Einsame Entscheidung |
Theo Dingermann |
27.01.2021 15:00 Uhr |
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (Archivbild) / Foto: picture alliance
Wieder einmal überraschte in dieser Woche Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mit einem Coup. In einem Interview mit der »Bild am Sonntag« erfuhr man, dass ab kommender Woche monoklonale Antikörper zur Behandlung von Covid-19 in Deutschland als erstem Land in Europa – zunächst in Kliniken – eingesetzt werden sollen. Der Bund habe 200.000 Dosen der Antikörper Bamlanivimab von Eli Lilly und Casivirimab/Imdevimab von Regeneron für 400 Millionen Euro eingekauft. Sie könnten, so Spahn, bei Risikopatienten in der Frühphase der Erkrankung helfen, einen schweren Verlauf zu verhindern.
Hierüber kann man sich nur wundern, denn in dieser Krankheitsphase werden Patienten in der Regel überhaupt nicht stationär behandelt. Wie sollen sie dann eines der Präparate erhalten? Erstaunlich ist auch, dass die Nachricht von Spahns Großeinkauf bei Politikern fast aller Fraktionen positiv aufgenommen wurde. Womöglich herrschte bei ihnen der Eindruck vor, es handele sich um regulär zugelassene wirksame und unbedenkliche Arzneistoffe. Dies ist jedoch nicht der Fall: Bamlanivimab und Casivirimab/Imdevimab verfügen lediglich über eine Notfallzulassung in den USA, nicht aber über eine reguläre Zulassung – weder in den USA noch Europa. Bisher wurde bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMA nicht einmal ein entsprechender Antrag gestellt.
Das wiederum überrascht nicht, da die aktuelle klinische Datenbasis als unzureichend zu bezeichnen ist, wie vergangene Woche beim Online-Fortbildungskongress Pharmacon@home deutlich wurde. Auch die US-amerikanischen National Institutes of Health halten in einer aktuellen Stellungnahme fest, dass angesichts der Datenlage weder eine Empfehlung für noch gegen diese Form der Covid-19-Therapie möglich ist. Sie sollte momentan wenn überhaupt nur in kontrollierten klinischen Studien eingesetzt werden und keinesfalls als Standardtherapie.
In Europa gibt es außerhalb von klinischen Studien und besonderen Härtefällen keine nicht zugelassenen Arzneimittel, die legal eingesetzt werden. Und das ist gut so. Daher stellt sich die Frage, was Spahn bewogen hat, diese bemerkenswerte Anschaffung zu tätigen. 400 Millionen Euro für nicht zugelassene Arzneimittel mit unklarer Wirksamkeit an einem bewährten System der Arzneimittelüberwachung vorbei auszugeben, wäre im Normalfall eine rote Karte wert. Es bleibt der Eindruck, dass der Bundesgesundheitsminister unter dem Vorwand des Bevölkerungsschutzes eine einsame Entscheidung getroffen hat, um von aktueller Kritik an seiner Arbeit abzulenken.
Professor Dr. Theo Dingermann (rechts) ist Senior Editor der Pharmazeutischen Zeitung, Professor Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz Mitglied der erweiterten Chefredaktion der PZ. / Foto: PZ/ Alois Müller
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