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Bärte

Haarige Zeiten

17.12.2014  09:41 Uhr

Von Ulrike Abel-Wanek / Der Mann, der modisch etwas auf sich hält, trägt heute Haare im Gesicht. Bärte, so weit das Auge reicht, nicht erst, seit Ingo Zamperoni mit Vollbart die Tages­themen moderierte. Mal ist er ab, mal ist er dran – der Bart hat eine wechselvolle Geschichte.

Er war entweder der letzte Schrei oder hoffnungslos aus der Mode. Am einen Tag noch das liebste Accessoire des Mannes, galt er am nächsten als bäuerlich, rückständig und unkultiviert. Bärte standen im Laufe der Jahrhunderte für Patriotismus, Religion und Revolution, zeitweise waren sie sogar verboten.

 

Griechische Götter, Philosophen und Herrscher trugen Bart als Zeichen für Weisheit, Würde und Alter. Auf die alten Griechen geht auch der Spruch zurück: »Jemandem um den Bart gehen«. Denn berührte man die Gesichtshaare eines anderen, während man ihn um einen Gefallen bat, wurde dem Wunsch stattgegeben, so glaubte man jedenfalls. Auch im römischen Götterhimmel war der Bart den Ältesten und Mächtigsten vorbehalten. Die Sache von Julius Cäsar war er hingegen nicht. Angeblich ließ sich der römische Kaiser seine Stoppeln einzeln mit der Pinzette ausreißen – und trug lieber Lorbeerkranz. Sklaven rasierte man Kopf und Bart als Zeichen ihrer Schwäche. Kräftiger Haar- und Bartwuchs galt in der Pogonologie beziehungsweise Bartwissenschaft jahrhundertelang als ein Zeichen von Stärke und Kraft.

 

Ungebremste Haarigkeit herrschte in der Merowingerzeit. Hier galt: Ohne Bart kein König – bis im Mittelalter für Bartträger eher dunkle Zeiten anbrachen. Bis zum 15. Jahrhundert führten Bärte ein Schattendasein. Ausnahmen bestätigen die Regel – wie bei Otto dem Großen, der sogar bei seinem Barte zu schwören pflegte – oder im 12. Jahrhundert Friedrich I., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, der mit seinem roten Bart als »Barbarossa« in die Geschichte einging.

 

In der Renaissance wurde das Gesichtshaar wieder heimisch in Europa. Papst Julius II. trug Bart, als erster Papst seit Langem. Mehrere große Könige wie Franz I. von Frankreich oder Heinrich VIII. von England folgten und setzten Trends im Volke: Man trug wieder Bart, und die Stile wurden vielfältiger und individueller. Die Bartform des Franzosenkönigs Heinrich IV. war so populär, dass sie noch heute seinen Namen trägt: Henriquatre.

 

Doch schon im 17. Jahrhundert musste die Bartbewegung erneut herbe Rückschläge einstecken. Sonnenkönig Ludwig XIV. trug lieber Perücke als Bart. Und Zar Peter der Große ließ im Rahmen russischer Modernisierungsmaßnahmen das Tragen von Bärten 1698 sogar kurzerhand verbieten. Wer seinen Bart behalten wollte, musste sich durch Zahlen einer sogenannten Bartsteuer von der Rasur befreien lassen.

 

Erst im 19. Jahrhundert macht das Gesichtshaar wieder Geschichte. Nicht mehr länger Modeaccessoire oder Statussymbol, riefen die Rauschebärte in der politisch aufgeladenen Zeit rund um die Revolutionen von 1830 und 1848 zur Revolte auf. Bärte trugen dann bald auch Politiker und Staatsoberhäupter, um ihre Nähe zum Volk zu demonstrieren. Jenseits des Atlantiks machte der amerikanische Präsident Abraham Lincoln den Bart populär. Und sogar Ärzte rieten in dieser Zeit zum Tragen eines Bartes. Im Zuge der Industrialisierung sahen sie in ihm ein gesundheitsschützendes Abwehrmittel gegen die zunehmende Luftverschmutzung.

 

Aber Bärte gehörten auch zu den frühen Opfern des Industriezeitalters. Um die Jahrhundertwende erfand King Camp Gillette den Einwegrasierer. Er erleichterte nicht nur die Heimrasur und übte Druck auf den modernen Amerikaner aus, glattrasiert aufzutreten. Auch der Erste Weltkrieg sicherte seinen Erfolg, denn das Tragen von Gasmasken erforderte glatte Wangen. Eine anschwellende Hygienebewegung verdammte den Bart zudem nun als Brutstätte krankmachender Bakterien – tatsächlich ist er ein Biotop für eine stattliche Zahl von Kleinstlebewesen. Moralisch stand der bärtige Mann im Ruf, etwas verbergen zu wollen. »Haarigkeit suggerierte offenkundig die unsauberen Sitten der alten Welt«, so Allan Peterkin, Autor des Standardwerks »One Thousand Beards« im kürzlich erschienen Sammelband »Anything grows« aus dem Franz Steiner-Verlag. Ende der 1920er-Jahre waren Bärte aus Männergesichtern so gut wie verschwunden. Galt der Schnurrbart für einige Zeit noch als legitimer Kompromiss, machten ihn spätestens die üblen Diktatoren Hitler und Stalin untragbar.

 

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg begannen die Stoppeln wieder zu sprießen – oft als Akt der Auflehnung gegen Konformismus oder Militarismus. Es war dann auch der Kampf für den Weltfrieden, der den Bart in der 1960er-Jahren wieder auf die Straßen brachte. Freie Haare, freie Bärte, freie Liebe: Die Generation der 68er ließ sich als Zeichen ihres Nonkonformismus lange Haare und Bärte wachsen, und die haarigen Zeiten wurden im Hitmusical »Hair« gefeiert.

Mogelpackung Mann mit Bart

 

In den 1980er-Jahren wurde es weltweit totenstill an der Bartfront, »da sich die Leute langsam von Disco und giftigen Haarspraydünsten erholt hatten und sich ernsthaft ihren Geschäften widmeten«, begründet Peterkin die Bartflaute. Den Auftakt einer neuen Bartbewegung, die bis heute anhält, datiert er auf Mitte der 1990er-Jahre. Die David-Bowie-Androgynie war out, Männer wollten wieder hart und männlich erscheinen, auch wenn heute kaum einer, der aussieht, als käme er gerade von der Bärenjagd, ohne Feuerzeug ein Feuer machen kann. So werde der bärtige Mann zur Mogelpackung, sagt Mahret Kupka, Kuratorin am Museum für angewandte Kunst in Frankfurt am Main: »Für den Bart heißt das konkret, dass er heute nicht mehr wie in antiken Kulturen auf virile Männlichkeit verweist, sondern nur noch an seine ursprüngliche Funktion erinnert.

 

Denkt man an die hohe Konzentra­tion von Bärten in urbaner Umgebung, wo ganze Cafés mit Vollbartträgern gefüllt werden können, ist der Bart vor allem eins: Mode und »ein allgegenwärtiges Fashion-Statement«, so Peterkin. Australische Forscher sprechen bereits von einem »Peak Beard«, dem Bart-Gipfel, und prophezeien, dass die ersten Mutigen bald wieder mit dem Rasieren anfangen. Dann hat der Glattrasierte unter all den Bärten den Exotenstatus – und biologisch betrachtet machen Alleinstellungsmerkmale ja attraktiv. /

Buchtipps

Jörg Scheller, Alexander Schwinghammer (Hrsg.):

Anything Grows. 15 Essays zur Geschichte, Ästhetik und Bedeutung des Bartes.

315 Seiten, zahlreiche Fotos und Abbildungen.

Franz Steiner Verlag 2014.

ISBN 978-3-515-09708-6.

EUR 29,90.

 

Johannes Engelke, Friederike Kohl:

Bart aber herzlich. Eine Liebeserklärung.

176 Seiten.

Droemer Knauer Verlag 2014.

ISBN: 978-3-426-78710-6.

EUR 9,99.

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