Benzos sind meist entbehrlich |
Sven Siebenand |
03.06.2025 10:00 Uhr |
Die Gruppe der Angststörungen ist heterogen. Dazu gehört zum Beispiel die soziale Phobie, also die Angst davor, von anderen Menschen bewertet zu werden. / © Adobe Stock/mariesacha
Grundsätzlich ist die syndromale Angst, wie sie zum Beispiel im Rahmen von Psychosen und Demenzen auftritt, von den Angststörungen im engeren Sinne zu unterscheiden. Darauf machte Professor Dr. Andreas Reif, Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der Goethe-Universität Frankfurt am Main, beim Fortbildungskongress Pharmacon in Meran aufmerksam.
Zu den Angststörungen im engeren Sinn zählt unter anderem die soziale Phobie, die Angst vor schlechter Bewertung durch andere Menschen, etwa bei einer Prüfung. »Dies ist eindeutig eine Domäne der Verhaltenstherapie«, sagte Reif. Aber auch pharmakologisch gebe es Möglichkeiten. Ein häufigerer Fall für den Einsatz von Arzneimitteln ist die generalisierte Angststörung (GAD). Bei Betroffenen stünden oftmals vor allem die Sorgen im Vordergrund, weniger die Ängstlichkeit, so der Referent.
Professor Dr. Andreas Reif, Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der Goethe-Universität Frankfurt am Main, beim Fortbildungskongress Pharmacon in Meran / © PZ/Alois Müller
Zu den Grundzügen der Pharmakotherapie von Angsterkrankungen gehört die Aufklärung der Patienten. Dabei sollten, so Reif, unbedingt die Sorgen vor Nebenwirkungen adressiert und die Wirklatenz erklärt werden. Die Dauer der Therapie liege in der Regel zwischen sechs und zwölf Monaten. Meist kommen unterschiedliche Wirkstoffe infrage. »Da es keine signifikanten Wirksamkeitsunterschiede gibt, erfolgt die Auswahl des Präparats nach Neben- und Wechselwirkungsprofil sowie Komorbidität.«
Eine wichtige Gruppe bei der Behandlung von Angsterkrankungen sind selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) wie Sertralin. Sie sind breit wirksam im Indikationsbereich Angst und Depression. Reif verglich sie mit einem »Schweizer Messer, das überall ganz gut hilft«. Wegen möglicher Absetzphänomene sei ein langsames Ausschleichen der Medikation über vier bis sechs Wochen wichtig. Bei einer anderen wichtigen Wirkstoffklasse, den Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (SNRI) wie Venlafaxin, seien die Absetzphänomene eher noch ausgeprägter als bei den SSRI.
Ob Panikstörung, Agoraphobie oder GAD: Für SSRI und SNRI existiert eine Leitlinienempfehlung A+, also eine starke Empfehlung. Eher zu den Reservemedikamenten zählen für Reif dagegen die Trizyklika, etwa Clomipramin und Opipramol. Der Mediziner erinnerte unter anderem an das hohe Interaktionspotenzial dieser Wirkstoffklasse.
Für die Behandlung der GAD mit einem Empfehlungsgrad B in der S3-Leitlinie versehen ist der Calciumkanalblocker Pregabalin. Reif: »Pregabalin hilft auch sehr gut, hat aber ein Potenzial für missbräuchliche Verwendung, weshalb wir es mittlerweile nicht mehr gerne geben.« Apropos nicht mehr gerne: Benzodiazepine wie Lorazepam und Diazepam sind für Reif nichts anderes als Reservemedikamente und oft entbehrlich. Wegen Toleranzentwicklung und Abhängigkeitsrisiko sollte die Anwendung unbedingt auf zwei bis vier Wochen begrenzt werden.
Das Symptom Angst isei bei Demenzpatienten häufig, so Reif. Am wichtigsten sei es, ein beruhigendes Umfeld für die Betroffenen zu schaffen. Nur falls unumgänglich empfiehlt der Arzt eine niedrig dosierte Therapie, zum Beispiel mit einem Antipsychotikum wie Quetiapin oder Risperidon. Auch bei Psychosen tritt Angst häufig auf und belastet die Patienten stark. Wie Reif informierte, steht hier die antipsychotische Medikation im Vordergrund.
Angst ist ein häufiges Symptom bei Depressionen; Angsterkrankungen sind aber auch häufige Komorbidität. Die Abgrenzung sei nicht immer einfach. Glücklicherweise seien aber viele Substanzen bei beidem effektiv, etwa SSRI und SNRI.
Für die Therapie einer posttraumatischen Belastungsstörung, kurz PTBS, sind in Deutschland nur Sertralin und Paroxetin zugelassen. Wichtigster Pfeiler der Therapie sei allerdings eine evidenzbasierte traumafokussierte Psychotherapie, etwa eine traumfokussierte kognitive Verhaltenstherapie oder eine narrative Expositionstherapie.