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Fibromyalgie-Syndrom

Dem Schmerz auf der Spur

Das Fibromyalgie-Syndrom ist eine Erkrankung, deren Mechanismen und Kausalität zwar immer besser, aber dennoch bislang nur in Ansätzen verstanden sind. Entsprechend unbefriedigend sind die therapeutischen Möglichkeiten. Hoffnung bieten aktuelle Forschungsergebnisse.
AutorKontaktElke Wolf
Datum 26.05.2025  07:00 Uhr

»Das Fibromyalgie-Syndrom (FMS) ist keine Ausschlussdiagnose mehr«, sagte Dr. Oliver Emrich vom Schmerzzentrum Ludwigshafen bei den Deutschen Schmerz- und Palliativtagen Ende März in Frankfurt am Main. Er zeigte sich zufrieden, dass es inzwischen eine klinische Positivdefinition des chronischen Schmerzsyndroms gibt. »Wir können heute eine Diagnose stellen, die sich aus den Symptomen generiert, und zwar mit einer Spezifität von rund 80 Prozent«, sagte der koordinierende Autor für die gerade in der Konsensusphase befindliche Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin.

Heute sei man bei der Diagnosefindung weg von der alleinigen Fixierung auf positive Tenderpoints, also Schmerzpunkte an definierten Körperstellen. Vielmehr würden nun auch Zusatzsymptome wie Schlaf- und Konzentrationsstörungen, allgemeine Erschöpfung und psychische Belastungen wie Neigung zur Depressivität berücksichtigt werden.

Die typischen schmerzenden Körperstellen werden mithilfe des Widespread-Pain-Index erfasst (siehe Grafik). Werden mindestens sieben von 19 Körperpartien als schmerzhaft oder druckempfindlich angegeben, spricht das in Kombination mit einer bestimmten Symptomenschwere für ein FMS. Die Schmerzen müssen seit mindestens drei Monaten bestehen, die Körperareale können aber wechseln.

Dysbalancen in Hirn ….

»Die Schmerzen zeigen sich phänotypisch mit neuropathischer Ausprägung etwa als gesteigerte Druckempfindlichkeit bis hin zu Allodynie, wenn also bereits die Bettdecke auf den Beinen als schmerzhaft empfunden wird«, sagte Fibromyalgie-Experte Emrich. Bei zumindest einem Teil der Patienten lägen neuropathische Veränderungen vor, die sich als Brennen, Kribbeln, Blitze, Ameisenlaufen oder Taubheitsgefühl äußern können.

Was die Pathophysiologie angeht, sei bei FMS-Patienten eine Dysregulation der Aktivität des zentralen Nervensystems auffällig, die unter anderem mit veränderten Spiegeln von Neurotransmittern einhergeht. »Es kommt zu einer zentralen Sensibilisierung mit Erniedrigung der Schmerzschwelle, und gleichzeitig ist die absteigende Schmerzhemmung weniger aktiv. Exzitatorische Neurotransmitter wie Glutamat und neuroinflammatorische Proteine wie Substanz P steigen an, dagegen ist etwa die µ-Rezeptorendichte – also das Ziel der Opioide – downreguliert. Das ist der Grund, warum sich Opioide in der Therapie als wenig wirksam erwiesen haben. Andere Wirkstoffe wie Duloxetin oder Pregabalin zeigen dagegen Wirkung auf die nachlassende absteigende Schmerzhemmung«, erklärte der Referent.

… und Haut

Auch in der Peripherie sieht man bei FMS-Betroffenen Veränderungen der Entzündungsreaktion und der zirkulierenden Immunzellen – was die neuropathischen Veränderungen mit erklären kann. So sind Hautdenervierungen dokumentiert, also etwa geringere Faserdichte, veränderte Hautinnervation, geringere elektrische Leitfähigkeit oder Hyperaktivität. »Diese Hautdenervierung korreliert mit der Schwere der Symptome«, so Emrich.

Dazu passen aktuelle Forschungsergebnisse, die Anfang des Jahres von einer Würzburger Arbeitsgruppe in der Fachzeitschrift »Pain« veröffentlicht wurden. Auf der Suche nach messbaren Veränderungen haben die Forschenden kleine, nicht kodierende Ribonukleinsäuren (RNA) aus dem Blut und den Hautzellen von FMS-Patientinnen gewonnen. Konkret wurden RNA-Moleküle wie microRNA und tRNA-Fragmente untersucht, die bei der Steuerung der Zellaktivität und der Genexpression eine Rolle spielen.

»Wir haben diese kleinen RNA nicht nur mit denen gesunder Frauen verglichen, sondern auch mit denen von Patientinnen mit ähnlichem Krankheitsbild, aber anderer Ätiologie, nämlich Patientinnen mit Depression und chronischen Schmerzen«, erklärt der Erstautor der Studie, Dr. Christoph Erbacher, in einer Mitteilung der Universität. »Mit Hilfe moderner RNA-Sequenzierungstechniken konnten wir zeigen, dass einige kleine RNA wie hsa-miR-182-5p und hsa-miR-576-5p bei FMS-Patientinnen vermehrt im Blut vorkommen. Bei Patientinnen mit schwerer Depression und chronischen Schmerzen sind sie noch stärker erhöht. Auch in Hautzellen und innerhalb der bisher wenig erforschten Klasse der tRNA-Fragmente konnten wir Unterschiede nachweisen.«

Die Forschenden hoffen, mit ihrer minimalinvasiven Bestimmung der fehlregulierten RNA aus dem Blut einen Beitrag zur Verbesserung der Diagnose leisten und damit der Stigmatisierung («alles nur Einbildung«) entgegenwirken zu können. Weil einige kleine RNA auch mit dem Schweregrad der Symptome in Verbindung gebracht wurden, beispielsweise mit der Ausdehnung des Schmerzes im Körper und der empfundenen Schmerzstärke, könnte das Verfahren eventuell auch zur Verlaufskontrolle der Krankheit dienen.

Mikrobiom hilft heilen

Was die Ursachen des Schmerzsyndroms angeht, tappe man auf noch nebulösen Wegen, verdeutlichte Emrich. Frischen Wind in die Ursachenforschung habe jedoch die Erkenntnis gebracht, dass sich das Darmmikrobiom von Patientinnen mit FMS signifikant von dem gesunder Frauen unterscheidet. »Die Verschiebungen bestimmter Bakterienfamilien und -arten sind so auffällig, dass allein damit fast schon die Diagnose gestellt werden könnte.« Dass die Mikrobiomsteuerung auch ein neuer Ansatz für die Therapie sein könnte, legt eine aktuelle kanadische Studie nahe, die im Fachjournal »Neuron« publiziert wurde. Dabei brachte der Transfer von Mikrobiomen gesunder Frauen (per Kapsel) eine signifikante Schmerzreduktion bei Erkrankten. Auch Symptome wie Ängstlichkeit und Schlafstörungen besserten sich.

Therapeutisch gesehen stellt FMS eine Herausforderung dar. Eine medikamentöse Standardtherapie gibt es nicht, zumal 30 bis 40 Prozent der Betroffenen auf Medikamente gar nicht ansprechen. »Primär sind es physikalisch-balneotherapeutische, physiotherapeutische und psychologische Verfahren, die den Patienten weiterhelfen, und das nach Möglichkeit im multimodalen Setting«, machte Dr. Jakob Emrich, der mit seinem Vater im gleichen Schmerzzentrum in Ludwigshafen tätig ist, deutlich.

Arzneistoff-Puzzle

Was die Pharmakotherapie betrifft, gebe es in Deutschland bislang keine »klare Zulassung mit der Indikation FMS«. Das sieht für die Vereinigten Staaten anders aus; dort sind Pregabalin, Duloxetin und Milnacipran eigens für diese Indikation zugelassen.

Was bedeutet das für die Therapie hierzulande? Die Tatsache, dass Amitriptylin in Deutschland für die Behandlung »depressiver Erkrankungen« und für die »langfristige Schmerzbehandlung im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzepts« zugelassen ist, erklärte Emrich so: »Das macht Amitriptylin – noch eher als die gabapentoiden Antiepileptika – zum Mittel der ersten Wahl, wenn man eine medikamentöse Therapie in Betracht zieht.« Laut einer Metanalyse von 2022 erzielte das Antidepressivum im Vergleich zu Duloxetin und Pregabalin als einziges Medikament eine 50-prozentige Schmerzlinderung. Wichtig sei die Verabreichung per Tropfenzubereitung, um schleichend auftitrieren und Nebenwirkungen vermeiden zu können.

Duloxetin und das Antikonvulsivum Pregabalin bezeichnete er als bedeutende Coanalgetika zur Behandlung von peripheren und zentralen neuropathischen Schmerzen, insofern hätten sie auch in der FMS-Therapie ihren Platz. Dokumentiert sei eine Schmerzminderung von rund 30 Prozent. Die analgetische Wirkung erklärt man sich über eine Verstärkung der absteigenden hemmenden Schmerzbahnen im zentralen Nervensystem.

Und wie schätzt Emrich die Wirksamkeit von Cannabinoiden ein? »Insgesamt gibt es nur minderwertige Beweise für eine kurzfristige Schmerzlinderung bei Menschen mit Fibromyalgie, die mit Cannabinoiden behandelt werden. Doch ich sehe trotz dieser begrenzten Beweislage in medizinischem Cannabis für die Praxis eine sichere Alternative für die medikamentöse FMS-Therapie.«

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