Demenzen beginnen früher und verlaufen schneller |
Brigitte M. Gensthaler |
20.02.2023 09:00 Uhr |
Menschen mit Trisomie 21 haben heute eine deutlich längere Lebenserwartung als noch vor einigen Jahrzehnten. Leider erkranken viele an einer Alzheimer-Demenz, die bei ihnen rascher voranschreitet als bei nicht genetisch vorbelasteten Menschen. / Foto: Imago Images/Werner Lerooy
Die Lebenserwartung von Menschen mit Trisomie 21 (Downsyndrom, benannt nach dem britischen Arzt John Langdon Down, 1828 bis 1896) hat sich deutlich verlängert. Vor 50 Jahren lag sie bei etwa zehn Jahren; viele Kinder starben schon früh an angeborenen Herzfehlern. Heute haben die Menschen eine Lebenserwartung von etwa 65 Jahren. Gemäß einer britischen Studie sterben etwa 70 Prozent mit und an einer Demenz (DOI: 10.1001/jamaneurol.2018.3616).
In Deutschland leben schätzungsweise 50.000 Personen mit Downsyndrom, schreibt die Deutsche Alzheimer-Gesellschaft in ihrem kürzlich aktualisierten Infoblatt zu »Demenz bei Menschen mit Lernschwierigkeiten«. Die Gesellschaft verwendet diesen Begriff für Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen mit und ohne Downsyndrom. Damit greift sie ein Anliegen des Netzwerks »People First Deutschland e. V. – Mensch zuerst« auf, das gegen die Bezeichnung »geistig behindert« kämpft und diese durch »Lernschwierigkeiten« ersetzen möchte.
Laut Prognosen wird sich der Anteil von Menschen mit Lernschwierigkeiten und einer Demenz im Zeitraum 2010 bis 2030 verdreifachen und weiter ansteigen, heißt es in dem Infoblatt.
Der geschätzte Krankheitsbeginn liegt bei Menschen mit Downsyndrom im Durchschnitt bei 53,8 Jahren (DOI: 10.1001/jamanetworkopen.2022.12910). Statistisch gesehen erkrankt im Alter ab 50 jeder Dritte an der Alzheimer-Demenz; bei den Über-60-Jährigen steigt der Anteil auf 50 Prozent und mehr. Die Krankheitsdauer liegt im Durchschnitt bei 4,6 Jahren (versus acht Jahre in der Allgemeinbevölkerung). Das bedeutet: Bei Menschen mit Downsyndrom treten Demenzen früher und häufiger auf als in der Allgemeinbevölkerung und verlaufen schneller.
Als Grund für das hohe Risiko wird eine erhöhte β-Amyloid-Produktion angenommen: Das Gen für das Amyloid-Vorläuferprotein (APP) befindet sich auf dem Chromosom 21, das bei Menschen mit Downsyndrom dreimal vorliegt. Ansonsten scheinen für Menschen mit Trisomie 21 ähnliche Risiko- und Schutzfaktoren zu gelten wie für andere Menschen. So erhöht ein ApoE4-Allel das Alzheimer-Risiko, ein ApoE2-Allel senkt es und epileptische Anfälle sind prognostisch ungünstig. Letztere, vor allem Absencen, treten bei Menschen mit Downsyndrom bereits in einem frühen demenziellen Stadium auf und lassen sich medikamentös nicht einstellen. Auch Schluckbeschwerden treten meist früh auf.
Absencen und Schluckbeschwerden werden aber oft nicht als Anzeichen einer Demenzerkrankung erkannt. Ebenso verhält es sich mit vielen anderen Symptomen. So verschlechtert sich das Kurzzeitgedächtnis; es kommt zu Desorientierung, Problemen mit der Sprache, Schlaf- und Gangstörungen, Verlust von persönlichen Fähigkeiten und Interessen sowie zu sozialem Rückzug. Oftmals wird das Umfeld erst aufmerksam, wenn herausforderndes oder zwanghaftes Verhalten auftritt, Emotionen wie Weinen oder Schreien stärker werden oder Halluzinationen, vor allem visuelle, hinzukommen.