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Neue Leitlinie zur Frühgeburtsprävention

Bettruhe nur nach Risikoabwägung

Bei drohender Frühgeburt soll die werdende Mutter möglichst viel liegen. Dieses jahrzehntelang gültige Dogma stellt die kürzlich veröffentlichte Neuauflage der Leitlinie zur Prävention und Therapie der Frühgeburt nun infrage. Als effektiv gelten hingegen verschiedene medikamentöse Präventionsansätze.
Judith Lorenz
25.04.2019  18:00 Uhr

In Deutschland kommen jedes Jahr etwa 8 Prozent der Kinder als Frühgeborene, das heißt vor 37 abgeschlossenen Schwangerschaftswochen, zur Welt. Sehr unreife Frühchen haben im Vergleich zu reifen Neugeborenen ein nahezu 300-fach erhöhtes Sterberisiko sowie ein erhöhtes Risiko für schwerwiegende Beeinträchtigungen: Unter anderem drohen Gehirnschäden, Störungen der Atmung, Seh- und Hörstörungen sowie Entwicklungsverzögerungen. Angesichts der Gefahr einer lebenslangen Behinderung sowie den damit einhergehenden psychosozialen Belastungen für die betroffenen Familien – nicht zuletzt aber auch im Hinblick auf die Kostenproblematik – muss alles daran gesetzt werden, Frühgeburten zu verhindern.

»Etwa zwei Drittel der Frühgeburten sind die Folge einer vorzeitigen Wehentätigkeit mit oder ohne frühen vorzeitigen Blasensprung«, führt die Leitlinienkommission der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe aus. Häufig liegt diesem Geschehen eine bakterielle Infektion der Eihäute, beispielsweise durch aufsteigende Vaginalkeime, zugrunde. Eine gestörte vaginale Bakterienflora (bakterielle Vaginose) ist häufig an einem Anstieg des pH-Werts erkennbar und sollte antibiotisch behandelt werden, empfiehlt die Leitlinie.

Progesteron ist ein Schlüsselhormon während der Schwangerschaft. Es stellt die Muskulatur der Gebärmutter ruhig und wirkt einer vorzeitigen Muttermundseröffnung entgegen. Hier bietet sich ein Ansatzpunkt sowohl zur Prävention als auch zur Therapie: Frauen mit einer Einlingsschwangerschaft, die in der Vergangenheit bereits einmal ein Frühgeborenes zur Welt gebracht haben, können gemäß Leitlinienempfehlung zwischen der 16. und 36. Schwangerschaftswoche off label mit Progesteron behandelt werden. Gleiches gilt für Schwangere, bei welchen es bereits zu einer deutlichen Verkürzung des Gebärmutterhalses gekommen ist.

Die Progesteronsubstitution reduziert Studiendaten zufolge nicht nur die Frühgeburten- und Mortalitätsrate, sondern auch das Risiko für weitere perinatale Komplikationen. Bei bereits eingetretener Destabilisierung des Muttermundes soll laut Leitlinie der vaginalen Behandlung der Vorzug gegeben werden. Zur Verfügung stehen natürliches Progesteron in vaginaler und oraler Darreichungsform sowie ein intramuskulär zu applizierendes synthetisches Präparat.

Möglicherweise schützen auch mehrfach ungesättigte Omega-3-Fettsäuren Schwangere vor einer Frühgeburt. Den insbesondere in Flossenfischen und Schalentieren enthaltenen essenziellen Fettsäuren Eicosapentaen- und Docosahexaensäure wird eine antientzündliche Wirkung zugeschrieben. Trotz der widersprüchlichen Studienlage im Hinblick auf die Verringerung der Frühgeburtenrate empfehlen die Experten, bei vorbelasteten Müttern eine Supplementierung zu erwägen.

Die Frage, ob Schwangere mit und ohne Frühgeburtsrisiko von einer häuslichen körperlichen Schonung profitieren, beantwortet die Leitlinie mangels schwacher Datenlage nicht eindeutig. Ebenfalls ist unklar – wiederum aufgrund spärlicher Studiendaten – inwiefern Bettruhe tatsächlich die Frühgeburtenrate senkt. Prospektiv randomisierte Untersuchungen zu dieser Thematik sind dringend erforderlich.

Angesichts möglicher Gefahren der Immobilisierung für die Mutter – das Muskelatrophie-, Osteoporose- und Thromboserisiko steigen – muss das Für und Wider einer solchen Maßnahme individuell sorgfältig abgewogen werden. Im Einzelfall, beispielsweise bei einem Vorfall der Fruchtblase aus dem eröffneten Muttermund oder bei Plazentablutungen, so das Fazit der Autoren, kann die Verordnung von Bettruhe allerdings durchaus sinnvoll sein.

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