Die grüne Apotheke |
Melanie Höhn |
18.09.2022 08:00 Uhr |
Die CO2-Emissionen zu verringern, ist ein Hauptbaustein zur Verbesserung des ökologischen Fußabdrucks. / Foto: Adobe Stock/Juan Manuel Resquin
Immer mehr Treibhausgase sammeln sich in der Atmosphäre an und verstärken den Klimawandel. Laut Umweltbundesamt stiegen die Treibhausgas-Emissionen in Deutschland 2021 gegenüber dem Vorjahr um 4,5 Prozent an und liegen nun bei 762 Millionen Tonnen. Um den Klimawandel aufzuhalten, sind alle Gesellschaftsbereiche dazu aufgerufen, dem entgegenzuwirken.
Klar ist: Auch im Gesundheitswesen muss sich einiges ändern – das sieht auch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) so. Alle Akteure aus der Gesundheitsbranche müssten sich daran beteiligen, ein ökologisch nachhaltiges Gesundheitswesen zu schaffen, sagte Ute Winkler, Leiterin des Referats »Umweltbezogener Gesundheitsschutz, Klima und Gesundheit« des BMG bei einer Veranstaltung zum Thema Klimawandel und Präventionskonzepte für die Zukunft. Das Gesundheitswesen in Deutschland trägt laut Winkler mit etwa 5 Prozent zu den Treibhausgas-Emissionen bei und stößt damit mehr Schadstoffe aus als der Flugverkehr oder die Schifffahrt.
Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, Treibhausgas-Neutralität bis zum Jahr 2045 zu erreichen. Laut Ute Winkler soll noch in diesem Jahr ein Klimaschutz-Sofortprogramm in die Gesetzgebung eingebracht werden; die Bundesregierung will zusätzliche 8 Milliarden Euro investieren, um Treibhausgas-Emissionen bei Gebäuden, im Verkehr, in der Energie- und Landwirtschaft sowie in der Industrie zu reduzieren.
Zudem starten die Vorbereitungen für das im Koalitionsvertrag verankerte nationale Klimaanpassungsgesetz. Mit diesem Gesetz soll ein Rahmen geschaffen werden, um »messbare Ziele in den Handlungsfeldern Hitzevorsorge, Gesundheits- und Allergieprävention und Wasserinfrastruktur« umzusetzen, heißt es im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP. Es ist durchaus vorstellbar, dass die Bundesregierung in diesen Gesetzesinitiativen auch neue Klimamaßnahmen für Teile des Gesundheitswesens aufgreift.
Um den Klimaschutz im Gesundheitswesen voranzutreiben, gründen sich immer mehr Initiativen, etwa die Pharmacists for Future, Health for Future oder die Deutsche Allianz für Klimawandel und Gesundheit (KLUG). Die Pharmacists for Future erarbeiten gerade mit der Landesapothekerkammer Thüringen einen Leitfaden, wie Apotheken nachhaltiger agieren können.
Laut einer Apobank-Studie aus dem Jahr 2021 bezeichnen nur 19 Prozent der befragten Apothekerinnen und Apotheker ihre Apotheke als nachhaltig. Es fehlt ihnen in erster Linie an alternativen Lösungen, doch auch hohe Kosten und wenig Unterstützung von öffentlicher Seite sind laut Studie Herausforderungen auf dem Weg zur grünen Apotheke. Mit 90 Prozent sind sich fast alle Befragten einig, dass Maßnahmen, die einen positiven Effekt auf Umwelt und Klima haben, gleichzeitig die Gesundheit verbessern und die Lebensqualität steigern.
Auch die Standesvertretung der Apotheker beschäftigt sich zunehmend mit dem Klimaschutz. Dass der Deutsche Apothekertag 2022 unter dem Motto »Klimawandel, Pharmazie und Gesundheit« steht, zeigt die Dringlichkeit des Themas auch für die Apothekenbranche. Denn der Klimawandel hat unmittelbare Auswirkungen sowohl auf den Apothekenbetrieb als auch auf die Gesundheit der Patienten. In diesem Beitrag werden Motivation, Anregungen und konkrete Maßnahmen zum Klimaschutz thematisiert – der Bereich der nachhaltigen Arzneimittelherstellung und -entsorgung ist jedoch ein eigenes umfangreiches Feld, das hier nicht bearbeitet wird.
18 Anträge zum Thema Klimaschutz und Nachhaltigkeit erwartet die Delegierten auf dem Deutschen Apothekertag (DAT). Ein Antrag der Apothekerkammern Thüringen und Westfalen-Lippe im Jahr 2021 war der Anlass, den DAT unter das Motto »Klimawandel, Pharmazie und Gesundheit« zu stellen (lesen Sie dazu das Interview mit Matthias Zink, Vorstandsmitglied der LAKT).
In den diesjährigen Anträgen wird unter anderem der Gesetzgeber dazu aufgefordert, alle Bereiche auf Klimaneutralität und Nachhaltigkeit hin zu prüfen. Weiterhin soll er »im Rahmen der Zulassung von Humanarzneimitteln die Umweltrisiken« erfassen und gegebenenfalls Schutzmaßnahmen festlegen. Außerdem wird das BMG dazu aufgerufen, »gemeinsam mit den Marktbeteiligten die benötigten Ressourcen zur Versorgung des deutschen Arzneimittelmarktes mit Arzneimitteln zu ermitteln und Verbesserungen zur Verwendung dieser Ressourcen einzuleiten«.
Mehr Digitalisierung und eine effiziente Lagerhaltung: Das ist für die Apotheke ökologisch und wirtschaftlich sinnvoll. / Foto: Adobe Stock/HQuality
Die pharmazeutische Industrie wird aufgefordert, »nachhaltige und umweltschonende Verpackungskonzepte zu entwickeln«. Zudem sollen Apotheker ihre Arbeit klimafreundlich gestalten, »ohne dass die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln beeinträchtigt wird und ohne dass dies zu negativen wirtschaftlichen Folgen oder bürokratischem Aufwand führt«.
Die Landesapothekerverbände und der Deutsche Apothekerverband werden dazu angehalten, Konzepte für klimaneutrale Apotheken sowie Beratungsangebote und Fördermaßnahmen zu entwickeln. Darüber hinaus werden höhere Lagertemperaturen und klimaneutrale Geschäftsstellen gefordert – außerdem ein Ende der Bonpflicht in den Apotheken und im Einzelhandel. Zudem würden noch immer »viele unnötige Zugaben und kostenlose Add-Ons von herstellenden Unternehmen verschiedener apothekenüblicher Produkte zu Marketingzwecken entwickelt und über die Apotheke verteilt«, heißt es in einem Antrag der Landesapothekerkammer Thüringen. Daher werden ein Verzicht auf Add-Ons und die umweltschonendere Herstellung notwendiger Proben gefordert.
Mit diesen nachhaltigen Gedanken und Konzepten beschäftigt sich Esther Luhmann schon lange. Die Apothekerin ist bei den Pharmacists for Future aktiv sowie Vorstandsreferentin des Vereins demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VdPP).
»Wir alle wissen, dass es dringend ist, Apotheken nachhaltiger zu gestalten«, warnte sie beim Kongress des Bundesverbands Deutscher Versandapotheken (BVDVA) im Juni 2022. »Wir steuern auf ein 2-Grad-Szenario zu und das gilt es auf jeden Fall zu verhindern.« Im Oktober 2021 hat sie das Buch »Die nachhaltige Apotheke« veröffentlicht, das Apotheken dazu anleiten will, in ihrer Funktion als Unternehmen, Beratungsstätte und Teil des öffentlichen Gesundheitswesens aktiv zum Umwelt- und Klimaschutz beizutragen.
Hitze ist ein Gesundheitsthema. / Foto: Adobe Stock/Philippe Clément
Viele Apotheker berichteten gegenüber der PZ, dass der Beratungsbedarf beim Thema Hitze und Sonnenschutz gestiegen ist. Modellrechnungen von Forschern im Fachjournal »The Lancet« zeigen, dass Deutschland im internationalen Vergleich bei der Zahl der Hitzetoten weit vorne liegt. Eine weitere im Lancet publizierte Studie kommt zu dem Schluss, dass im Jahr 2019 weltweit ein Höhepunkt hitzebedingter Sterbefälle erreicht wurde. Zwar sank in Europa laut Studie die Anzahl von Hitzetodesfällen, jedoch sei Europa mit etwa 108.000 Sterbefällen weltweit die Region, die am stärksten davon betroffen ist.
Gabriele Renner, Apothekerin und Gründerin der Firma Pervormance, die aktiv kühlende Funktionstextilien entwickelt und produziert, erklärte bei einer Diskussion auf dem BVDVA-Kongress: »Wahnsinnig viele Menschen leiden unter der Hitze und es ist einfach ein Gesundheitsthema.« Zahlreiche Patienten mit Vorerkrankungen wie Multipler Sklerose, chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen hätten Probleme mit hohen Außentemperaturen.
Überflutungen und Hochwasser kommen inzwischen auch in Deutschland häufiger vor. Die Flutkatastrophe im Ahrtal im Juli 2021 zerstörte unter anderem die beiden Apotheken in Altenahr. / Foto: AoG
Nicht nur die Hitze wird zum Problem, auch andere Wetterextreme wie Überflutungen, Stürme und Dürren nehmen laut Welthungerhilfe immer mehr zu – diese Extreme betreffen auch die Apotheken vor Ort.
»In einer Welt der vernetzten Lieferketten« kämen durch solche Extremwetterlagen »Engpässe bis hin zu Nichtlieferbarkeiten in Zukunft immer häufiger vor«, sagte Florian Giermann, Client Liaison Manager von Noventi, gegenüber der PZ. Giermann ist Digitalisierungsexperte und hilft Apotheken bei der Umstellung hin zur Klimaneutralität. Es gefährde die Versorgung, solange es für bestimmte Wirkstoffe weltweit nur einen oder zwei Herstellerbetriebe gebe. Überschwemmungen wie beim Jahrhunderthochwasser im Juli 2021 führen zur Schließung von Apotheken – viele Inhaber in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen standen dort vor den Trümmern ihrer Existenz.
Welche Emissionen fallen in Ihrer Apotheke an?
In welchen Bereichen können Sie Strom sparen?
Wissen Sie, wie man richtig heizt? Beziehen Sie klimaneutrale Wärmeenergie?
Wie steht es um die Ökobilanz Ihres Bodens, der Dämmung, der Fenster?
Wo können Sie im Bereich Verkehr Emissionen verringern?
Kommen Sie mit dem Fahrrad oder ÖPNV zur Arbeit?
Wie häufig kommt der Großhandel zu Ihnen in die Apotheke?
Wie organisieren Sie Ihre Botendienste?
Wo lassen sich in der Apotheke Lärm-Emissionen reduzieren?
Wie können Sie zu weniger Licht-Emissionen beitragen?
Quelle: Luhmann, E., Die nachhaltige Apotheke. Klimawandel, Umweltschutz und Gesundheit. Dt. Apoth. Verlag 2021, Seite 85
Auch die Außenwirkung von Klimaschutzmaßnahmen einer Apotheke muss betrachtet werden, denn das Vertrauen der Menschen in Apotheken ist seit der Coronapandemie noch gestiegen, wie eine Umfrage des Bundesverbands der Arzneimittelhersteller (BAH) ergab. Laut Renner sind Apotheken, die sich in Sachen Klimaschutz engagieren, auch für junge Bewerber um einen Arbeitsplatz attraktiver.
An welchen Stellschrauben kann eine Apotheke also für mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit drehen? »Jede Apotheke ist individuell: Alles ist abhängig von ihrer Lage, wie viele Mitarbeitende sie hat und wie die Motivation des Teams ist«, sagt Apothekerin Luhmann gegenüber der PZ. »Damit steht und fällt am Ende eigentlich alles.« Generell müssten sämtliche Prozesse in der Apotheke hinterfragt werden. Ein großer Hebel sei der gesamte Energiebereich (Kasten). Zu Ökostrom könne man durch wenige Klicks wechseln. »Man muss sich vorher nur informieren, dass es echter Ökostrom ist«, betont Luhmann.
»Jetzt handeln«: Viele Bürger wollen zum Klimaschutz beitragen und schätzen es, wenn Betriebe umweltbewusst agieren. / Foto: Adobe Stock/Halfpoint
Ein zweiter großer Bereich ist die Mobilität – abhängig von Lage und Größe der Apotheke und auch davon, ob Mitarbeitende mit dem Fahrrad zur Arbeit kommen oder etwa Fahrgemeinschaften bilden könnten. »Es ist ein Prozess in der gesamten Apotheke, den man angeht«, weiß Luhmann. Bei ihren Botendiensten setzten einige Apotheken inzwischen E-Bikes ein. Eine Apotheke in Baden-Württemberg nutzt für ihre Medikamentenlieferungen sogar ein Apothekenpferd.
Für Luhmann sind weitere Faktoren relevant, wenn es um mehr Nachhaltigkeit in der Apotheke geht. Wie groß wird das Lager gehalten? Ist die Lagerhaltung effizient? Wirtschaftlich sei es interessant, dass in der Apotheke keine Arzneimittel verfallen, aber man schütze durch weniger Müll am Ende auch die Umwelt. Denn: Abgelaufene Arzneimittel müssen entsorgt werden.
Die Digitalisierung, vor allem im Hinblick auf das E-Rezept, spiele eine Rolle, denn sämtliche Rechnungen oder Dokumente zu digitalisieren, spare Papier. Weiterhin sollten Apothekeninhaber sich fragen: Kann man Bestellungen bündeln, sodass der Großhandel nur noch zweimal am Tag Medikamente liefert?
Mit welchen Schritten es die Apothekerin Claudia Reimers geschafft hat, die Emissionen ihrer Apotheke zu senken und klimaneutral zu werden, berichtete sie auf einer Fachtagung des VdPP. Reimers ist Umweltgruppen-Koordinatorin der vier Medios-Apotheken in Berlin, die seit dem 1. Februar 2021 als klimaneutral zertifiziert sind. In diesem Jahr gewann die Apotheke sogar den Award der bundesweiten Initiative »Klimaretter Lebensretter« in der Kategorie kleine Einrichtungen/Unternehmen: Durch ein Klimaretter-Tool haben Mitarbeitende in einem spielerischen Wettbewerb CO2 eingespart.
Im Jahr 2015 begann die Apotheke mit der Entwicklung eines QMS-Prozesses sowie der Etablierung interner Regeln zu umweltbewusstem und nachhaltigem Verhalten. »Die Umweltbeauftragten sind Ansprechpartner für die Kollegen vor Ort, sollen Projekte in die Apotheke hineintragen, über Neuerungen und laufende Projekte aufklären und überprüfen, dass die festgelegten Ziele zum Umweltschutz eingehalten werden«, berichtete Reimers.
Mit der Hilfe von Apps lässt sich Energie sparen. / Foto: Adobe Stock/rh2010
Der QMS-Prozess betrifft die Bereiche Office, Logistik sowie den apothekenspezifischen Bereich und regelt unter anderem, dass die Apotheke einmal pro Jahr die Preise umweltfreundlicher Stromanbieter anfragt, beim Einkauf von Geräten und Büroartikeln auf das Umweltzeichen »Blauer Engel« achtet, auf batteriebetriebene Mäuse und Tastaturen möglichst verzichtet, ein Mülltrennsystem etabliert sowie Faxe auf die E-Mail-Adresse umleitet und ebenfalls per E-Mail verschickt. Weitere Maßnahmen: Entsorgung von flüssigen und pulvrigen Rezepturabfällen nur über den Arzneimittel- oder Gefahrstoffabfall und Verzicht auf Plastiktüten. Bei Kosmetik sollte darauf geachtet werden, dass keine neuen Produkte mit Mikroplastik in das Sortiment aufgenommen werden – dabei orientiert sich die Apotheke am Mikroplastik-Einkaufsratgeber des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland. Auf PET-Flaschen und Kaffeekapseln sollte verzichtet werden. Bei der Bestellung von Give-aways müsse zudem auf die Umweltverträglichkeit geachtet und auf einzelne Verpackungen verzichtet werden. Wenn möglich, sollten den Kunden umweltfreundliche Alternativen angeboten werden; außerdem ist es ratsam, die Hauspost in wiederverwendbaren Umschlägen zu transportieren. Des Weiteren könne eine Tankkarte mit CO2-Ausgleich pro getanktem Liter angeschafft werden. Für Dienstreisen im In- und Ausland sollten keine Flüge genutzt werden – wenn Flugreisen nicht zu vermeiden sind, sollte man diese über »Atmosfair« (international) und »Plant a tree« (national) ausgeglichen werden.
Durch diese umfangreichen Maßnahmen kann man den CO2-Fußabdruck zwar reduzieren, aber um wirklich klimaneutral zu werden, müssen verbleibende Emissionen durch Zertifikate kompensiert werden. Diese Zertifikate fördern Klimaschutzprojekte. Deutschlandweit gibt es mehrere Apotheken, die mithilfe externer Dienstleister klimaneutral geworden sind, beispielsweise durch das Programm »klimafreundliche Apotheke« von Noventi. Dabei verpflichtet sich die Apotheke zur Einhaltung bestimmter Maßnahmen und Noventi kompensiert die verbleibenden CO2-Emissionen. Die Apothekergenossenschaft Noweda hat ebenfalls eine Klimaschutz-Initiative gestartet. Florian Giermann schätzt, dass inzwischen insgesamt 1500 Apotheken in Deutschland klimaneutral sind.
Zudem hat der Bund das Programm »ReKlimaMed« ins Leben gerufen, um Nachhaltigkeit zu unterstützen. Kleine und mittlere Unternehmen aus der ambulanten Gesundheitsversorgung, unter anderem Apotheken, sind antragsberechtigt.
Es gibt viele Stellschrauben, an denen eine Apotheke für den Klimaschutz drehen kann. Doch beginnen sollte der Klimaschutz laut Bundesverband der Pharmaziestudierenden in Deutschland (BPhD) bereits im Studium.
Der Verband hat in diesem Jahr ein Positionspapier zum Thema »Umwelt und Klimawandel in der Pharmazie und der pharmazeutischen Lehre« veröffentlicht. Die Apotheken fordert der Verband dazu auf, bei Transportwegen, beim Botendienst und beim Weg zur Arbeit auf CO2-Reduktion zu achten. Durch die Digitalisierung könne auch an Universitäten Papier eingespart werden. Darüber hinaus sollte Apothekenpersonal Patienten hinsichtlich der Umwelt- und Klimaverträglichkeit von Arzneimitteln beraten und gegebenenfalls auf eine gesunde nachhaltige Ernährungsweise, beispielsweise gemäß der Planetary Health Diet, hinweisen.
Das Thema klimasensible Gesundheitsberatung ist für Esther Luhmann ein weiterer großer Schritt in Richtung Nachhaltigkeit. »Die Auswirkungen des Klimawandels zeigen sich ja schon heute in unserer Gesundheit: Die Tage über 30 Grad haben in den vergangenen Jahren zugenommen und das macht sowohl etwas mit unserer Gesundheit als auch mit den Arzneimitteln«, betont sie gegenüber der PZ.
Luhmann ist überzeugt, dass Patienten erklärt werden müsse, wie Medikamente bei Hitze wirken, wie man sie richtig lagert oder wie man seine Gesundheit bei höheren Temperaturen schützen kann. »Es soll keine extra Sprechstunde sein, sondern diese Aspekte fließen in die normale Beratung mit ein«, erklärt sie das Konzept. »Für die Zukunft ist die klimasensible Gesundheitsberatung auch als pharmazeutische Dienstleistung zu verstehen und kann und soll honoriert werden. Leider sind wir davon noch weit entfernt«, so Luhmann weiter. Neben dem Bereich Hitze werden auch Infektions- und Atemwegserkrankungen, ausgelöst durch Verkehr, Feinstaub und Erwärmung, immer relevanter. Ein wichtiger Schritt hin zu mehr Nachhaltigkeit ist die Einschränkung von Individualverkehr auf den Straßen. Für Luhmann eine Win-win-Situation: Dies führe zu einer saubereren Luft, damit zu weniger Erkrankungen und mehr Bewegung auf dem Fahrrad bringe einen Benefit für die eigene Gesundheit.
Foto: Thomas Ganter
Lesen Sie auch das Interview mit MdB Johannes Wagner (Bündnis 90/Die Grünen) und das Interview mit Matthias Zink (LAKT).
Um den Straßenverkehr zu reduzieren, muss auch die Häufigkeit der Großhandelstouren hinterfragt werden – politisch wurde dieses Thema bereits diskutiert. Der Verkehr war laut Europäischer Umweltagentur im Jahr 2019 für etwa ein Viertel aller CO2-Emissionen der EU verantwortlich. Davon entfallen laut europäischem Parlament 71,7 Prozent auf den Straßenverkehr.
Fraglich ist, ob eine Apothekenbelieferung fünfmal täglich sinnvoll ist. Das Vollversorgungsprinzip durch den pharmazeutischen Großhandel sei »bereits für sich genommen umweltschonend, da die Arzneimittelbestellungen von Apotheken durch den Großhandel gebündelt und Transaktionen so um mehr als 90 Prozent reduziert werden«, argumentiert eine Sprecherin des Bundesverbands des pharmazeutischen Großhandels (Phagro) gegenüber der PZ. Dies würde »unzählige überflüssige Transporte und damit verbundene CO2-Emissionen im Vergleich zum Direktbezug von Arzneimitteln durch Apotheken bei einzelnen pharmazeutischen Unternehmern« vermeiden. Einzelne Mitgliedsunternehmen würden den Einsatz von E-Autos oder mit Wasserstoff betriebene Lieferfahrzeuge testen – erste Fahrzeuge seien bereits im Einsatz. Doch von einer großflächigen E-Flotte scheint dies noch weit entfernt zu sein.
Um zu ermitteln, wie viele Emissionen eine Apotheke ausstößt und wie klimaneutral sie ist, muss zunächst eine CO2-Bilanz des Betriebes erstellt werden: Wie viele Emissionen wurden in einem Jahr ausgestoßen? Das Umweltbundesamt und die Umweltschutzorganisation WWF stellen dazu online einen CO2-Rechner zur Verfügung (https://uba.co2-rechner.de).
Das Greenhouse Gas Protocol teilt Emissionen in drei Emissionskategorien (Scopes) ein. Scope 1 enthält laut Umweltbundesamt direkte Emissionen aus Heizungsanlagen, Kraftfahrzeugen oder »Anlagen zur unterbrechungsfreien Stromversorgung«. Unter Scope 2 fallen indirekte Emissionen aus dem Bezug von leistungsgebundener Energie, die importiert werden. Scope 3 umfasst alle sonstigen indirekten Emissionen, die aus vor- oder nachgelagerten Aktivitäten entstehen, etwa Arbeitswege, Büromaterial, Gütertransporte, Dienstreisen oder Abfallaufkommen. Diese machen laut Umweltbundesamt einen Großteil der Emissionen aus.
Dass die Reduktion von CO2-Emissionen bei Großhandelsflotten in Angriff genommen werden muss, erscheint dringend notwendig, denn täglich legen die Fahrzeuge der Großhändler oder deren Subunternehmen rein rechnerisch Millionen von Kilometern zurück. Dennoch dürfe die Umsetzung CO2-reduzierender Maßnahmen laut Phagro-Unternehmenssprecherin »nicht auf Kosten der Versorgungsqualität und der bedarfsgerechten, angemessenen und kontinuierlichen Belieferung von Apotheken mit allen benötigten Arzneimitteln und apothekenüblichen Waren gehen«. Deutsche Apotheken werden im Durchschnitt dreimal pro Tag von den Phagro-Mitgliedsunternehmen beliefert, erklärt die Sprecherin weiter.
Dass es auch Alternativen zur mehrmals täglichen Großhandelsbelieferung gibt, zeigt Schweden. Nur einmal täglich werden die dortigen Apotheken vom Großhandel beliefert, wie aus einer Studie des österreichischen Bundesinstituts für Gesundheitswesen zur Arzneimitteldistribution in Skandinavien hervorgeht. Die Belieferung erfolgt auf Basis eines elektronischen Logistiksystems, das in jeder Apotheke vorhanden ist. Die Nachbestellungen werden bei jeder Arzneimittelabgabe in der Apotheke automatisiert auf einer Liste gesammelt.
Mit vielen kleinen Maßnahmen lässt sich die Klimabilanz eines Unternehmens verbessern. / Foto: Adobe Stock/Celt Studio
Dass die Belieferung trotzdem recht zeitnah erfolgt, sichert die gesetzliche 24-Stunden-Frist zu, nach der die Apotheken Patienten innerhalb von 24 Stunden nach der Rezeptvorlage beliefern müssen. Allerdings: Überwachungsbehörden haben sich in Schweden schon mehrfach darüber beschwert, dass Apotheken die 24-Stunden-Regel nicht einhalten können.
Neben dem Großhandel müssen auch die CO2-Emissionen des Versandhandels hinterfragt werden. Der DHL-Konzern, der neben Hermes beispielsweise Doc-Morris-Pakete ausliefert, verursachte im Jahr 2020 nach eigenen Angaben 33 Millionen Tonnen Emissionen. Über 1,8 Milliarden Pakete beförderte das Unternehmen in Deutschland im Jahr 2021 – also mehr als 5 Millionen Pakete pro Tag.
Die Versandapotheke Doc Morris verschickt nach eigenen Angaben etwa 25.000 Pakete am Tag. Die Shop Apotheke versandte im ersten Halbjahr 2022 täglich sogar 65.000 Pakete, erklärt eine Unternehmenssprecherin gegenüber der PZ. Insgesamt seien im ersten Halbjahr 2022 knapp bis zu 12 Millionen Bestellungen bearbeitet worden. Laut Unternehmensangaben sei sich der Versender der Auswirkungen seines Geschäftsmodells bewusst und wolle seinen CO2-Fußabdruck in den nächsten Jahren unter anderem durch klimaneutralen DHL-Versand, grüne Energie in den Büros oder die Reduktion von Printmaterialien stark reduzieren. Wichtige Ansatzpunkte seien auch die Logistik, die Anfahrt der Mitarbeiter sowie der Energieverbrauch.
Bisher gibt es noch keine validen Angaben zur Emissionsvergleichbarkeit von Vor-Ort-Apotheken und Versandapotheken, wie auf dem BVDVA-Kongress deutlich wurde. Ungeachtet dessen müssen sich alle Akteure Strategien zur Senkung ihrer Emissionen überlegen.
Es ist dringend: Wissenschaftler warnten in einer kürzlich veröffentlichten Studie, dass der Klimawandel zu einer globalen Katastrophe und zum Aussterben der Menschheit führen könnte. Der Klimaforscher Niklas Höhne von der Universität Wageningen hält es für wichtig, Menschen über Worst-Case-Szenarien aufzuklären: »Wir müssen klar kommunizieren, was die Risiken sind. Und auf der anderen Seite sagen: Wir haben es noch in der Hand.«
Melanie Höhn studierte Kommunikationswissenschaft und Anglistik/Amerikanistik an der Universität Jena sowie Politische Kommunikation und Publizistik an der Freien Universität Berlin. Die ausgebildete Journalistin arbeitete bei verschiedenen Nachrichtenagenturen, Zeitungen und Zeitschriften und absolvierte Auslandsstationen in Paris und in den USA. Sie ist als Redakteurin bei der PZ im Ressort Politik und Wirtschaft tätig und beschäftigt sich dort intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit für Apotheken.