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Epilepsie

Bei Anfall erstmal abwarten

24.01.2018  10:27 Uhr

Wie Außenstehende bei einem epileptischen Anfall richtig ­reagieren, erklärte Professor Dr. Andreas Schulze-Bonhage, Leiter des Epilepsiezentrums der Uniklinik Freiburg. Die Gabe einer Akuttherapie ist nicht nötig, aber die Atmung und das Bewusstsein des Patienten sollten noch eine Zeit lang beobachtet werden.

Bei einem epileptischen Anfall entladen sich große Nervenzellverbände synchron, was zu Störungen der Wahrnehmung, des Denkens und der Motorik führt. Häufig kündigen sich die Anfälle mit einer Art Aura an, die sich in gastrointestinalen Beschwerden, akustischen oder visuellen Phänomenen oder auch psychischen Symptomen wie Angst äußern können. »Der Anfall selbst dauert in der Regel 60 bis 80 Sekunden«, berichtete Schulze-Bonhage. Je nach Ursprungsort lassen sich verschiedene Anfallsformen unterscheiden. Neben den typischen Anfällen mit starken Verkrampfungen von Muskeln und Bewusstseinsstörungen bis hin zur Bewusstlosigkeit gibt es auch untypische Anfälle, etwa Lachanfälle oder Absencen (wenige Sekunden andauernde Bewusstseinsstörung). »Diese leichten Formen werden häufig über Jahre nicht als epileptisches Phänomen erkannt«, sagte der Mediziner. Gemeinsam ist den Anfällen, dass sie »ausgestanzt auftreten«, also zeitlich scharf abzugrenzen sind, und nur Sekunden bis ­Minuten andauern.

 

Verletzungen verhindern

 

Während eines epileptischen Anfalls sollten Umstehende den Betroffenen vor Verletzungen schützen, indem sie etwa einen Sturz verhindern oder ihn im Verkehr absichern, ansonsten aber abwarten. Maßnahmen, um einen Zungenbiss zu verhindern, sind obsolet. Wegen der Kürze der Anfallsdauer ist eine Akuttherapie weder möglich noch sinnvoll. Nach dem Anfall sollte der Patient in die stabile Seitenlage gebracht und noch eine Zeit lang überwacht werden, ob er wieder zu Bewusstsein kommt, etwa seinen Namen sagen kann, und normal atmet. »Die ersten Minuten sind kritisch«, sagte Schulze-Bonhage. Zum Teil sind in Folge eines Anfalls die Herzfrequenz verändert oder die Atemregulation gestört. Die Gabe von Diazepam oder anderer Substanzen habe in dieser Zeit keinen Nutzen, betonte der Neuroanatom mehrfach. Nur wenn der Anfall nicht innerhalb von fünf Minuten von selbst aufhört, beim sogenannten Status epilepticus, ist eine medikamentöse Unterbrechung des lebensbedrohlichen Zustands nötig. Hierzu kommen oral oder intravenös applizierte Benzodiazepine zum Einsatz, Natriumkanal­blocker oder andere Antiepileptika.

 

Nach der klassischen Definition liegt eine Epilepsie vor, wenn mindestens zwei unprovozierte epileptische Anfälle aufgetreten sind. Heute spricht man auch schon nach einem einmaligen Anfall von einer Epilepsie, wenn das Risiko für einen weiteren Anfall laut EEG-Daten, Bildgebung und Blutuntersuchungen bei mehr als 60 Prozent liegt. Dann wird mit einer Dauertherapie mit Antiepileptika begonnen. Ihr Ziel ist Anfallsfreiheit. Hierzu stehen etwa 20 bis 25 Substanzen zur Verfügung, unter denen patientenindividuell ausgewählt werden kann.

 

Bei Patienten mit komplizierten Epilepsieformen ist es keinesfalls sinnvoll, ein Antiepileptikum gegen ein wirkstoffgleiches Präparat auszutauschen, betonte Schulze-Bonhage. »Wenn wir einen Patienten mit einem Präparat gut eingestellt haben, darf dieses nicht gewechselt werden. Wir brauchen Konstanz in der Behandlung.« Antiepileptika hätten ein schmales therapeutisches Fenster, und schwankende Wirkspiegel könnten zu erneuten Anfällen führen.

 

Anfallsfrei durch die Nacht

 

Kritischer als früher werden heute Anfälle in der Nacht betrachtet, berichtete der Mediziner. Während diese früher als vergleichsweise harmlos galten, da keine Verletzungsgefahr besteht, versucht man heute, auch diese Patienten anfallsfrei zu bekommen. Der Grund ist, dass 90 bis 100 Prozent aller Fälle von plötzlichem unerwartetem Tod bei Epilepsie (Sudden Unexpected Death in Epilepsy, SUDEP) aus dem Schlaf heraus auftreten. »SUDEP verkürzt die Lebenserwartung von Epilepsie-Patienten enorm.« Anfälle im Schlaf seien daher nicht ungefährlich, erklärte der Experte.

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