Pharmazeutische Zeitung online
Lieferengpässe

DAPI baut digitalen Zwilling

Lieferengpässe sind leider seit Jahren ein lästiges Problem. Aktuell zeigt sich das Thema beispielsweise auch bei der Versorgung mit Fiebersäften für Kinder. Das Deutsche Arzneiprüfinstitut (DAPI) hat sich zum Ziel gesetzt, Lieferengpässe genauer und schneller zu detektieren.
Dietmar Klöckner
18.11.2022  13:30 Uhr

Das Deutsche Arzneiprüfungsinstitut (DAPI) engagiert sich als gemeinnütziges Institut konstruktiv beim Thema Lieferengpässe – auch international. Lieferschwierigkeiten sollen schneller und genauer detektiert werden. Ziel ist die Sicherung der Arzneimittelversorgung. Um bestehende und sich abzeichnende Lieferengpässe besser für Apotheker erkennbar und beherrschbar zu machen, hat das DAPI die Methode des sogenannten digitalen Zwillings etabliert. Dieser setzt sich in seiner »Rezeptur« aus den folgenden drei Elementen zusammen (siehe auch Kasten):

Das abzubildende reale Objekt

Betrachtet man die Versorgung der Patienten mit Arzneimitteln, so fängt man bei der Wirk- und Hilfsstoffherstellung an und landet über pharmazeutische Unternehmen, Importeure, Zwischen- und Großhändlern schließlich bei den Krankenhaus- und öffentlichen Apotheken. Apotheken können alternativ zum Großhandel Arzneimittel auch direkt beziehen; oder die Versorgung über Apotheken erfolgt mittelbar, etwa über den Sprechstundenbedarf des Arztes.

Lieferengpässe sind hier, wenn sie in einem Versorgungsengpass münden, mit Risiken für Patienten verbunden. Apotheken leisten daher Mehraufwände, um Lieferengpässen entgegenzuwirken.

Neben der klassischen (Mehr-)Bevorratung kann die Versorgung in einem gewissen Rahmen durch den Apotheker durch Substitution mit einem vergleichbaren Arzneimittel, gegebenenfalls in Rücksprache mit dem Arzt, bis zur Selbstherstellung gewährleistet werden. Derzeit erhalten Apotheken hierfür einen erweiterten Handlungsspielraum, sodass der Austausch in der Regel ganz ohne Neuverordnung erfolgen kann.

Der digitale Zwilling im virtuellen Raum

Verschiedene Datenquellen liefern als »Grundsubstanzen« der »Rezeptur« folgende Informationen:

  • Ein Verzeichnis mit Wirkstoffherstellern ist die EDQM CEP Database (3). Das Certificate of Suitability of Monographs of the European Pharmacopoeia (CEP) wird als eine Option im jeweiligen Zulassungsdossier als Nachweis der notwendigen Wirkstoffqualität genutzt (4). Die CEP-Datenbank ist zwar umfangreich, aber leider unvollständig und liefert insbesondere keine Informationen, welchen der gelisteten Wirkstoffhersteller ein jeweiliges pharmazeutisches Unternehmen für die Herstellung seiner Arzneimittelchargen (aktuell) beauftragt hat.
  • Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) stellt in einer gesetzlich normierten Datenbank Informationen zu den dem BfArM gemeldeten Lieferengpässen (etwa Grund und Zeitraum) online bereit. Diese Informationen stammen vom pharmazeutischen Unternehmen, gemäß der Selbstverpflichtung zur Meldung von Lieferengpässen (5). Nicht enthalten sind in der Regel rezeptfreie Arzneimittel.
  • Die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) gibt in ihren AMK-Nachrichten Pharmakovigilanz-relevante Informationen der Behörden, Institutionen sowie der pharmazeutischen Unternehmen wieder (6) und stellt Informationen zu (Chargen-)Rückrufen und Chargenüberprüfungen zur Verfügung (7). Die AMK unterhält hierzu eine eigene Nachrichtendatenbank.

Informationen, die beide miteinander verbinden

Die Verfügbarkeitsinformationen aus Großhandelsabfragen werden aus der Apothekensoftware automatisch und unverzüglich an den DAPI M übermittelt (zwei Auswertungsbeispiele im Zeitverlauf: siehe Abb. 1 und Abb. 2).

Verknüpft mit Informationen aus den anderen Datenquellen werden die Daten einer Modellierung zugeführt. Derzeit untersucht das DAPI die Möglichkeit, mithilfe einer künstlichen Intelligenz (KI) aus diesen Daten sogenannte prädiktive, also vorausschauende Aussagen, insbesondere zu dem Verlauf von Lieferengpässen zu treffen.

Als Ergebnis des virtuellen Raums für das reale Objekt (die reale Welt) sollen folgende Rückmeldungen möglich sein:

  1. Bewertung der aktuellen Verfügbarkeitssituation
  2. Signalgeber für aktuell kritische Engpass-Situationen
  3. Vorhersage des zukünftigen Verlaufs von Verfügbarkeits- beziehungsweise Engpass-Situationen, etwa in 14 oder in 30 Tagen.

DAPI unterstützt europäisches Lieferengpass-Projekt

Neben der nationalen Ausrichtung des DAPI in Sachen Lieferengpässen engagiert sich das Institut auch international, um Lieferengpässen vorzubeugen. Seit Ende 2021 ist das DAPI Teil der deutschen Delegation beim paneuropäischen Lieferengpass-Projekt namens Medicines Shortage Reporting Initiative (MedSRI), das geleitet wird vom General Pharmaceutical Council of Spain. Es erfolgen regelmäßige Projektabstimmungen zwischen Delegationen, welche Apothekerorganisationen aus Deutschland, Frankreich, Irland, Italien, den Niederlanden, Portugal und Spanien vertreten.

Das Projekt zielt darauf ab, ein harmonisiertes (apothekengestütztes) Meldesystem für Versorgungsvorfälle zu schaffen, um mögliche Versorgungsprobleme zu antizipieren und die Beteiligten in die Lage zu versetzen, Maßnahmen zu ergreifen, um sie zu verhindern oder abzumildern.

Europäischer MedSRI-Projektansatz harmoniert mit DAPI M

Für die anvisierte Proof-of-Concept-Phase des MedSRI-Projektes ist der gleichgerichtete Projektansatz der Projekte MedSRI und DAPI M förderlich:

  1. Meldung der Nichtverfügbarkeit von Arzneimitteln auf Apothekenebene über die Apothekensoftware
  2. Inzidenz-Kennzahl: Anteil der Apotheken am Gesamtpanel, welche Nichtverfügbarkeiten von Arzneimitteln berichten.

Lizenzpartner von SNOMED International

Eine Zusammenführung über Grenzen benötigt eine gemeinsame »Sprache« der Arzneimittelkodierung. Eine der umfassendsten medizinischen Terminologien weltweit ist hier die »Systematized Nomenclature of Medicine Clinical Terms« (SNOMED CT). DAPI ist Lizenzpartner von SNOMED International (9) und engagierte sich zum Beispiel in der Zusammenarbeit mit der SNOMED German Translation Group (GTG). Informationen zu GTG-Projekten sind im GTG Community Browser zu finden (10).

Belastbare Ergebnisse benötigen Unterstützung

Für aussagekräftige Ergebnisse und eine hohe Resilienz des DAPI M ist eine hohe Beteiligung der Apotheken essenziell. Ist eine Apothekensoftware bereits an den DAPI M angebunden, so wurden die betroffenen Apotheken hierüber vom Softwarehaus informiert. Eine Apotheke mit bereits angebundener Software kann durch simples Ankreuzen der DAPI-M-Option in den Softwareeinstellungen die Datenlieferung an den DAPI M selbst initiieren. Das ist alles, kein Mehraufwand darüber hinaus.

Sollte ein Softwarehaus noch nicht angebunden sein, ist das DAPI gerne bereit, das Softwarehaus bei der Einbindung umfänglich zu unterstützen. 

Mehr von Avoxa