Harte Drogen, harter Weg |
17.12.2007 10:32 Uhr |
Harte Drogen, harter Weg</typohead type="3">
Von Daniela Biermann, Frankfurt am Main
Ein Heroinentzug ist langwierig und schwierig. An der Substitutionstherapie sind Apotheken in der Regel beteiligt - für den Apotheker oft eine menschlich und rechtlich problematische Situation.
In seinem Drogen- und Suchtbericht schätzt das Bundesgesundheitsministerium, dass 250.000 bis 280.000 Menschen in Deutschland von Opiaten abhängig sind. 2006 erfasste das deutsche Substitutionsregister rund 64.500 Süchtige. Der Großteil von ihnen, mehr als 80 Prozent, erhält Methadon; 15 Prozent Buprenorphin. Codein und Dihydrocodein spielen aufgrund ihrer kurzen Wirkdauer keine Rolle mehr in der Substitution. Der Einsatz von Diacetylmorphin ist umstritten. Das synthetische Heroin wird nur im Rahmen von Modellprojekten verabreicht.
Welcher Arzneistoff sich am besten für die Substitution eignet, hängt stark vom Patienten ab. Zunächst muss der Arzt klären, ob ein Süchtiger für eine Drogenersatztherapie infrage kommt, erklärte Dr. John Koc, Facharzt für Psychiatrie und Suchtmedizin am Ameos Klinikum in Bremen, auf einer Fortbildungsveranstaltung zur Pharmazeutischen Betreuung und Versorgung von Suchtpatienten und Schwerpunktpraxen der Firma Essex Pharma. »Eine Zwangstherapie bringt über die Dauer nichts«, warnte er. Falls der Patient entzugswillig ist und die Sucht nicht länger als zwei Jahre besteht, kann er an einer ambulanten Abstinenztherapie oder einer ambulanten Dauersubstitution teilnehmen. Ansonsten findet die Therapie stationär statt.
Generell ist nur ein ganzheitliches Konzept sinnvoll. Ein wichtiger Punkt ist die Resozialisierung. »Junkies sind sehr einsam, da sie oft nur Szene-Bekanntschaften haben«, sagte Koc. Drogenfreie Beziehungen und eine Beschäftigung erhöhen dagegen die Chancen, »clean« zu bleiben.
Raus aus dem Drogensumpf
Eine psychotherapeutische Betreuung sei immer nötig. »Sonst gelingt keine Behandlung«, machte der Psychiater klar. Viele Junkies leiden unter Psychosen, affektiven Störungen, Angsterkrankungen oder posttraumatischen Belastungsstörungen aufgrund von Gewalterfahrungen.
Koc riet ausdrücklich von der Verordnung von Benzodiazepinen ab: »Sie wirken rasch, aber nicht lang und machen ebenfalls abhängig. Der Entzug ist oft schwieriger als bei Opiaten.« Die Gefahr von Missbrauch, Mischintoxikationen und des Tausches von Rezepten auf dem Schwarzmarkt ist groß. Koc empfahl, Benzodiazepine nur in Notfällen über einen kurzen Zeitraum zu verschreiben, zum Beispiel bei epileptischen Anfällen. Carbamazepin eignet sich aufgrund seines Interaktionspotenzials nicht als Antikonvulsivum während der Substitutionstherapie. Pregabalin dagegen wirkt zusätzlich anxiolytisch.
»Eine sinnvolle Alternative zu Benzodiazepinen sind Antidepressiva«, sagte Koc. Mirtazapin eigne sich beispielsweise beim Cocain-Entzug. Leidet der Patient unter einer psychotischen Erkrankung, empfahl er Olanzapin als Neuroleptikum. Die Gewichtszunahme als Nebenwirkung ist bei den oft mangelernährten Süchtigen durchaus erwünscht.
Methadon oder Buprenorphin
Schon die Wahl des Substitutionsmittels kann der Arzt auf den Patienten abstimmen. Besteht eine lange und schwere Heroinabhängigkeit mit hoher Dosis und mehrfach täglichem Konsum, sollte mit Methadon gearbeitet werden. Methadon sediert, was von Vorteil bei aggressiven Patienten sein kann, erklärte Koc.
Konsumiert der Süchtige weniger als sechs Monate, nicht mehrfach täglich und weniger als 1,5 Gramm Heroin pro Tag oder appliziert er die Droge hauptsächlich nasal, eignet sich Buprenorphin zur Substitution. Ebenso ist es bei schwangeren Opiatabhängigen vorzuziehen, da ein neonatales Entzugssyndrom unter Buprenorphin-Substitution weniger deutlich ausfällt. Im Gegensatz zu Methadon kommt es nicht zur Sedierung.
Die unterschiedliche Wirkung liegt in der Pharmakologie der Substanzen, erklärte Matthias Bastigkeit, Apotheker und Fachdozent für Pharmakologie. »Wir brauchen beide Substanzen, müssen sie aber differenziert einsetzen.« Während Methadon gleichermaßen agonistisch an μ- und κ-Rezeptoren angreift, wirkt Buprenorphin partial agonistisch am μ- und antagonistisch am κ-Rezeptor. Ersteres führt zu Analgesie und Unterdrückung von Entzugssymptomen, Letzteres bewirkt eine leicht antidepressive Wirkung und bewahrt die geistige Klarheit. »Die will aber nicht jeder Patient«, sagte Bastigkeit.
Bei bestimmungsgemäßen, also oralem beziehungsweise sublingualem Gebrauch fluten beide Substanzen langsam an. 16 mg des lipophilen Buprenorphins blockieren dabei circa 80 Prozent aller Opioidrezeptoren und verdrängen andere Substanzen. Bei Beigebrauch anderer Opiate bleibt der erwünschte »Kick« aus. Im Dosisbereich von 18 bis 90 mg Methadon sind dagegen nur 10 bis 20 Prozent der Rezeptoren blockiert; das Craving bleibt. Schon die dreifache Methadon-Überdosierung kann zu Atemdepression führen. Buprenorphin hat diesbezüglich eine größere therapeutische Breite. Naloxon kann im Notfall beide Substanzen antagonisieren.
Missbrauch verhindern
»Alle Mittel werden missbraucht«, warnte Bastigkeit. Neben einer höheren Dosierung nutzen die Abhängigen vor allem andere Applikationswege, um ihren Kick zu bekommen. Sie schnupfen zum Beispiel Buprenorphin oder spritzen Methadonsaft. Hier kann der osmotische Effekt zu Nekrosen führen, denen Amputationen folgen können. Aufgelöste Tabletten, zum Beispiel mit Benzodiazepinen, enthalten oft Talkum, das in der Blutbahn Gefäßverschlüsse und Abszesse an allen Organen verursacht. Selbst das Wissen um diese Gefahren schreckt die Süchtigen oft nicht vom Missbrauch ab, sagte Bastigkeit.
Um Missbrauch vorzubeugen, gibt es ein Kombinationspräparat aus Buprenorphin und dem Opiatantagonisten Naloxon (Suboxone®). Bei sublingualer Gabe wird Naloxon nicht resorbiert und Buprenorphin kommt langsam zur Wirkung. Intravenös oder nasal wirkt Naloxon zuerst und führt zu einem nicht lebensgefährlichen Entzugssyndrom.
Methadonlösung sollte nicht mit Kirschsirup hergestellt werden, empfahl Christiane Fahrmbacher-Lutz, Apothekerin aus Augsburg. »Der schmeckt zu gut.« Besser sei die NRF-Standardrezeptur für Methadonlösung. In der jüngsten NRF-Nachlieferung gibt es zudem eine neue Anleitung zur Andickung und grünen Einfärbung von Levomethadonlösung (L-Polamidon®), um vor dem intravenösen Gebrauch abzuschrecken. Wichtig sei eine einheitliche Rezeptur in einer Region. »Die Apotheker dürfen sich nicht gegeneinander ausspielen lassen«, warnte die Referentin, die in mehreren Suchtarbeitskreisen aktiv ist.
Das gilt für alle Bereiche. Sowohl im eigenen Team als auch mit den Arztpraxen müssen klare Absprachen getroffen werden. Für die Patienten müssen ebenso klare Regeln, am besten schriftlich, gelten. Die Missachtung muss Konsequenzen nach sich ziehen. Zum Beispiel sollten die Mitarbeiter die Take-Home-Abgabe an alkoholisierte Patienten verweigern. Bestehe der Verdacht auf Missbrauch oder dass der Patient seine Medikamente weiterverkauft, solle der Apotheker das Rezept nach Paragraf 17, Absatz 8 ApBetrO einbehalten oder die Verweigerung auf dem Rezept dokumentieren.
Für verantwortungsvolle Patienten
Für die Take-Home-Substitution kommen generell nur Patienten infrage, die sich über einen längeren Zeitraum als zuverlässig und stabil erwiesen haben. »Take Home« muss nicht explizit auf dem Rezept stehen, da jedes Rezept, das der Süchtige selbst bringt, prinzipiell ein Take-Home-Rezept ist.
Dafür muss der Arzt und auch der Apotheker auf viele Dinge achten. Nur zur Substitution berechtigte Ärzte dürfen diese Rezepte ausstellen. Der Apotheker muss diese Berechtigung nicht kontrollieren. Falls er jedoch weiß, dass der Arzt nicht berechtigt ist, muss er dies melden. Dagegen muss er auf Ausstellungsdatum und -zeitraum achten. Wie alle Betäubungsmittelverschreibungen sind Take-Home-Rezepte ab dem Ausstellungstag noch weitere sieben Tage gültig. Allerdings sollte der Apotheker spät eingereichte Verschreibungen kritisch hinterfragen. »Man weiß nie, was der Süchtige in der Zwischenzeit gemacht hat«, sagte die Apothekerin. »Der Patient darf nicht zu Schaden kommen.« Take Home darf nicht für mehr als sieben Tage verordnet werden. Will der Patient Urlaub im Ausland machen, kann der Arzt für maximal 30 Tage im Jahr verschreiben.
Bei Methadonlösung sollte der Arzt die Dosis in Millilitern und Milligramm angeben. Der Apotheker muss sie in Einzeldosen, zum Beispiel Brechampullen, abgeben. »Das erschwert den Verkauf auf dem Schwarzmarkt«, sagte Fahrmbacher-Lutz. Tabletten müssen gegebenenfalls ausgeeinzelt werden, je nachdem, wie viele Tabletten der Arzt aufschreibt. Hier sah die Referentin noch Regelungsbedarf bezüglich der Taxierung. Zudem wichtig zu beachten:
Sichtvergabe in der Apotheke
Falls ein Süchtiger noch nicht bereit ist für die Take-Home-Substitution, kann eine Sichtvergabe in Kooperation mit der Arztpraxis auch in der Apotheke erfolgen. Der Patient muss weiterhin mindestens einmal die Woche den behandelnden Arzt konsultieren und einen Behandlungsvertrag mit ihm schließen. Darin sollte eine Klausel über die Entbindung von der Schweigepflicht zwischen Arzt und Apotheker stehen sowie eine Regelung über ein Honorar für die Sichtvergabe. Fahrmbacher-Lutz riet zusätzlich zu einem Behandlungsvertrag mit der Arztpraxis und der Abklärung der Haftpflicht.
Der Einnahmeort sollte uneinsehbar sein und die Betäubungsmittel an einem anderen Ort gelagert werden. Der Apotheker muss eine exakte und patientenbezogene Dokumentation führen.
»Die Sichtvergabe könnte eine flächendeckende Versorgung der Patienten erlauben«, sagte Fahrmbacher-Lutz. »Wir brauchen die Apotheker dringend zur Versorgung der Suchtpatienten.«