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Antikonvulsiva

Fachärzte warnen vor Präparateaustausch

Eine neue Studie hat gezeigt, dass der Austausch wirkstoffgleicher Präparate das Anfallrisiko für Epileptiker erhöhen kann. Die Deutsche Gesellschaft für Epileptologie hat nun eine Stellungnahme herausgegeben, wie Präparateumstellungen möglichst vermieden und bestmöglich medizinisch begleitet werden können.
Daniela Hüttemann
24.01.2019  14:34 Uhr

Angaben der Fachgesellschaft zufolge sind in Deutschland 800.000 Menschen an Epilepsie erkrankt. Die Patienten müssen in der Regel über lange Zeiträume Antikonvulsiva einnehmen, um nicht erneut einen Krampfanfall zu erleiden. Es stehen verschiedene Substanzen in unterschiedlicher Dosierung und Darreichungsform zur Verfügung. Eine wirksame und gut verträgliche Auswahl zu treffen, ist bei Epilepsie-Patienten oft nicht einfach. »Wenn eine Substanz keinen Erfolg zeigt, wird eine andere versucht«, schreibt die Fachgesellschaft.

Etwa zwei Drittel der Patienten könnten so erfolgreich behandelt werden und blieben unter der Therapie mit einem Antikonvulsivum langanhaltend anfallsfrei. »Hat die Behandlung Erfolg, sollte immer von einem Wechsel der Medikation abgesehen werden«, betont die Fachgesellschaft. Frei nach dem Motto »never change a running system« habe es keinen Sinn, einem Patienten einen neuen Wirkstoff zu verschreiben, wenn er unter der bisherigen Therapie gut eingestellt ist, also beschwerdefrei ist und keine nicht tolerierbaren Nebenwirkungen auftreten.

Doch nicht nur der Wechsel zwischen zwei Wirkstoffen sei problematisch, sondern schon der Wechsel von der Substanz eines Herstellers zu der gleichen Substanz eines anderen Herstellers, egal ob vom Originalpräparat zum Generikum oder umgekehrt oder von Generikum zu Generikum. Das belegt ein Studie, bei der die Daten von rund 3.500 Epilepsie-Patienten in Deutschland ausgewertet wurden. Deutlich mehr Patienten, die erneut einen Anfall erlitten, hatten ihr Präparat auf das Medikament eines anderen Herstellers mit dem gleichen Wirkstoff umgestellt (26,8 Prozent), als Patienten, die beim gleichen Präparat geblieben waren (14,2 Prozent), berichteten Neurologen um Professor Dr. Hajo M. Hamer vom Universitätsklinikum Erlangen in der Dezemberausgabe des Fachjournals »Annals of Neurology«. Das relative Risiko war um mehr als 30 Prozent erhöht (Odds Ratio 1,35). Davon schienen insbesondere ältere Patienten betroffen zu sein.

Die Adhärenz leidet

Praktisch stelle das Studienergebnis behandelnde Neurologen vor ein Dilemma, schreibt die Fachgesellschaft. »Wie alle Ärzte unterliegen wir dem Wirtschaftlichkeitsgebot und versuchen, möglichst häufig die kosteneffizientesten Präparate einzusetzen«,  erklärt Studienautor Hamer, der auch erster Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie ist. »Doch jeder Herstellerwechsel bei einem Antikonvulsivum kann zu Anfallsrezidiven führen, was wir natürlich zum Wohl unserer Patienten vermeiden möchten.« 

Ein erneuter Anfall hat oft deutliche Auswirkungen auf das Leben der Patienten: Sie dürfen beispielsweise über längere Zeit nicht Autofahren oder können auch bei ihrer Berufsausübung eingeschränkt sein. Die Konsequenzen eines Rezidivanfalls könnten so einscheidend sein, dass bei anfallsfreien Patienten möglichst jegliche Änderung der Medikation vermieden werden muss, um dieses vornehmliche Therapieziel nicht zu kompromittieren, heißt es in der Stellungnahme.

Als Gründe für das erhöhte Anfallsrisiko vermuten die Neurologen weniger Schwankungen der Bioverfügbarkeit zwischen die verschiedenen Präparaten, sondern Adhärenz-Probleme, insbesondere, wenn die Tabletten anders aussehen. »Herstellerwechsel können zu einer Verunsicherung bei den Patienten führen, die Einnahmefehler und dadurch eine suboptimale Therapie nachsichziehen«, heißt es in der Stellungnahme.

Aut-idem-Kreuz setzen

Die Fachgesellschaft empfiehlt , Herstellerwechsel – insbesondere bei anfallsfreien Patienten – möglichst zu vermeiden und das Aut-idem-Feld zu nutzen. Falls ein Wechsel notwendig ist, sollte der behandelnde Facharzt dem Patienten erklären, dass allein ein Veränderung der Erscheinungsform der Tablette oder der Verpackung keine pharmakologischen Auswirkungen habe - auch im Krankenhaus, wo vorübergehende Herstellerwechsel oft notwendig sind. Kontrollen des Blutspiegels der Substanz, ein sogenanntes Therapeutisches Drug Monitoring (TDM), vor und nach dem Präparatewechsel könne sinnvoll sein, um die Adhärenz zu prüfen. Bei Neueinstellungen oder erforderlichen Umstellungen der antiepileptischen Therapie sollten aus ökonomischen Gründen von vornherein kostengünstige Präparate eingesetzt werden.

Die Apotheker werden in der Stellungnahme nicht explizit genannt, obwohl sie auch durch eine entsprechende Beratung zur Adhärenz-Steigerung beitragen könnten. Die Epileptologen betonen jedoch, dass sie nichts von Rabattverträgen für Antikonvulsiva halten. So sei nicht mehr kontrollierbar, welches Medikament genau ihre Patienten erhalten. »Die Entscheidung über einen Austausch muss in jedem Fall kritisch fachärztlich geprüft

werden und ist somit den behandelnden Fachärzten zu überlassen«, fordern die Autoren.

Zudem kritisieren sie, dass bei aut idem angekreuzten Rezepten von Medikamenten mit Festpreis die Aufzahlung zu erheblichen finanziellen Belastungen – auch zuzahlungsbefreiter – Patienten führen könne, was aus Sicht der Fachgesellschaft nicht akzeptabel sei. Auch die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft zählt Antikonvulsiva in ihrer Leitlinie zur guten Substitutionspraxis zu den kritischen Arzneistoffen für einen Austausch.

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