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Kommentar

Die wahren Digitalisierungsverweigerer

Apotheker mit mehr Digitalisierungsdisziplin

Apotheker mit mehr Digitalisierungsdisziplin

Mehr Disziplin beim Anschluss an die Telematikinfrastruktur zeigen die Apotheken: Schon im März dieses Jahres verfügten drei Viertel aller Apotheken über die richtigen Konnektoren, rund 90 Prozent der Inhaber hatten sogar schon die Institutionenkarte (SMC-B) vorliegen. Mittlerweile dürften fast alle Apotheken angeschlossen sein. Und auch bei den Covid-19-Impfzertifikaten waren es trotz anfänglicher, technischer Probleme zuletzt die Apotheken, die als Innovationstreiber im Gesundheitswesen dienten: Während die Offizinen Millionen von Bundesbürgern vor dem Sommerurlaub digitale Zertifikate ausstellten, waren die Praxen technisch noch gar nicht in der Lage diese zu erzeugen. Ähnlich gilt dies übrigens auch für die Coronavirus-Tests, die die Apotheken in der Pandemie (samt digitaler Termin-Vergabe und später auch mit digitalen Test-Zertifikaten) viel schneller und flächendeckender angeboten hatten als die Ärzte.

Aus einem anderen Grund verwundert die Verweigerungshaltung der Ärzte gegenüber der Digitalisierung dann aber doch etwas: Denn bei der Einführung und Überwachung der Online-Sprechstunden ist die Ärzteschaft erstaunlich ruhig. Obwohl ihnen hier  – teils von ausländischen Unternehmen – ein viel deutlicherer Budgetteil abgeschnitten wird, als beispielsweise durch Grippeimpfungen in Apotheken, gibt es keine Proteste. Auch dass viele dieser Online-Praxen die Verschreibungspflicht nicht allzu ernst nehmen und Rx-Präparate nach dem Ausfüllen von Fragebögen »verordnen«, ist kein politisches Thema für die Kassenärzte.

»Jetzt-erst-recht-Mentalität« wäre die richtige Antwort

Recht haben die Ärzte allerdings mit der Feststellung, dass die von der Bundesregierung verfolgten Digitalisierungskomponenten derzeit noch unausgereift und fehlerhaft sind. Der Plan, das E-Rezept am 1. Januar 2022 flächendeckend und bundesweit einzuführen, war naiv und mit Blick auf die vielen Fehler im System eigentlich schon vor Monaten unrealistisch. Das von Jens Spahn (CDU) geführte Bundesgesundheitsministerium hätte das erkennen, die Pläne anpassen und neue Zeitpläne herausgeben müssen. Doch selbst wenn sich Spahn und seine Digital-Mannschaft komplett verplant haben, ist ein »Digitalisierungsmoratorium« zu diesem Zeitpunkt das gänzlich falsche Signal. Wie erklärt man es den GKV-Beitragszahlern, dass die ins E-Rezept oder in die elektronische Patientenakte (EPA) investierten Milliarden erst einmal keinen Nutzen haben und dass Deutschland im Vergleich zu den meisten anderen europäischen Ländern schlecht abschneidet in Sachen Digitalisierung? Schöner wäre eine »Jetzt-erst-recht-Mentalität«: Die begonnen Digital-Projekte sollten auch von den Ärzten als Versorgungsverbesserungen erkannt und mit realistischen Zeitplänen über die Ziellinie gebracht werden. Die neue Bundesregierung sollte sich dieser Mentalität auch anschließen und – falls nötig – die wahren Digitalisierungsverweigerer in ihre Schranken verweisen.

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