Ausgezeichnete HIV-Therapeutika |
Theo Dingermann |
14.03.2019 08:00 Uhr |
Die rote Schleife steht seit den frühen Neunzigern für die Solidarität mit HIV-Infizierten und Aids-Kranken. / Foto: dpa
Der Erfolg der HIV-Therapeutika kommt natürlich nicht von ungefähr. Mit der detaillierten Erarbeitung der molekularen Mechanismen einer HIV-Infektion traten Zielstrukturen zutage, die sich als Stellschrauben für spezifische Störeffekte im komplexen Netzwerk der HIV-Infektionsbiologie geradezu aufdrängten. Denn diese Angriffspunkte findet man einzigartig nur in den von einem HI-Virus attackierten menschlichen Zellen. Erstmals zeichnete sich damals für Virustatika ein analoges Potenzial ab, wie es für Antibiotika lange bekannt war und erfolgreich genutzt wurde. Sicherlich war auch das ein Grund dafür, diese Wirkstoffe unter anderen Innovationen der entsprechenden Jahre besonders hervorzuheben. Zusätzlich trugen die neuen HIV-Therapeutika zu einer fast beispiellosen Erfolgstory bei, die letztlich dazu führte, dass sich eine HIV-Infektion in einer rekordverdächtig kurzen Zeitspanne von einer tödlichen zu einer chronischen Infektionskrankheit wandelte.
Der Wirkstoff Enfuvirtid (Fuzeon®) entfaltet seine Aktivität, bevor es einem HI-Virus gelungen ist, in eine Zelle einzudringen. Er unterbindet die Fusion der Zellmembran einer von einem HI-Virus attackierten Zelle mit der Membran, die HI-Viren umhüllt, wenn sie sich im Blut aufhalten. Dieser Mechanismus ist komplex. In einem ersten Schritt bindet das virale gp120-Protein an ein CD4-Molekül auf der kompatiblen Zelle. Durch diese Bindung wird das Transmembranprotein gp41 freigelegt und ändert dann seine Konformation, sodass die Zellmembran und die Membran der Virushülle in direkten Kontakt gelangen und miteinander verschmelzen. Enfuvirtid, ein Oligopeptid aus 36 Aminosäuren, bindet an eine intermediäre Konformationsstruktur des gp41 und verhindert so die finale Annäherung der beiden Membranen. Es handelt sich also um ein HIV-Therapeutikum, das extrazellulär wirkt und das aufgrund seiner Peptidstruktur zwingend parenteral zu applizieren ist.
Das ist bei Raltegravir (Isentress®), dem Gewinner des PZ-Innovationspreises im Jahre 2009, ganz anders. Dieses Molekül entfaltet seine Wirkung im Zellkern der infizierten Zelle, wo es die virale Integrase hemmt. Das Enzym katalysiert die kovalente Insertion der durch reverse Transkription der HIV-RNA erzeugten DNA-Kopie in das Genom der infizierten Zelle. Raltegravir hemmt hier konkret die sogenannte Strangtransfer-Reaktion, die letzte von drei Teilreaktionen, die die Integrase katalysiert. Dass sich dieses Prinzip bewährt hat, wird auch dadurch offensichtlich, dass es Folgepräparate gibt: Zum einen Stribild®, eine fixe Kombination, die neben dem Integrasehemmer Elvitegravir noch Cobicistat, Emtricitabin und Tenofovirdisoproxil enthält, und Tivicay®, das den Integrasehemmer Dolutegravir enthält.
Alle diese Wirkstoffe sind hochspezifisch für eine HIV-Infektion, denn nur in Gegenwart von HI-Viren finden die Moleküle eine Zielstruktur. Aus diesem Grund werden die Medikamente auch recht gut vertragen, ganz ähnlich, wie man das von den Antibiotika kennt. Zudem zeigen die Wirkstoffe keine Kreuzresistenzen mit Viren, die Mutationen tragen, die zur Unwirksamkeit von nukleosidischen oder nicht nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Hemmern oder von Protease-Inhibitoren führen. Kein Wunder also, dass diese beiden Wirkstoffe unabhängig voneinander mit dem PZ-Innovationspreis ausgezeichnet wurden.
Seit fast einem Vierteljahrhundert vergibt die Pharmazeutische Zeitung den PZ-Innovationspreis und würdigt damit das jeweils innovativste Arzneimittel eines Jahres. Beim diesjährigen Pharmacon-Kongress in Meran wird der Preis zum 25. Mal verliehen. Das Jubiläum nimmt die PZ zum Anlass, alle bisherigen Preisträger Revue passieren zu lassen und sie kritisch zu beleuchten. Ließen sie sich in den Therapiealltag integrieren? Haben sie neue Therapierichtungen induziert? Als Autoren fungieren die Professoren Dr. Theo Dingermann und Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz, Mitglieder der externen PZ-Chefredaktion, sowie der stellvertretende PZ-Chefredakteur Sven Siebenand.