Pharmazeutische Zeitung online
Kommunikation im Gesundheitswesen

»Die Magie von KIM erfolgt im Hintergrund«

Das System KIM (Kommunikation im Medizinwesen) ermöglicht den sicheren Austausch medizinischer Dokumente zwischen den Akteuren im Gesundheitswesen. Was es dabei für Apotheken zu beachten gibt, erläutert Thomas Jenzen im PZ-Interview. Er ist Produktmanager KIM bei der Gematik.
Jennifer Evans
05.11.2020  09:00 Uhr

PZ: KIM gilt bereits seit Juli 2020 als Standard-Übermittlungsverfahren für medizinische Dokumente. Welche Vorteile hat das System für die Apotheke?

Jenzen: Die Apotheken kommen in den Genuss einer sicheren E-Mail-Kommunikation. Mit KIM bekommen sie quasi out of the box ein verlässliches Verfahren für das sichere Versenden von Dokumenten und die Authentizität des Absenders. Wenn ein Apotheker zum Beispiel nach § 17 Absatz 6a der Apothekenbetriebsordnung einen Arzt über die Abgabe einer Zubereitung informier­en muss, kann das nun über KIM erfolgen. Aus Gründen des Datenschutzes war der Austausch via herkömmlicher E-Mail zuvor nicht zulässig.

PZ: Alle Akteure erhalten eine KIM-E-Mail-Adresse vom Anbieter. Wie ist diese aufgebaut?

Jenzen: Zunächst bekommt jede Institution eine eigene E-Mail-Adresse. Der Apotheke ist freigestellt, ob sie dafür den Namen des Betriebs oder des Inhabers wählt. Die Institutionsidentität ist an den Institutionsausweis (SMC-B) gekoppelt. Überlegen sollte jeder sich, ob er für alle Vorgänge dieselbe KIM-Adress­e nutzen will oder verschiedene E-Mail-Adressen bei einem zugelassenen KIM-Anbieter beantragt. Zusätzlich gibt es personenbezogene E-Mail-Adressen, die wiederum an den elektronischen Heilberufsausweis (HBA) gebun­den sind. Die KIM-Adresse setzt sich somit aus Apothekenname beziehungsweise Personenname zusammen und endet auf @anbieter-domain.kim.telematik. Die Anbieter-Domain-Bezeichnung kann sich aus dem Namen des Anbieters ergeben oder auch vom Anbieter frei gewählt werden.

PZ: Die Firma CompuGroup Medical (CGM) hat im Juni 2020 die erste KIM-Zulassung erhalten. Andere Anbieter stehen in den Startlöchern. Wie kann ein Apotheker entscheiden, welcher zu ihm passt?

Jenzen: Bis Ende 2020 rechne ich mit insgesamt drei zugelassenen KIM-Anbietern und zum Ablauf des ersten Quartals 2021 mit weiteren drei. Alle Firme­n müssen die Gematik-Anforderungen erfüllen, welche in Zulassungsverfahren geprüft werden. Der Apotheker stellt sich also nicht schlechter, wenn er den einen oder den anderen wählt. Ich rate den Apotheken, sich für die Entscheidungshilfe mit ihren Software­häusern in Verbindung zu setzen. Diese sprechen in der Regel Empfehlungen aus, weil sie womöglich eine Kooperation mit einem Anbieter eingehen. Jeder Apotheker kann natürlich auch selbst auf die zugelassenen KIM-Anbieter zugehen. Einen Überblick über die bereits zugelassenen Player gibt es im Fachportal auf der Gematik-Website.

PZ: Ist der Markt mit sechs Anbietern nicht schon gesättigt?

Jenzen: Grundsätzlich sind wir damit gut aufgestellt. Ich könnte mir vorstellen, dass vielleicht noch ein paar Hersteller hinzukommen. Wenn noch weitere Sektoren wie etwa die Pflege oder Hebammen an die Telematik-Infrastruktur angeschlossen werden, könnte dort womöglich eine Lösung aus eigenen Reihen entstehen, die dann auf einen bestimmten, dann auch erweiterten Nutzerkreis abgestimmt ist.

PZ: Welche technischen Anpassungen sind in der Apotheke nötig?

Jenzen: KIM ist so aufgebaut, dass man damit auch im Apothekenverwaltungssystem oder mit einem Standard-E-Mail-Programm wie Outlook oder Thunderbird arbeiten kann. Dafür muss ein sogenanntes KIM-Clientmodul integriert sein, das als Schnittstelle zwischen dem E-Mailprogramm und dem E-Health-Konnektor dient. Das KIM-Clientmodul bedarf einer eigenen Gematik-Zulassung und wird durch die KIM-Anbieter mitgeliefert. Damit ist automatisch sichergestellt, dass es funktioniert, sicher und interoperabel ist. Der Königsweg wäre die Integration von KIM in den Workflow des Primärsystems. Wenn also der Apotheker eine Meldung an den Arzt schicken will, sollte das idealerweise über das Apothekenverwaltungssystem erfolgen, sodass die Daten bereits vorausgefüllt sind und der Apotheker nur noch auf Senden drücken muss. Das funktioniert bereits mit der ersten Version von KIM.

PZ: Welche Formate und Dateigrößen unterstützt KIM?

Jenzen: Generell hat das System keine Einschränkung hinsichtlich der Datei­formate. Es kann Bilddaten, PDF- oder Text-Dateien sowie Audio- oder Videoanhänge transportieren. Bei der KIM-Version 1.0 gibt es eine Dateigrößen-Beschränkung von 25 Megabyte. Die Folgeversion KIM 1.5 bietet dann die Möglichkeit, bis zu 500 Megabyte zu versenden. Wir rechnen Mitte 2021 damit, dass diese Funktion bei mindestens zwei der Anbie­ter schon zur Verfügung steht. Schwenkt der KIM-Anbieter auf die Nachfolgeversion um, merkt der Apotheker nichts davon. Das Update ist immer auch abwärts kompatibel. Zusätzlich ist ab KIM-Version 1.5 die sogenannte Dienstkennung verpflichtend, sodass automatische Verarbeitungsprozesse besser unterstützt werden.

PZ: Wie stellen Sie sicher, dass niemand die KIM-Nachrichten unbemerkt verfälschen oder manipulieren kann?

Jenzen: KIM sichert den Übermittlungsweg Ende-zu-Ende ab. Die Nachrichten werden signiert und mit dem Zertifikat des Empfängers verschlüsselt, und der Transport ist ebenfalls verschlüsselt. Erst beim Empfänger wird die Nachricht entschlüsselt, die Signatur geprüft, und dann ist die Nachricht verfügbar. Die Magie von KIM erfolgt im Hintergrund. KIM-Anwender müssen sich keine Gedanken mehr darüber machen, ob der Absender oder der Empfänger vertrauenswürdig ist. Wie mit den Daten innerhalb eines Unternehmens umgegangen wird, können wir als Gematik mit den technischen Vorgaben nicht regeln. Das muss der jeweilige Betrieb selbst machen. In der Apotheke unterliegen die Mitarbeiter mit Blick auf die sensiblen Gesundheitsdaten ohnehin einer Verschwiegenheitspflicht. Wie erwähnt, kann eine personenbezogene E-Mail-Adresse hier davor schützen, dass zu viele Personen Zugriff haben.

PZ: Was passiert, wenn der Apotheker seinen KIM-Anbieter wechseln möchte?

Jenzen: Der Wechsel ist mit einer neuen E-Mail-Adresse verbunden. Das bedeutet, dass die neue Adresse den Kommunikationspartnern bekannt gemacht werden muss. KIM unterstützt das durch ein zentrales Adressbuch für alle KIM-Nutzer. Hier wird die neue Adresse hinterlegt und ist dann für die anderen Nutzer immer aktuell.

PZ: Hat KIM Schnittstellen zum E-Medikationsplan (EMP) oder zur elektronischen Patientenakte (EPA)?

Jenzen: Nein. Jedoch können Daten mittels KIM bei Bedarf aus dem Primärsystem an einen anderen Akteur übermittelt werden. Direkte Schnittstellen gibt es nicht. Das liegt daran, dass KIM kein Speicher ist, sondern der Transportweg.

PZ: Was hat es mit der Institutionskarte, der sogenannten SMC-B-ORG, auf sich? Und wer entscheidet, welche Institutionen aufgenommen werden?

Jenzen: Seit September 2020 können Gesellschafter der Gematik sowie deren Organisation SMC-B ORG erhalten, um an KIM teilnehmen zu können. Denn dort besteht ebenfalls der Bedarf an sicherem Datenaustausch mit ihren Mitgliedern. Alle Akteure aus dem SGB V sind grundsätzlich Teil des Nutzerkreises. Im ersten Schritt sind das die Gesellschafter der Gematik samt den Organisationen auf Landesebene. Damit können sie beispielsweise Informationen von Bundesebene sicher auf Länderebene und von dort aus weiter in die Mitgliedschaft verteilen. Darüber hinaus sind wir offen dafür, auch weitere Akteure zuzulassen. Die Entscheidung, welche zukünftigen Nutzer an KIM angeschlossen werden können, obliegt dem Gesetzgeber oder den Gesellschaftern der Gematik.

PZ: Kann der Versicherte dem Datentransfer mit KIM widersprechen?

Jenzen: Elektronische Übermittlungswege sind grundsätzlich zustimmungspflichtig. Jeder Versicherte unterschreibt eine allgemeine Einwilligungserklärung, wenn er neu in einer Arzt­praxis ist. Für den Transportweg über KIM sollte eine ergänzende Passage auf diesem Datenschutzformular ausreichen.

PZ: Viele Apotheker sind skeptisch, ob KIM wirklich die Kommunikation verbessert. Wenn der Arzt die Nachricht am Samstag nicht liest, ändert sich nichts, sagen sie. Was entgegnen Sie?

Jenzen: Die Erreichbarkeit und Verfügbarkeiten zwischen bestimmten Einrichtungen müssen natürlich die Akteure selbst gestalten. Über das KIM-Adress­buch ist zumindest erkennbar, ob jemand eine Nachricht empfangen kann. Und der Nutzer kann darin freiwillig Auskünfte über seine Verfügbarkeit oder Öffnungszeiten geben. Ich denke, die Akzeptanz von KIM wird durch die komfortable Integration in das Apothekenverwaltungssystem erreicht.

PZ: Wo sehen Sie die Grenzen des KIM-Systems? Und welche Funktionen könnten noch hinzukommen?

Jenzen: KIM deckt den Bedarf für Standardkommunikation sowie automatisierte Verarbeitung von strukturierten Daten sehr gut ab. Ich sehe aber auch steigenden Bedarf im Bereich der Ad-hoc-Kommunikation, also Messengerdienste, Gruppenchats oder Videoschaltungen. Diese sind für kurze, informelle Anfragen, die ein schnelles Feedback erfordern, gut geeignet. Auch im Bereich von mobilen Versorgungsszenarien wie der Notaufnahme wäre vieles denkbar. Der Vorteil dabei wäre, dass nicht nur der Verlauf des Notfalls abgebildet wird, sondern auch, welcher Personenkreis bereits informiert ist. KIM wird stetig am Nutzerbedarf angepasst. So wird zukünftig die mobile Nutzung von KIM für das sichere Senden und Empfangen von Nachrichten unterstützt.

Mehr von Avoxa