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Arterielle Hypertonie

Bedeutung und Pharmakotherapie

Etwa jeder dritte Erwachsene in Deutschland leidet an arterieller Hypertonie. Die Behandlung könnte durch häufigere Blutdruckkontrollen, Vereinfachung der Therapieschemata durch Fixkombinationen und Einbindung von Apothekern verbessert werden.
Ulrich Kintscher
Felix Mahfoud
Martin Schulz
07.06.2020  08:00 Uhr

Die arterielle Hypertonie ist weltweit der wichtigste Risikofaktor für Herz-Kreislauf- Erkrankungen (1). In Deutschland beträgt die Prävalenz bei Erwachsenen (18 bis 79 Jahre) 31,6 Prozent (2). Die Prävalenz ist altersabhängig, sodass bei den 65- bis 79-Jährigen etwa 71 Prozent erkrankt sind (2). Ein großer Teil der Bevölkerung, auch junger Menschen, weiß nichts von ihrer Krankheit (3, 4).

Die Versorgung der Patienten mit arterieller Hypertonie hat sich in den letzten Jahren verbessert. Leider sind die Blutdruckkontrollraten, das heißt der Anteil der Patienten, die einen leitliniengerechten Blutdruck unter Therapie aufweisen, immer noch nicht zufriedenstellend. So liegt der Wert bei etwa 30 Prozent der Behandelten nicht im Zielbereich (2). In einer neuen europäischen Studie wurde gezeigt, dass in der Sekundärprävention nach einem kardiovaskulären Ereignis sogar 42 Prozent der Patienten keinen kontrollierten Blutdruck (unter 140/90 mmHg) aufweisen (5).

In den aktuellen Leitlinien der European Society of Cardiology (ESC) und der European Society of Hypertension (ESH), die auch in Deutschland gelten, werden Screening-Programme zur Diagnosestellung besonders hervorgehoben. In Abhängigkeit von den anfänglich gemessenen Blutdruckwerten werden Zeitintervalle empfohlen, in denen Kontrolluntersuchungen stattfinden sollten. Bei einem optimalen Blutdruck unter 120/80 mmHg sollten Wiederholungsmessungen mindestens alle fünf Jahre stattfinden, bei normalem Blutdruck (120 bis 129/80 bis 84 mmHg) alle drei Jahre und bei hoch normalen Werten (130 bis 139/85 bis 89 mmHg) mindestens jährlich (4, 6).

Diagnose

Die Diagnose der arteriellen Hypertonie orientiert sich an der Praxisblutdruckmessung (4). Hier erfolgen nach einer fünfminütigen Ruhepause jeweils im Abstand von einer bis zwei Minuten drei Blutdruckmessungen im Sitzen (4, 7). Der Durchschnitt der letzten beiden Messungen wird verwendet. Ab einem Wert von 140/90 mmHg wird die Diagnose arterielle Hypertonie gestellt (4, 6).

Gemäß der aktuellen ESC/ESH-Leitlinien (4) kann die Diagnosestellung der Hypertonie zusätzlich zu Praxisblutdruckmessungen mit praxisunabhängigen Messungen (»out-of-office«) entweder durch 24-Stunden-Langzeitblutdruckmessung (ABDM/ABPM) oder durch häusliche Selbstmessungen (HBPM) erfolgen (4, 6). In der ABDM liegt der Grenzwert des 24-Stunden-Mittelwerts bei 130/80 mmHg. Tagsüber sollte der Blutdruck Werte von 135/85 mmHg und nachts Werte von 120/70 mmHg nicht übersteigen (4, 6).

Therapie und Therapieadhärenz

Die Grundlage der Behandlung der arteriellen Hypertonie sind Lebensstilinterventionen, die in den ESC/ESH-Leitlinien im Detail erläutert werden. Bei der medikamentösen Therapie werden antihypertensive Fixkombinationen jetzt schon zu Beginn der Behandlung bei den meisten Patienten empfohlen. Die unkomplizierte Hypertonie soll demnach mit einer Kombination aus einem Blocker des Renin-Angiotensin-Systems (RAS), also einem ACE-Hemmer (ACEi) oder Angiotensin-II Rezeptorblocker (ARB/Sartan), mit einem Calciumkanal-Blocker (CCB) oder Diuretikum behandelt werden.

Wenn die initiale Zweifach-Fixkombination nicht zur Blutdruckkontrolle führt, sollte auf eine Dreifachkombination in einer Tablette mit RAS-Blocker (ACEi oder ARB), CCB und Diuretikum eskaliert werden. Bei therapieresistenter Hypertonie wird die zusätzliche Gabe von Spironolacton (25 bis 50 mg/d), einem anderen Diuretikum, einem Alphablocker oder einem Betablocker empfohlen (4, 6).

Die Empfehlung von Fixkombinationen begründet sich auf Daten zur Therapieadhärenz. Denn der Blutdruck kann medikamentös nur adäquat eingestellt werden, wenn die Arzneimittel auch regelhaft eingenommen werden. Leider ist die Therapieadhärenz bei kardiovaskulären Erkrankungen niedrig: in der Primärprävention 50 Prozent, in der Sekundärprävention 66 Prozent (8). In Studien zur arteriellen Hypertonie waren die Werte vergleichbar (9).

Die Anzahl der verordneten Medikamente ist ein wichtiger Einflussfaktor der Therapieadhärenz. Je weniger Tabletten eingenommen werden müssen, desto höher ist in der Regel die Einnahmetreue (9). Demnach können Fixkombinationen die Adhärenz verbessern und das kardiovaskuläre Risiko senken (10, 11). Diese Erkenntnisse bilden die Grundlage für die aktuelle Leitlinienempfehlung (4, 6).

Arzt-/Apotheker-Kooperation

Zur Frage der Evidenz apothekerlicher sowie interdisziplinärer Interventionen in Bezug auf eine stärkere Blutdrucksenkung, eine verbesserte Blutdruckkontrolle und die Prävention von kardiovaskulären Erkrankungen belegen zahlreiche (cluster-)randomisierte und Kohorten-Studien (12–14) sowie mehrere systematische Übersichtsarbeiten mit Metaanalysen (15–17) deren Wirksamkeit. Diese robuste Evidenz hat auch dazu geführt, dass ein Apotheken-basiertes Management der Hypertonie in Leitlinien und Positionspapieren aufgenommen wurde (18, 19). So sind auch Vertreter der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) an der Erstellung der 1. Auflage der Nationalen Versorgungsleitlinie (NVL) Hypertonie beteiligt.

Wichtig ist auch eine Untersuchung zum »New Medicine Service« in Großbritannien. Diese zeigte, dass eine strukturierte Einbindung von Apothekern bei Erstverordnung eines Antihypertensivums mit dem Ziel, die Therapieadhärenz zu verbessern, nicht zu einer relevanten Erhöhung der Arbeitsbelastung der verordnenden Ärzte führt (20).

Apotheken sind für viele Menschen die erste Anlaufstelle in Gesundheitsfragen. Daher sind sie besonders gut geeignet, Menschen mit erhöhtem Blutdruck zu identifizieren. Gleiches gilt für Patienten mit diagnostizierter und behandelter Hypertonie, deren Blutdruck nicht ausreichend kontrolliert ist. Um Apotheken in die Lage zu versetzen, Empfehlungen auf Basis der gemessenen Werte auszusprechen, wurden die Informationsbögen Blutdruck entwickelt. 

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