Drei Mal ist zwei Mal zu viel |
Carolin Lang |
20.04.2023 17:00 Uhr |
Überdosierungen aufgrund von Doppelverordnungen oder eigens angeschafften Präparaten können vorkommen. Bei einer erweiterten Medikationsberatung läuft im Optimalfall alles zusammen und fällt auf. / Foto: Getty Images/Dobrila Vignjevic
Der Apothekeninhaber und Initiator der Fortbildungsreihe, Stefan Göbel, stellte gemeinsam mit seiner angestellten Apothekerin, Birgit Kemkes, einen Fall aus seiner Apotheke vor. Im Fokus steht eine 84-Jährige Patientin mit Hypertonie, koronarer Herzkrankheit und Osteoporose, die Kemkes als »recht vital und eigensinnig« beschreibt. Beim Anamnesegespräch erfasste sie folgende verordnete Dauermedikation:
Arzneistoff(-Kombination) | Einnahmeschema |
---|---|
Moxonidin 0,2 mg | 0-1-0-0 |
Acetylsalicylsäure 100 mg | 0-1-0-0 |
Naproxen 500 mg | 1-0-1-0 |
Nebivolol 5 mg | 1/2-0-0-0 |
Simvastatin 20 mg | 0-0-1-0 |
L-Thyroxin 100 µg | 1-0-0-0 |
Lercanidipin 20 mg | 1/2-0-1/2-0 |
Calciumcarbonat/Cholecalciferol 1000 mg/880 I.E. | 1-0-0-0 |
Telmisartan/Hydrochlorothiazid 80 mg/12,5 mg | 1-0-0-0 |
Moxonidin 0,3 mg | 1-0-0-0 |
Denosumab 60 mg | alle sechs Monate |
Cholecalciferol 20.000 I.E. | alle fünf Tage |
Es stellte sich heraus, dass die Patientin eigenständig Naproxen zur Schmerzlinderung sowie Acetylsalicylsäure zur Thrombozytenaggregationshemmung abgesetzt hatte. Letztere hat sie durch ein Nahrungsergänzungsmittel mit Traubenkernöl ersetzt. Die Dosis von Simvastatin hat sie zudem eigenständig von einer Tablette am Abend auf eine halbe reduziert. Bei Bedarf nimmt die Patientin außerdem Ibuprofen (600 mg) und Pantoprazol (20 mg) ein. Auf Empfehlung ihrer Tochter hin hatte sie sich außerdem ein Präparat mit 20.000 I.E. Cholecalciferol online bestellt, das sie einmal wöchentlich einnimmt.
»Vitamin D3 ist der Elefant, der hier im Raum steht«, kommentierte Göbel die Medikation. Nicht nur nimmt die Patientin drei verschiedene Vitamin-D3-haltige Präparate ein, die Calcium-Aufnahme werde durch HCT auch noch verstärkt. Letztlich bestehe hier ein erhöhtes Risiko für ein akutes Nierenversagen infolge einer Hypercalcämie, stellte er klar.
»Die Patientin besuchte sowohl einen Haus- als auch einen Facharzt«, schilderte Kemkes. Die Ärzte wussten nichts von der jeweils anderen Verordnung – so kam es zur Doppelmedikation. In der Apotheke lief dann alles zusammen. Kemkes hat der Patientin angeraten, umgehend zwei der Vitamin-D3-Präparate abzusetzen und nur die Dosierung des Orthopäden, also einmal alle fünf Tage 20.000 I.E. Vitamin D3, beizubehalten. Der Hausarzt habe die Einnahme später noch weiter, nämlich auf alle 14 Tage, reduziert.
Zu beachten ist, dass die Patientin außerdem L-Thyroxin einnimmt – laut Plan genau wie ursprünglich Calciumcarbonat morgens. Hier gilt es zu klären, ob die Patientin den nötigen zeitlichen Abstand stets eingehalten hat. Sei dies nicht der Fall, könnte durch das Absetzen von Calciumcarbonat plötzlich mehr L-Thyroxin bioverfügbar sein. In jedem Fall sei eine Kontrolle der Schilddrüsenwerte sinnvoll.
Abgesehen von der Vitamin-D3-Überdosierung bestehe auch an anderer Stelle noch Optimierungspotenzial bei der Medikation. Doch »man muss bei einer Medikationsanalyse priorisieren«, erinnerte Göbel. »In dem Fall stand die potenzielle Vergiftung mit Vitamin D3 im Vordergrund.« Weiter sei es etwa wünschenswert, die Blutfettwerte nach der eigenständigen Dosisreduktion von Simvastatin kontrollieren zu lassen.
Kemkes sah es noch kritisch, dass die Patientin ASS durch Traubenkernöl ersetzt hat – unter der Annahme, dass der Effekt gleich sei. Zwar habe sie die Patientin darüber aufgeklärt, dass dem nicht so ist, und ihr dringend zur ASS-Einnahme geraten, doch überzeugen ließ sie sich zu Kemkes Bedauern nicht.
Dennoch war es unterm Strich eine »sehr erfolgreiche« Medikationsanalyse, resümierte Göbel. »Ein akutes Nierenversagen aufgrund einer Vitamin-D3-Überdosierung zu verhindern, ist ein dickes Ding«, sagte er abschließend.
Bei der Pharma4u-Webinarreihe »100 Medikationsanalysen später« stellt der Initiator und Apotheker Stefan Göbel regelmäßig Fälle von erweiterten Medikationsberatungen aus der Apothekenpraxis vor. Die Teilnahme ist kostenlos und ohne Pharma4u-Premium-Account möglich. Über diese bisher vorgestellten Fälle hat die PZ bereits berichtet:
Weiter geht es am 11. Mai. Ein Schwerpunkt liegt auf der Teamarbeit bei den pharmazeutischen Dienstleistungen. Weitere Informationen finden Sie hier.