Pharmazeutische Zeitung online
Coronavirus-Varianten

Escape-Mutationen machen Sorgen

Mutationen im Spike-Gen von SARS-CoV-2 lassen befürchten, dass die Wirkung der Covid-19-Impfstoffe gegen neue Varianten reduziert ist und Reinfektionen wahrscheinlicher werden. Trotz mehrerer neuer Studien ist das Bild aber unklar.
Christina Hohmann-Jeddi
23.01.2021  14:00 Uhr

Nahezu die gesamte Impfstoffentwicklung gegen Covid-19 zielt auf das Spike-Protein von SARS-CoV-2. Vor einien Monaten sind verschiedene Varianten aufgetaucht, die in dieser Zielstruktur eine Reihe von Mutationen aufweisen. Dies könnte bedeuten, dass sowohl die Immunantwort auf die Impfung als auch die nach natürlicher SARS-CoV-2-Infektion nicht mehr ausreichend Schutz gegen eine Infektion bieten könnten. Seit dem Auftreten der Varianten wird dies von den Herstellern der Impfstoffe, aber auch von unabhängigen Forschergruppen getestet.

Doch genaue Aussagen lassen sich anhand der Studien noch nicht treffen, da in der Regel nur die Antikörperantwort betrachtet wird, während der zelluläre Teil der Immunantwort nicht untersucht wird. Außerdem handelt es sich um In-vitro-Daten, von denen nicht sicher auf Real-Life-Effekte geschlossen werden kann.

Escape-Mutationen der südafrikanischen Variante

Was ist bisher bekannt? Seit Ende 2020 breitet sich in Südafrika eine Variante mit der Bezeichnung B.1.351 oder 501Y.V2 aus, die acht charakteristische Mutationen im Spike-Gen aufweist, von denen drei die Rezeptor-Bindedomäne betreffen (K417N, E484K und N501Y). Um zu untersuchen, ob die Variante der Immunantwort nach einer SARS-CoV-2-Infektion entkommen kann, testete ein Team um Sandile Cele von der University of KwaZulu-Natal in Durban, Südafrika, inwieweit Seren von Genesen die Variante neutralisieren können. Hierfür verwendeten die Forscher Seren von sechs Erwachsenen, die eine SARS-CoV-2-Infektion durgestanden hatten, und untersuchten an echten Coronaviren, ob diese durch die Antikörper in den Seren neutralisiert werden können. Die Ergebnisse stellen sie in einer auf dem Preprint-Server »MedRxiv« vor.

Demnach war die Neutralisationsaktivität der Seren bei der neuen Variante deutlich niedriger als bei anderen Virusvarianten und verschwand bei einem Probanden völlig. »Die Erkenntnisse deuten darauf hin, dass 501Y.V2 der Kontrolle durch neutralisierende Antikörper nach einer natürlichen Infektion entkommen kann«, heißt es in der Publikation. Diese wecke die Sorge, dass der Immunschutz gegen Reinfektionen beziehungsweise der durch Impfungen induzierte Schutz gegenüber der Variante reduziert sein könnte. Allerdings betonen die Autoren, dass es noch unklar sei, inwieweit neutralisierende Antikörper für den Schutz notwendig seien und welche Rolle spezifische T-Zellen hierbei spielten, die bei einer Infektion und einer Impfung auch gebildet werden.

In einer weiteren Studie aus Südafrika testete ein Team um Professor Dr. Penny Moore von der Witwatersrand-Universität in Johannesburg die Aktivität von Seren von Genesenen gegen verschiedene Kombinationen von Mutationen. Hierfür verwendeten die Forschenden Pseudoviren, nämlich ein HI-Virus, das mit verschiedenen Versionen des Spike-Proteins von SARS-CoV-2 ausgestattet wurde. Die Variante 501Y.V2 kann drei therapeutisch relevanten monoklonalen Antikörpern vollständig entkommen, schreiben sie auf »BioRxiv«. Zudem war sie nur noch wenig bis gar nicht mehr durch neutralisierende Antikörper aus dem Genesenen-Plasma angreifbar. Auch das Team um Moore fürchtet, dass die Wirkung der Spike-basierten Impfstofe reduziert sein könnte.

Professor Dr. Tulio de Oliveira, Seniorautor der Studie aus Durban, kommentiert gegenüber der Nachrichtenseite des Fachjournals »Nature«: »Das ist sehr besorgniserregend.« Es gebe inzwischen Belege für einige Reinfektionen mit der 501Y.V2-Variante. Ihre Fähigkeit, dem Immunsystem in Teilen zu entkommen, treibe vermutlich ihre Ausbreitung in Regionen, die von der ersten Pandemiewelle stark betroffen waren, sagt de Oliveira.

In weiteren Untersuchungen wollen beide Arbeitsgruppen testen, wie Seren von Geimpften mit den Coronavirus-Varianten zurechtkommen. Zudem werden für die kommenden Wochen Ergebnisse von Phase-III-Impfstoffstudien aus Südafrika erwartet, heißt es in der Publikation aus Durban. Falls die Variante einen Effekt auf die Impfstoffwirksamkeit habe, könne man darin vielleicht schon ein Signal erkennen.

Seite12>

Mehr von Avoxa