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Antibiotikaresistenzen

Das ABC des ABS-Teams

Klinische Pharmazeuten sind unverzichtbarer Teil der Antibiotic-Stewardship- (ABS)-Teams von Krankenhäusern. Das kleine ABC der Resistenzvermeidung erklärte Apothekerin Aneke Gansewig bei einer interdisziplinären Fortbildung der Heilberufskammern Schleswig-Holstein am Mittwoch in Bad Segeberg. Einige Regeln lassen sich auch auf die Beratung in der Offizin anwenden.
Daniela Hüttemann
20.08.2021  12:34 Uhr

Antibiotikaresistenzen breiten sich bekanntlich rasant aus, während kaum innovative neue Antibiotika nachkommen. Umso bedächtiger müssen die vorhandenen Antiinfektiva eingesetzt werden, um ihre Wirksamkeit zu bewahren. Denn schon jetzt sterben Schätzungen des Robert-Koch-Instituts zufolge jährlich 20.000 Menschen an nicht mehr behandelbaren bakteriellen Infektionen. Weltweit sind es schätzungsweise 700.000 – und im Jahr 2050 könnten es einer Prognose der Weltgesundheitsorganisation zufolge 10 Millionen Todesfälle jährlich sein.

Ein Teil der Deutschen Antibiotika-Resistenzstrategie (DART) ist auch die Etablierung von interdisziplinären Antibiotic-Stewardship- (ABS)-Teams in Krankenhäusern. Dadurch sollen sich Verordnungs- und Behandlungsqualität verbessern und der unkritische Antibiotika-Einsatz verringern. »Bei uns am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Lübeck besteht das ABS-Team aus Infektiologen, Mikrobiologen, Krankenhaushygienikern und klinischen Pharmazeuten«, berichtet Stationsapothekerin Aneke Gansewig, die selbst Teil des ABS-Teams ist. »Wir entwickeln Leitfäden, monitoren Resistenzen bei uns im Haus, helfen bei der Optimierung patientenbezogener Therapiestrategien und nehmen dafür auch an Visiten teil.« Auf Patientenebene reevaluiert das ABS-Team gemeinsam mit den Ärzten regelmäßig eine laufende Antibiotika-Therapie. Dabei können sich Apotheker unter anderem an einem ABC, oder genauer gesagt einem AABBBBC, orientieren:

  1. Anwendung des richtigen Antibiotikums: »Die Infektdiagnose sollte gesichert sein, wenn möglich mit einem Erregernachweis«, erläutert Gansewig. Oft werde eine Antibiotikatherapie empirisch begonnen, sollte aber nach Vorlage der mikrobiologischen Befunde im weiteren Verlauf gezielt weitergeführt werden. Je nach Erkrankung werden möglichst Antibiotika mit engem Wirkspektrum eingesetzt.
  2. Allergien hinterfragen: »Einer US-amerikanischen Studie aus dem Jahr 2019 zufolge gibt jeder zehnte Patient eine Penicillin-Allergie an, eine solche ließ sich aber in 95 Prozent der Fälle nicht nachweisen «, referierte Gansewig ( DOI: 10.1001/jama.2018.19283 ). Dabei sind Penicilline sehr gut verträgliche Arzneistoffe und nach wie vor bei vielen vor allem einfacheren Infekten Mittel der Wahl. Daher sollten Ärzte, auch im ambulanten Bereich, eine vom Patienten angegebene Penicillin-Allergie durchaus hinterfragen, zumal die Alternativen wie Fluorchinolone und Cephalosporine ein ungünstigeres Nebenwirkungsprofil haben. Allein die Erfahrungen der Fortbildungsteilnehmer zeigen, dass Patienten oft schon von einer »Penicillin-Allergie« sprechen, wenn sie Nebenwirkungen wie Durchfall hatten oder auch, wenn die Therapie nicht angeschlagen hat (womöglich bei einem viralen Infekt).
    Gansewig verwies auf eine 2020 im Fachjournal »JAMA« veröffentlichte Entscheidungshilfe bei möglicher Penicillin-Allergi e, dem sogenannten PEN-FAST-Score (DOI: 10.1001/jamainternmed.2020.0403). Dabei gibt es zwei Punkte, wenn eine allergische Reaktion auf Penicillin nicht länger als fünf Jahre her ist, zwei Punkte, wenn es dabei zu Anaphylaxie oder Angioödem oder schwerer allergischer Hautreaktion kam sowie einen Punkt wenn die allergische Reaktion eine Therapie erforderlich machte. Liegt der Score bei 3 oder niedriger, gilt das Risiko einer Penicillin-Allergie als gering.
  3. Bioverfügbarkeit oraler Antibiotika beachten: »Manche oralen Antibiotika lassen sich in der Einzeldosis nicht hoch genug dosieren, um die minimale Hemmkonzentration zu erreichen«, gab Gansewig zu bedenken und nannte als Beispiel Cefuroxim. Dann ist eine intravenöse Gabe nötig. Eine gute orale Bioverfügbarkeit haben beispielsweise Cotrimoxazol, Doxycyclin, Clindamycin, Metronidazol und Levofloxacin. »Manchmal nutzen wir die schlechte orale Bioverfügbarkeit aber sogar aus, zum Beispiel bei Vancomycin«, so die klinische Pharmazeutin. Es werde oral kaum resorbiert und wirke dann lokal im Darm bei Clostridien-Infektionen. Ähnlich sei es bei Fosfomycin 3 Gramm oral bei Harnwegsinfekten – es wirkt lokal in der Blase und sollte möglichst lang dort verbleiben. »Daher sollte es abends zwei bis drei Stunden nach der letzten Mahlzeit und nach der letzten Blasenentleerung eingenommen werden, aber das wird vermutlich häufig nicht beachtet«, so Gansewig.
  4. Begleitmedikation beachten: Apotheker wissen: Viele Antibiotika haben ein hohes Interaktionspotenzial. Klassisches Fallbeispiel: Clarithromycin und Simvastatin – Clarithromycin hemmt CYP3A4, Simvastatin wird nicht mehr normal abgebaut und akkumuliert und es kann zur gefürchteten Rhabdomyolyse kommen.
  5. Beeinträchtige Nierenfunktion beachten: Im Krankenhaus liegen den Apothekern in der Regel auch Daten zur renalen Clearance vor. »Ab einer glomerulären Filtrationsrate (GFR) von unter 50 ml/min schauen wir immer, ob die Dosis angepasst werden muss«, so Gansewig. Dabei müsse man aber zwischen chronisch und akut eingeschränkter Nierenfunktion unterscheiden. »Im Akutfall ist oft die normale Dosierung möglich. Grundsätzlich sollte die erste Gabe als Loading Dose aber immer in voller Dosierung gegeben werden, sogar bei Dialysepflicht.« Sind die Angaben nicht in den Fachinformationen zu finden, hilft die Datenbank www.dosing.de weiter. Des weiteren empfahl Gansewig als Quelle die Veröffentlichung »Therapie mit peroralen Antibiotika bei Störungen der Nierenfunktion« in »Arzneiverordnung in der Praxis« (online am 16. Juli 2019 veröffentlicht).
  6. Beschränkung der Therapiedauer: »Nehmen Sie die Packung bis zum Ende auf« – das ist schon länger obsolet, wird aber häufig noch vom Patienten gemacht«, warnte Gansewig. Der Trend gehe auch in den Leitlinien vieler Erkrankungen hin zu immer kürzeren Therapiedauern, selbst bei ambulant erworbenen Pneumonien sind es mittlerweile nur noch drei bis fünf Tage. Die gewünschte Therapiedauer muss der verordnende Arzt dem Patienten klar kommunizieren. Denn durch die Rabattverträge kann auch mal eine Packung mit mehr Tabletten als benötigt abgegeben werden. »Wir hatten einen Patienten, der nach einem zahnärztlichen Eingriff eine N2-Packung Clindamycin bekam – mit 30 Tabletten, die er alle eingenommen hat, weil er sich nicht an die vom Arzt verordnete Einnahmedauer erinnern konnte«, berichtet Gansewig. Zwei Wochen später kam er mit massiven Durchfällen  und Verdacht auf Clostridien-assoziierter Diarrhö ins Krankenhaus. Es lohne sich also in der Apotheke nachzufragen, ob der Patient über die geplante Länge der Therapie Bescheid weiß.
  7. Compliance fördern: Gerade hier können die Apotheken bekanntlich viel beitragen und die korrekte Anwendung noch einmal erläutern. »Am besten gibt man den Patienten auch etwas Schriftliches mit, zum Beispiel einen Infoflyer zur Antibiotikatherapie«, empfiehlt Gansewig. Auch gebe es hilfreiche Apps wie mediteo, die an die Tabletteneinnahme erinnern. Sie ermunterte Apotheken dazu, an Aktionstagen auf den rationalen Antibiotikaeinsatz aufmerksam zu machen, zum Beispiel am Europäischen Antibiotika-Tag , der jährlich am 18. November stattfindet.

Im Klinikum würden ihre Vorschläge, vor allem zu Dosisanpassung und Interaktionen, von den behandelnden Ärzten gut angenommen, so die Erfahrung der Apothekerin. Sie wünscht sich entsprechende interdisziplinäre Ansätze zur Verbesserung der Antibiotikatherapie auch im ambulanten Bereich und macht Offizinapothekern Mut, sich an entsprechenden Projekten zu beteiligen und vor allem die Compliance im Blick zu haben.

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