EPA 2.0 kommt mit Verspätung |
Eigentlich sollte die E-Akte schon zu Beginn des Jahres 2022 neue Funktionen haben. Doch fehlende Updates erschweren deren Umsetzung. / Foto: Adobe Stock/HNFOTO
Die elektronische Patientenakte (EPA) dient dazu, Arztbriefe, Diagnosen oder Röntgenunterlagen eines Patienten digital zu bündeln. Sie ist quasi das Zuhause der persönlichen Gesundheitsdaten. Über Smartphone oder per Computer hat der Versicherte jederzeit Einblick in seine Dokumente. Doch noch machen nicht viele Menschen davon Gebrauch, obwohl sie sogar einen gesetzlichen Anspruch darauf haben, dass der Arzt auf Wunsch ihre E-Akte befüllt. Grundlage dafür ist unter anderem das Patientendaten-Schutzgesetz (PDSG). Ziel der E-Akte ist es auch, den Alltag in Arztpraxen und Apotheken zu erleichtern, die Heilberufler sowohl untereinander als auch mit den Patienten zu vernetzen und damit Informationsverluste zu vermeiden.
Aber von den rund 27 Millionen gesetzlich Versicherten der AOK etwa nutzen zum 5. Januar 2022 bundesweit erst knapp 22.150 Patienten die EPA. Bei der Barmer haben rund 17.200 der etwa 8,8 Millionen Versicherten ihre E-Akte bereits aktiviert. Und die DAK-Gesundheit spricht mit Blick auf ihre insgesamt rund 5,5 Millionen Kunden von einer »niedrigen vierstelligen Anzahl« an Nutzern.
Die Gründe für die niedrigen Nutzerzahlen liegen wohl zum einen darin, dass die EPA nicht besonders öffentlichkeitswirksam vorgestellt wurde. Versicherte müssen nämlich selbst aktiv werden und die Akte bei ihrer Krankenkasse einrichten lassen. Zum anderen hapert es noch an der Technik.
Inzwischen zündete zum 1. Januar 2022 aber bereits die zweite Stufe – die sogenannte EPA 2.0. Seitdem sollen unter anderem der Impfpass, das Zahnbonusheft, der Mutterpass und das Kinderuntersuchungsheft in der Akte liegen können. Die Krankenkassen mussten dazu zum Jahresbeginn ihre EPA-Anwendungen auf die Version 2.0 updaten. Das ist nach Gematik-Angaben auch bereits geschehen. Um die Dokumente aber erstellen und verarbeiten zu können, müssen auch die Ärzte technisch entsprechend ausgestattet sein. Das bedeutet: Sie benötigen ein Update ihres Konnektors und der Praxissoftware. Diese Aktualisierung wiederum ist noch nicht überall passiert, wie die Gematik gegenüber der PZ sagte. »Diese Installationen werden momentan noch vorbereitet und durchgeführt; die Umstellung auf die EPA 2.0. erfolgt – wie auch bei der Einführung der EPA – Schritt für Schritt«, heißt es.
Ebenfalls im Jahr 2022 soll sich der Nutzerkreis der EPA erweitern. Und zwar gilt es, auch Pflegekräfte, Hebammen, Entbindungshelfer sowie Physiotherapeuten anzubinden. Wie die Gematik berichtet, ist die Anbindung allerdings abhängig »von der Verfügbarkeit der technischen Komponenten in der entsprechenden Arbeitsumgebung. Diese Gruppen arbeiten oft auch in mobilen Umgebungen.« Demnach stehen die Lösungen derzeit noch nicht. Fazit: Die neuen Nutzer kommen also ebenfalls erst nach und nach dazu.
Inzwischen tummeln sich der Gematik zufolge drei Konsortien auf dem Markt, sprich Dienstleister, die sich im Auftrag der Kassen um die technische Umsetzung hinsichtlich einer App beziehungsweise Desktop-Lösung für die jeweilige EPA kümmern. Die Akte sieht nämlich nicht überall gleich aus. Denn anders als beim E-Rezept gibt es für die E-Akte keine zentrale halbstaatliche App-Lösung. Stattdessen entwickelt jede Kasse ihr eigenes digitales Angebot. Wird die EPA dann auch für privat Versicherte nutzbar, kommt laut Gematik ein weiteres solches Konsortium hinzu. Fristgerecht gestartet ist übrigens die koordinierende Stelle für Datenschutzfragen rund um die E-Akte. Die Gematik hatte den Auftrag, diese einzurichten, um auf Anfragen und Sorgen der Pateinten entsprechend reagieren zu können.
Aktuell existieren bei der EPA noch einige technische Hürden. Dabei geht es vor allem um die Verwendung von Broadcast-Operationen, wie die Gematik der PZ sagte. Das ist eine Abfrage, die über alle vorhandenen EPA-Konten läuft und diese nach einer bestimmten Krankenversichertennummer eines Patienten checkt. »Wird diese ungerichtete Abfrage sehr häufig durchgeführt und entsprechend zusätzlich noch aus jeder Arztpraxis, Apotheke oder Klinik, deren Software so arbeitet, dann kommt es an dem EPA-Aktensystem zu einer unnötig hohen Last, für die das System unter Umständen nicht beziehungsweise noch nicht ausgelegt ist«, so die Gematik. In enger Zusammenarbeit mit den Betreibern der Aktensysteme arbeitet die Gesellschaft nach eigenen Angaben aber bereits zusammen mit den Industriepartnern an kurzfristigen Verbesserungen des Systems, um die Last zu reduzieren. Parallel sei eine Lösung in Arbeit, die gänzlich ohne Broadcast-Operationen auskomme, heißt es.
Um die Nutzungszahlen der EPA aber langfristig zu erhöhen, sehen die Pläne der Ampel-Koalition vor, dass Krankenkassen all ihren Patienten automatisch eine EPA einrichten müssen. Patienten können dem aber künftig aktiv widersprechen (Opt-Out). Derzeit gilt aber eine Opt-In-Variante. Auch die Gematik vermutet, dass sich mit dieser Änderung der Nutzerkreis der E-Akte durchaus vergrößern könnte. »Die Erfahrungen anderer europäischer Länder zeigen, dass dies durchaus möglich ist. Hierbei kommt es jedoch auch darauf an, wie das Opt-Out genau ausgestaltet wird«, heißt es gegenüber der PZ.
Ob die EPA seit ihrer Einführung, den Ärzten tatsächlich schon Zeit gespart hat, die sie stattdessen für ihre Patienten nutzen konnten, will die Gematik aktuell nicht beantworten. Nur so viel: »Wie sich das auf den Behandlungsalltag auswirkt, wird sich erst in einem längeren Zeithorizont zeigen können. Wir führen hier regelmäßig eine wissenschaftliche Evaluation durch und befragen beispielsweise Ärztinnen und Ärzte dazu.«
Aufgrund von technischen Schwierigkeiten verzögert sich auch etwa die Digitalisierung der Zahnbonushefte. / Foto: Imago Images/ Jochen Tack
Wie schätzen die Ärzte selbst die Bedeutung der E-Akte in ihrem Alltag ein? »Die EPA spielt aktuell im Praxisalltag so gut wie gar keine Rolle. Unseres Wissens nach ist die Anzahl der Versicherten, die eine EPA nutzen, noch sehr überschaubar«, sagte die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) auf Nachfrage der PZ. Anders als ursprünglich geplant, sei die EPA 2.0 zum Jahresbeginn noch nicht einsatzbereit. »Wie wir hören, werden zwei von drei Konnektor-Herstellern ihre zugelassenen Updates für die EPA 2.0 und damit die Nutzung der MIOs frühestens Mitte des ersten Quartals 2022 flächendeckend bereitstellen. Der Dritte erst später.« Und beim MIO Mutterpass fehle noch die Zugriffsmöglichkeit für eine relevante Nutzergruppe, nämlich für die Hebammen. Zur Erinnerung: MIOs (Medizinische Informationsobjekte) sind die digitalen Informationsbausteine, die den standardisierten Austausch der medizinischen Daten im Gesundheitswesen möglich machen. Die KBV erachtet die semantische und syntaktische Standardisierung, die damit erreicht wird, für »ein Leuchtturmprojekt in der Digitalisierung«.
Die aktuelle Situation ärgert die KBV. Demnach hat die Vereinigung »sehr pünktlich« die nötigen Spezifikationen geliefert. Die MIOs zum Impfpass, Mutterpass, Kinderuntersuchungsheft und Zahnbonusheft seien also längst einsatzbereit. Doch deren Integration in die Praxisverwaltungssysteme (PVS), die Krankenhaussysteme sowie in die Frontends der Versicherten sei einfach »noch nicht abgeschlossen«. Die fehlenden Updates seien schuld daran. Aus Sicht der Ärzte wird die E-Akte jedoch auch in Zukunft nicht die Primärdokumentation ersetzen können – unabhängig von der geplanten Opt-Out- statt einer Opt-In-Regelung.
Auch die privaten Krankenversicherer sollten ihren Versicherten laut Gematik ab 2022 eine EPA anbieten. Nach Angaben des Verbands der Privaten Krankenversicherung (PKV) stehen sie zwar auch bereits in den Startlöchern, beginnen aber erst mit der Telematik-Infrastruktur 2.0. Da diese Version noch nicht eingeführt sei, konnten sich die Privatversicherten bislang noch nicht für die E-Akte registrieren, so der PKV zur PZ. »Wir erwarten, dass sich die ersten PKV-Unternehmen Mitte des Jahres 2022 an die Telematik-Infrastruktur anschließen und ihren Versicherten dann auch eine EPA anbieten.« Wie die Kassen auch, entscheiden die privaten Versicherungsunternehmen eigenständig, mit welchen Software-Anbietern sie für die E-Akte zusammenarbeiten wollen.
Wie sieht es bei den Kassen in Sachen EPA 2.0 aus? Bereits seit dem 20. Dezember 2021 stehen die neuen Funktionen wie Mutterpass, Zahnbonusheft oder Impfpass in der EPA zur Verfügung, erklärten die drei großen Player AOK, Barmer und DAK-Gesundheit gegenüber der PZ. Auch die Möglichkeit, dass der Versicherte bei jedem einzelnen Dokument entscheiden kann, welcher Leistungserbringer es einsehen kann, ist bei allen drei Kassen bereits seit Ende des Jahres 2021 möglich. Die Barmer, die für die E-Akte mit IBM kooperiert, betonte aber, dass dies auch voraussetze, dass die Arztpraxis beziehungsweise das Krankenhaus mit der notwendigen Technik ausgestattet sei. Grundsätzlich kann der Arzt die Datensätze und Dokumente in seinem Praxisinformationssystem anlegen, füllen und in der EPA des Versicherten ablegen, so ein Sprecher des AOK-Bundesverbands stellvertretend für die elf AOKen in Deutschland, die eine gemeinsame EPA-Lösung in Kooperation mit den Firmen Ernst & Young und x-tention Informationstechnologie anbieten. Damit komme es neben der Behebung von technischen und organisatorischen Hürden »entscheidend auf die Akzeptanz der Ärztinnen und Ärzte an«, betonte er. Und erklärte weiter: »Angesichts der aktuellen pandemischen Lage stehen zurzeit andere Themen wie die Impfkampagne im Vordergrund.« Damit impliziert die AOK wohl, dass die Ärzte derzeit schlichtweg keine Zeit haben, sich mit der Digitalisierung der Gesundheitsdokumente zu beschäftigen. Auch ein Sprecher von DAK-Gesundheit, die mit dem Software-Dienstleister Bitmarck in puncto EPA kooperieren, erklärte der PZ, dass derzeit »nur wenige Leistungserbringer technisch in der Lage sind, die EPA zu befüllen.«
Die Kassen sind aber zuversichtlich, dass die EPA im Laufe des Jahres 2022 an Bedeutung gewinnt, gerade angesichts der neuen Funktionen und der zunehmenden Anzahl an angeschlossenen Leistungserbringern. Im Falle von Mutterpass und Kinderuntersuchungsheft könnten sich die Patienten künftig beispielsweise entscheiden, ob sie diese elektronisch oder in Papierform erhalten wollen, so die AOK.
Dass nur wenige Versicherte bislang eine E-Akte angefragt haben, liegt nach Ansicht der Kassen auch in der derzeit freiwilligen Nutzung begründet. Stellt die Ampel das Verfahren wie im Koalitionsvertrag geplant um und die Kassen müssen ihren Kunden automatisch eine E-Akte einrichten, gehen sie von steigenden Nutzungszahlen aus. Die Barmer betonte gegenüber der PZ, dass eine Opt-Out-Lösung insofern die Nutzerzahlen erhöhen könnte, sofern die EPA ohne Aufwand und technische Kenntnisse nutzbar sei. »Der Zugang zur elektronischen Patientenakte muss so einfach wie möglich gestaltet werden.« Die gesetzlichen Krankenversicherungen sind auf jeden Fall gespannt darauf, wie genau der Gesetzgeber die Details einer Opt-Out-Lösung definieren will. Das betonten sie gegenüber der PZ. Bislang keine Antwort zum aktuellen Stand erhielt die PZ auf ihre Anfrage bei der Techniker Krankenkasse (TK).
Die Gematik arbeitet nach eigenen Angaben bereits an der Ausbaustufe 3.0, deren Einführung für das Jahr 2023 geplant ist. Folgende Funktionen sollen dann kommen:
Für 2024 sind dann weitere Ausbaustufen geplant, unter anderem: Die Anbindung an grenzüberschreitende E-Health-Anwendungen.
Das Papier-Rezept ist ein Auslaufmodell. Mit dem E-Rezept sollen alle Arzneimittel-Verordnungen über die Telematikinfrastruktur abgewickelt werden. Wir berichten über alle Entwicklungen bei der Einführung des E-Rezeptes. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite E-Rezept.