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AKWL-Fortbildung

Gut beraten bei Psychopharmaka

Antipsychotika sind unverzichtbare, aber nicht ganz unproblematische Medikamente. Was Apotheker bei der Abgabe beachten sollten, fasste die klinisch tätige Pharmazieprofessorin Dr. Martina Hahn bei der wissenschaftlichen Fortbildungstagung der Apothekerkammer Westfalen-Lippe am Sonntag in Münster zusammen.
Daniela Hüttemann
18.11.2019  15:10 Uhr

Zunächst einmal müsse man sich und durchaus auch den Patienten den Wirkmechanismus dieser Arzneistoffe klar machen, meint Hahn, die Lehraufträge an verschiedenen Universitäten hat und an der Vitos-Klinik Rheingau in Eltville seit vielen Jahren klinisch tätig ist. »Bei Schizophrenie und anderen Erkrankungen mit Wahn-Symptomatik liegt eine Dysbalance der Dopamin-Verteilung im Gehirn vor«, erklärt die Apothekerin. Die älteren klassischen Antipsychotika wirken neuroleptisch, indem sie die postsynaptischen Dopamin-Rezeptoren blockieren, vor allem den Subtyp D2. Dies wirke sehr gut auf die Positivsymptomatik einer Schizophrenie wie Wahn, Halluzinationen und Denkstörungen. Doch ganz ohne Dopamin geht es nicht, wie die Parkinson-ähnlichen Symptome als Nebenwirkung zeigen.

Ein großer Fortschritt in der Therapie sei 2004 die Zulassung von Aripiprazol gewesen. Es ist das erste Antipsychotikum mit partiellem D2-Agonismus. Dadurch wirke es besser gegen Negativsymptome wie Affektverflachung, Antriebsarmut und sozialen Rückzug. Erst vergangenes Jahr kam mit Cariprazin (Reagila®) ein zweiter Vertreter der Antipsychotika der dritten Generation auf den Markt. »Dabei handelt es sich um einen D2- und D3-Partialagonisten, der bevorzugt an D3 bindet«, erklärt Hahn. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit (IQWiG) habe die Vorteile von Cariprazin bestätigt. Es wirkt sich positiv auf die Lebensqualität aus. Wichtig für die Adhärenz: Die häufig zu Therapiebeginn auftretende starke Unruhe verschwindet meist nach den ersten Behandlungswochen.

Beide Substanzen haben ein günstigeres Nebenwirkungsprofil als viele der älteren Substanzen, doch auch sie zeigen durchaus Off-Target-Effekte über andere Rezeptoren. »Grundsätzlich lassen sich Wirkung und Nebenwirkungen gut aus den Rezeptorprofilen der Arzneistoffe ableiten«, so Hahn. Eine Übersicht findet sich auf Seite 58 der Langfassung der neuen S3-Leitlinie Schizophrenie. So wirken beispielsweise die Antipsychotika der zweiten Generation, die sogenannten atypischen Antipsychotika, zwar über die 5HT2A-Blockade gegen die Negativsymptomatik, doch ist dieser Serotonin-Rezeptor auch an metabolischen Veränderungen und der Diabetes-Entwicklung beteiligt – ein Risiko auch für schlanke Patienten. Die von vielen gefürchtete Gewichtszunahme wird davon unabhängig vor allem über den H1-Rezeptor vermittelt – eine typische Nebenwirkung vieler Antipsychotika der zweiten Generation wie Clozapin, Olanzapin und Quetiapin, nicht aber der dritten Generation. Sie ist dosisunabhängig.

Hilfestellung bei Nebenwirkungen

»Nebenwirkungen lassen sich oft mindern durch eine Optimierung der Einnahmezeitpunkte und zusätzliche Beratungshinweise«, berichtet Hahn. Bei potenzieller Gewichtszunahme sei bereits präventiv eine Ernährungsberatung empfehlenswert; bei orthostatischer Dysregulation durch α1-Blockade sollen die Patienten langsam aufstehen; die sehr häufig auftretende Mundtrockenheit durch anticholinerge Nebenwirkungen könnten Bonbons und künstlicher Speichel lindern. Apotheker könnten auch die Messung von Blutdruck, Blutzucker und Blutfettwerten anbieten, um unerwünschte Effekte frühzeitig zu erkennen.

»Die Patienten brauchen unsere Beratung«, betont Hahn. »Wir müssen darstellen, wie wichtig die weitere Einnahme ist. Betonen Sie die gute Wirksamkeit und die positiven Effekte: Die Patienten behalten ihre Arbeit, müssen nicht wieder in die Klinik und kommen besser mit Familie und Freunden klar.« Wichtig für die Patienten sei es zu wissen, dass bei einem Therapieabbruch die Rezidivgefahr stark erhöht ist.

Nicht so selten sehen Apotheker Medikationsprofile mit mehr als einem Antipsychotikum – ist das sinnvoll? Laut Hahn sollten erst einmal alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, zum Beispiel die Dosisanpassung oder ein Substanzwechsel. Erstmals empfiehlt nun die Leitlinie eine Kombination, wenn nach Monotherapie mit drei verschiedenen Antipsychotika (inklusive Clozapin, dem wirksamsten Antipsychotikum schlechthin) kein ausreichendes Ansprechen erreicht wurde . Hahn hält nur eine Kombination von zwei Substanzen mit verschiedenen Rezeptorprofilen für sinnvoll. Sonst sei kein synergistischer Effekt in Bezug auf die erwünschte Wirkung zu erwarten, wohl aber bei den Nebenwirkungen. »Mehr als zwei Antipsychotika sollte niemand bekommen.«

Interaktionen im Blick behalten

»Bei einer Verordnung von Antipsychotika sollten Sie immer einen Interaktions-Check durchführen«, rät Hahn. Zum Beispiel gelte es, die anticholinerge Gesamtbelastung, auch durch andere Medikamente, gering zu halten, vor allem bei älteren Patienten. Praktisch alle Antipsychotika verlängern die QT-Zeit am Herzen. Bei jeder Umstellung, ob in der Dosis oder auf ein neues Medikament, sollte ein EKG aufgezeichnet werden. Bei stabiler Einstellung sollte dieses mindestens einmal im Jahr gemacht werden.  »Fragen Sie den Patienten , wann er das letzte Mal beim EKG war.« Auch die antihistaminerge Wirkung könne sich aufaddieren und zu einer Sedierung bis hin zu Atemdepressionen führen. 

Ernst zu nehmen sind auch pharmakokinetische Interaktionen über den CYP-Metabolismus. Johanniskraut kann zum Wirkverlust der Antipsychotika führen, während Grapefruitsaft gefährliche Spiegel von Quetiapin induzieren kann. »Vorsicht auch, wenn es Änderungen beim Rauchen gibt«, warnt Hahn. Was viele nicht wissen: Wenn Raucher auf E-Zigaretten umsteigen, fallen die CYP-Induktionseffekte durch Benzpyrone weg und die Spiegel von Antipsychotika wie Clozapin und Olanzapin können stark steigen. Umgekehrt kann es, wenn jemand mit dem Rauchen anfängt, zu einem Wirkverlust der Antipsychotika kommen.

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