Dem Schmerz auf der Spur |
Was die Ursachen des Schmerzsyndroms angeht, tappe man auf noch nebulösen Wegen, verdeutlichte Emrich. Frischen Wind in die Ursachenforschung habe jedoch die Erkenntnis gebracht, dass sich das Darmmikrobiom von Patientinnen mit FMS signifikant von dem gesunder Frauen unterscheidet. »Die Verschiebungen bestimmter Bakterienfamilien und -arten sind so auffällig, dass allein damit fast schon die Diagnose gestellt werden könnte.« Dass die Mikrobiomsteuerung auch ein neuer Ansatz für die Therapie sein könnte, legt eine aktuelle kanadische Studie nahe, die im Fachjournal »Neuron« publiziert wurde. Dabei brachte der Transfer von Mikrobiomen gesunder Frauen (per Kapsel) eine signifikante Schmerzreduktion bei Erkrankten. Auch Symptome wie Ängstlichkeit und Schlafstörungen besserten sich.
Therapeutisch gesehen stellt FMS eine Herausforderung dar. Eine medikamentöse Standardtherapie gibt es nicht, zumal 30 bis 40 Prozent der Betroffenen auf Medikamente gar nicht ansprechen. »Primär sind es physikalisch-balneotherapeutische, physiotherapeutische und psychologische Verfahren, die den Patienten weiterhelfen, und das nach Möglichkeit im multimodalen Setting«, machte Dr. Jakob Emrich, der mit seinem Vater im gleichen Schmerzzentrum in Ludwigshafen tätig ist, deutlich.
Was die Pharmakotherapie betrifft, gebe es in Deutschland bislang keine »klare Zulassung mit der Indikation FMS«. Das sieht für die Vereinigten Staaten anders aus; dort sind Pregabalin, Duloxetin und Milnacipran eigens für diese Indikation zugelassen.
Was bedeutet das für die Therapie hierzulande? Die Tatsache, dass Amitriptylin in Deutschland für die Behandlung »depressiver Erkrankungen« und für die »langfristige Schmerzbehandlung im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzepts« zugelassen ist, erklärte Emrich so: »Das macht Amitriptylin – noch eher als die gabapentoiden Antiepileptika – zum Mittel der ersten Wahl, wenn man eine medikamentöse Therapie in Betracht zieht.« Laut einer Metanalyse von 2022 erzielte das Antidepressivum im Vergleich zu Duloxetin und Pregabalin als einziges Medikament eine 50-prozentige Schmerzlinderung. Wichtig sei die Verabreichung per Tropfenzubereitung, um schleichend auftitrieren und Nebenwirkungen vermeiden zu können.
Duloxetin und das Antikonvulsivum Pregabalin bezeichnete er als bedeutende Coanalgetika zur Behandlung von peripheren und zentralen neuropathischen Schmerzen, insofern hätten sie auch in der FMS-Therapie ihren Platz. Dokumentiert sei eine Schmerzminderung von rund 30 Prozent. Die analgetische Wirkung erklärt man sich über eine Verstärkung der absteigenden hemmenden Schmerzbahnen im zentralen Nervensystem.
Und wie schätzt Emrich die Wirksamkeit von Cannabinoiden ein? »Insgesamt gibt es nur minderwertige Beweise für eine kurzfristige Schmerzlinderung bei Menschen mit Fibromyalgie, die mit Cannabinoiden behandelt werden. Doch ich sehe trotz dieser begrenzten Beweislage in medizinischem Cannabis für die Praxis eine sichere Alternative für die medikamentöse FMS-Therapie.«
Der Widespread Pain Index (WPI) ist ein Teil der FMS-Diagnosefindung. Um ihn zu bestimmen, gibt der Patient an, in wie vielen der 19 ausgewiesenen Körperstellen er in der vergangenen Woche Schmerzen hatte. Der Wert kann zwischen 0 und 19 liegen. / © PZ-Grafik/Jens Ripperger, Adobe Stock/hiro