Erste Krankenkasse lockert Rabattverträge |
Bei der AOK Rheinland/Hamburg müssen die Rabattverträge während der Coronakrise nur noch eingeschränkt umgesetzt werden. / Foto: imago images/CHROMORANGE
Ist ein rabattiertes Arzneimittel in der Apotheke nicht vorrätig, darf das pharmazeutische Personal ab sofort von der Rabattvertragsregelung abweichen, sofern der Patient bei der AOK Rheinland/Hamburg versichert ist. Ziel ist es nach Angaben der Krankenkasse zu vermeiden, dass der Betroffene noch einmal in die Offizin zurückkommen muss, um sein Medikament abzuholen.
»Die AOK Rheinland/Hamburg geht davon aus, dass die Bevorratung der Apotheken wie bisher mit rabattierten und nicht rabattierten Arzneimitteln erfolgt«, schreibt die Kasse auf Anfrage der PZ. »Sollte es aber im Einzelfall bei der Versorgung eines Versicherten mit einem rabattierten Arzneimittel zu der Situation kommen, dass dieses in der Apotheke nicht sofort vorhanden ist, kann dieses Arzneimittel substituiert und ein Folgekontakt vermieden werden.«
Die Kennzeichnung der Nichtverfügbarkeit erfolgt demnach wie vertraglich vorgesehen. Die AOK Rheinland/Hamburg rechne jedoch damit, dass »aufgrund der Bevorratungslogistik der Apotheken es zu keinem signifikanten Anstieg des Austauschs kommt«.
Es sind herausfordernde Zeiten für die öffentlichen Apotheken und Krankenhausapotheken. Der Gesellschaft werden gerade einige Dinge eindrucksvoll vor Augen geführt. Dazu gehört die Tatsache, dass Apotheken vor Ort nicht zu ersetzen sind – für die Arzneimittelversorgung, für die Betreuung und Beratung der Patienten. Die immensen Arbeitsleistungen können von den Apotheken vor Ort gerade noch gestemmt werden. Aber geht das Apothekensterben weiter, ist das sicher nicht mehr zu bewerkstelligen. An dieser Stelle ein dringender Appell an die Politiker: Denken Sie um!
Zweiter Appell an die Entscheidungsträger: Handeln Sie jetzt und sorgen Sie dafür, dass Apotheken in Zeiten der Corona-Pandemie nicht unnütz durch bürokratischen Wahnsinn von der Kernaufgabe, der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung, ausgebremst werden! Rabattverträge, Importförderklausel, Genehmigungen: Die Liste an Vorgaben, die Apotheken gerade zusätzlich belasten, ist lang, viel zu lang. Das können wir uns nicht leisten. Es ist unverantwortlich, Patienten nur wegen der Einhaltung der Rabattverträge ein zweites Mal in die Apotheke kommen zu lassen.
Es ist sehr zu begrüßen, dass jetzt erste Kassen vorangehen und die Rabattverträge begrenzen. Bravo! Sie schützen damit Patienten und das Apothekenpersonal. Und auch Ärzte haben Besseres zu tun, als den Apothekern Anrufe zu beantworten, in denen es nicht um einen Notfall geht, sondern nur um die Erfüllung von Wirtschaftlichkeitsgeboten. Alles, was zur Entlastung der Apotheken in dieser herausfordernden Lage beträgt, erhöht auch den Patientenschutz.
Dritter Appell an die Politiker: Lernen Sie aus dieser Krise – auch was den Apothekensektor betrifft. Beispiel 1: Preisbindung für Medikamente. Ein geeignetes Instrument, das man nicht aushebeln darf, auch nicht peu a peu über Boni für Privatpatienten. Einen Vorgeschmack darauf, was die Folgen einer fallenden Preisbindung sind, bekommen wir gerade. Blicken Sie auf die Preise für Atemmasken und Desinfektionsmittel im Internet. Wollen Sie sich einmal für lebensnotwendige Medikamente vorstellen? Beispiel 2: Verlagerung der Arzneimittel- und Wirkstoffherstellung in ferne Länder. Auch hier gibt es Lehren zu ziehen. Nur um den letzten Cent aus dem System herauszuquetschen, sind viele Medikament jetzt schon nicht lieferbar. Sehr wahrscheinlich ist das erst ein Anfang. Sich dermaßen abhängig zu machen, ist gefährlich, unter Umständen sogar lebensgefährlich.
Sven Siebenand, Chefredakteur