»Die Ergebnisse sind noch unzuverlässig« |
Christina Hohmann-Jeddi |
11.08.2020 09:00 Uhr |
Antikörper bildet das Immunsystem bei Kontakt mit Krankheitserregern. Sie lassen sich prinzipiell durch ELISA- oder Immunoblot-Tests nachweisen. / Foto: Adobe Stock/Wolfgang Rieger
PZ: Wie funktionieren Antikörpertests?
Feucht: Es gibt im Prinzip zwei Arten von Antikörpertests. Zum einen den Antikörpersuchtest und zum anderen den Bestätigungstest, den Immunoblot. Die einfachste Form des Antikörpertests ist der Enzyme-linked Immunosorbent Assay – kurz ELISA. Bei diesem wird ein Antigen, also ein Protein des fraglichen Erregers, auf das das Immunsystem reagieren kann, an eine Matrix gebunden und dem Serum eines Patienten ausgesetzt. Sind darin Antikörper gegen das Antigen vorhanden, binden sie daran. Dann bringt man sie mit einem zweiten Antikörper zusammen, der humane Antikörper erkennt und bindet und an den ein Enzym gekoppelt ist. Anschließend gibt man ein Substrat hinzu. Das an den Sekundärantikörper gekoppelte Enzym erzeugt dann beispielsweise einen Farbumschlag. Je nach Stärke des Farbumschlags lässt sich auch die Menge an Antikörpern im Serum bestimmen.
Inzwischen werden für diese Tests nicht mehr Mikrotiterplatten verwendet, sondern Membranen, die in sogenannten langen Straßen laufen. In großen Labors sind dies 30 bis 40 m lange Reihen von hintereinander gekoppelten Apparaten. Das läuft vollautomatisiert. Nur die Zuordnung der Proben wird noch vom Personal vorgenommen. Das Prinzip ist aber das gleiche.
PZ: Und die zweite Art der Antikörpertests?
Feucht: Das sind die sogenannten Immunoblots. Sie werden in der Diagnostik oft als Bestätigungstests eingesetzt, wenn ein ELISA-Test positiv war. Bei diesen werden die Proteine des Erregers meist über ihre Größe aufgetrennt oder rekombinant hergestellt. Auf diese Matrix mit vielen Antigenen des Erregers wird dann das Patientenserum aufgetragen und dann anschließend ein antihumaner Zweitantikörper, der mit einem Enzym gekoppelt ist und nach Zugabe eines Substrats einen Farbumschlag zeigt. Diese Tests sind aber deutlich aufwendiger als ELISA-Tests.
PZ: Welche dieser Tests gibt es denn gegen das neue Coronavirus SARS-CoV-2?
Feucht: Schon sehr früh kamen zwei Antikörpersuchtests heraus. Der Test des Unternehmens Euroimmun verwendete am Anfang noch ELISA-Platten, der membranbasierte Test von Roche läuft auf großen Laborstraßen. Beide lassen sich in hohem Durchsatz durchführen. Neben anderen Tests sind dies die hauptsächlich verwendeten Systeme, die die meisten großen Labore in Deutschland nutzen. Immunoblot-Tests gibt es meines Wissens bislang noch nicht für SARS-CoV-2 im alltäglichen Routineeinsatz.
PZ: Wie genau sind diese Tests derzeit?
Professor Dr. Heinz-Hubert Feucht ist Virologe und medizinischer Mikrobiologe. / Foto: AescuLabor
Feucht: Laut Anbieter liegen die Sensitivität und Spezifität recht hoch. Die Sensitivität beträgt demnach bis zu 100 Prozent, die Spezifität bis zu 99,81 Prozent. Das klingt erstmal recht gut. Um zu sagen, wie zuverlässig ein Testergebnis ist, spielt aber auch die Prävalenz der Erkrankung eine Rolle. Ein Beispiel: Die Spezifität gibt an, mit welcher Sicherheit Nichtinfizierte als nicht infiziert erkannt werden. Bei 10.000 Tests würden bei einer Spezifität von 99,81 Prozent 19 Nichtinfizierte ein falsch positives Ergebnis erhalten. Wenn ein Virus, wie jetzt das Coronavirus, noch nicht weit verbreitet ist, ist die Vortestwahrscheinlichkeit für ein positives Ergebnis gering. Dadurch verringert sich der prädiktive positive Wert, also die Aussagekraft, dass ein positives Ergebnis auch wirklich korrekt ist. Bei einer Durchseuchung der Bevölkerung von etwa 0,2 Prozent erhalten nämlich nur 20 Personen ein korrekt positives Ergebnis. Damit liegt der prädiktive positive Wert bei etwa 60 Prozent. Das ist knapp über Münzwurf. Das ist natürlich sehr unbefriedigend.
PZ: Gibt es denn Bestätigungstests?
Feucht: Immunoblots wurden bislang noch keine auf den Markt gebracht und Neutralisationstests zur Bestätigung sind sehr aufwendig. Das können in Deutschland nur wenige Labore wie das von Professor Dr. Christian Drosten an der Charité in Berlin. Dafür benötigt man ein S4-Labor und die Erfahrung, SARS-CoV-2 in Zellkultur anzüchten zu können.
PZ: Wie sind denn Ihre Erfahrungen mit den Antikörpersuchtests bislang?
Feucht: Die Herstellerangaben zu Sensitivität und Spezifität müssen sich in der Praxis natürlich erst noch beweisen. In großen Laboren wurden schon eine ganze Menge Antikörpersuchtests für SARS-CoV-2 durchgeführt, zuerst mehrere Hundert, jetzt etwa Hundert pro Tag. Und wenn man so viele Tests macht, stellt man irgendwann fest, dass die Reproduzierbarkeit zwar gut ist, die Ergebnisse aber nicht so zuverlässig sind.
PZ: Wie meinen Sie das?
Feucht: Bislang ist es so, dass ein erheblicher Teil der Patienten, die in der PCR positiv getestet wurden, also tatsächlich eine Infektion durchgemacht haben, auch vier bis sechs Wochen später in den Antikörpertests nicht positiv werden. Das liegt aber nicht an den Patienten oder am Virus, sondern an den Tests. Außerdem gibt es Patienten, die zunächst hohe Antikörper-Titer aufweisen, die aber innerhalb von wenigen Wochen wieder verschwinden.
PZ: Könnte das nicht eine Besonderheit der Immunität gegen das Virus sein?
Feucht: Dann müsste dieses Virus anders sein als alle anderen Viren. Antikörper verschwinden zwar mit der Zeit, aber nicht innerhalb von wenigen Wochen.
PZ: Woran könnte es Ihrer Meinung nach liegen, dass die Antikörpersuchtests noch so ungenau sind?
Feucht: Meiner Meinung nach könnte es an den für die Tests verwendeten Antigenen liegen. Die Herstellerfirmen standen unter großem Druck, schnell einen Test anbieten zu können, und wählten daher ein naheliegendes Antigen: das Spike-Protein auf der Oberfläche von SARS-CoV-2. Fast alle Tests arbeiten mit rekombinantem Spike-Protein, manche haben als zweites Antigen das Nukleokapsid-Protein verwendet. Die Tests finden also nur Antikörper gegen diese rekombinanten Proteine. Vielleicht bilden aber nicht alle Infizierten Antikörper gegen diese Antigene, sondern gegen andere.
PZ: Wie könnte man das herausbekommen?
Feucht: Bei der Entwicklung von Tests gegen HIV oder Hepatitis C ist man anders vorgegangen. Da hat man geschaut, mit welchen Antigenen – Struktur- und Nichtstrukturproteine – die Seren am besten reagieren und aufgrund der daraus gewonnenen Erfahrungen die am besten geeigneten Proteine eingesetzt. Bei Hepatitis C waren dies zum Beispiel nicht die Strukturproteine der Hülle, wie am Anfang vermutet, sondern Nichtstrukturproteine des Virus wie Helikasen und Proteasen, die am immunogensten waren. Meiner Ansicht nach wird man auch für SARS-CoV-2 sorgfältig prüfen müssen, welches die besten Proteine für einen verlässlichen Antikörpertest sind, auch wenn das in der Entwicklung natürlich deutlich länger dauert.
PZ: Als ein Problem bei der Genauigkeit gilt die Kreuzreaktivität mit anderen Coronaviren, vor allem den Erkältungscoronaviren. Wie schätzen Sie das ein?
Feucht: Unter einer Kreuzreaktivität versteht man, dass es aufgrund der engen Verwandtschaft von Erregern und damit häufig gekoppelt mit deren Proteinen zu falsch positiven Testergebnissen kommt. Bei SARS-CoV-2 sind dies beim Menschen die zwei Betacoronaviren OC43 und HKU1, nachdem SARS-CoV-1 lange nicht mehr in Erscheinung trat. Es gibt und gab viele falsch positive Ergebnisse insbesondere bei den SARS-CoV-2-IgA-Testsystemen. So werden zum Beispiel auch Blutproben aus dem vergangenen Jahr, also noch vor der Coronapandemie, positiv getestet. Meiner Meinung nach ist die Kreuzreaktivität bislang das geringste Problem, da die meist jungen, zwei bis sechs Jahre alten Personen, die mittels PCR in den Wintermonaten positiv für die endemischen Coronaviren OC43 oder HKU1 getestet worden sind, keine Serokonversion im SARS-CoV-2-Antikörpertest gezeigt haben.
PZ: Werden wir denn in der Zukunft verlässliche Antikörpertest zur Verfügung haben?
Feucht: Die Industrie wird uns nicht hängen lassen. Wir werden gute Tests bekommen, da bin ich mir ganz sicher. Dafür brauchen wir die am besten geeigneten Antigene. Wenn wir die haben, dann werden wir bei den Personen, die sich mit dem Erreger auseinandergesetzt haben, auch länger anhaltende Immunantworten nachweisen können. Solange wir diese Tests noch nicht haben, ist an verlässliche Aussagen zu einem eventuell bestehenden Immunschutz gegenüber SARS-CoV-2 nicht zu denken.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.