsenen. »Dieses klassische Enkelkinder-Großeltern-Phänomen, dass die Kinder den Keim auf die Großeltern übertragen, stimmt so nicht mehr«, machte Vogelmeier deutlich. Neuere Studien zeigten, dass S. pneumoniae auch bei Erwachsenen direkt erstmals vorkommen kann und dass bestimmte Serotypen wie Typ 4 bevorzugt von Erwachsenen auf die Senioren übertragen werden können.