Weltmarke aus dem hohen Norden |
19.12.2006 18:43 Uhr |
Weltmarke aus dem hohen Norden
Von Patrick Hollstein, Reykjavik
Durch geschickte Zukäufe hat sich das isländische Pharmaunternehmen Actavis in Rekordgeschwindigkeit vom lokalen Anbieter und Auftragsproduzenten zu einem der schwergewichtigsten Player im weltweiten Generikamarkt entwickelt. Ein Musterbeispiel für die Konsolidierungsdynamik.
Die Chancen stehen nicht schlecht, dass das Unternehmen nach der geplanten Umetikettierung seines breiten Portfolios zu einer neuen Weltmarke im Generikabereich aufsteigt. Mit weiteren Zukäufen, unter anderem in Deutschland, ist zu rechnen.
Angesichts der seit Jahren zu beobachtenden Konsolidierung in der Generikaindustrie räumen Analysten neuen Anbietern eigentlich kaum noch Chancen ein, sich erfolgreich am Markt zu positionieren. Teva, Sandoz/Hexal oder Ratiopharm - die Spitzenplätze im weltweiten Pharma-Kopiergeschäft sind längst verteilt. Dank einer geschickten strategischen Planung sowie der Rückendeckung eines ebenso loyalen wie großzügigen Investorenzirkels ist es Actavis-CEO Robert Wessman jedoch gelungen, ein mittelständisches Pharmaunternehmen mit Sitz in Reykjavik innerhalb von nur sieben Jahren zum Global Player zu machen.
Seit 1999 kaufte Wessman weltweit 20 Mitbewerber, acht davon alleine im vergangenen Jahr. Zwar scheiterte er mit der Niederlage im Bietergefecht um den kroatischen Traditionshersteller Pliva vor wenigen Monaten beim Sprung vom fünften auf den ersehnten dritten Platz innerhalb der Branche. Doch daran, dass er mit Actavis an die Spitze will, lässt Wessman keinen Zweifel.
Schwindelerregende Expansion
Die Geschichte von Actavis reicht zurück bis ins Jahr 1956. Als Einkaufsgemeinschaft einer Gruppe von Apothekern gegründet, steigt das zunächst unter dem Namen Pharmaco firmierende Unternehmen 1960 in die Produktion von Arzneimitteln ein. 1999 investiert Björgólfur Thor Björgólfsson, Spross einer von zwei großen isländischen Familiendynastien, in den Pharmahersteller. Björgólfsson hatte durch Brauereigeschäfte in Russland den Grundstein seines künftigen Imperiums gelegt. Heute hält der erste Milliardär Islands 39 Prozent des Aktienkapitals am Unternehmen. Über Vertraute, die Schlüsselpositionen in weiteren Finanzgesellschaften besetzen, kontrolliert der Magnat indirekt sogar eine Mehrheitsbeteiligung.
Mit dem Einstieg Björgólfssons beginnt die schwindelerregende internationale Expansion des Unternehmens, dessen 150 Mitarbeiter 1999 noch einen Umsatz von 57 Millionen Euro erwirtschaften. Im selben Jahr übernimmt Pharmaco den bulgarischen Hersteller Balkanpharma; jahrelang bleibt die Schwarzmeerrepublik wichtigster Auslandsmarkt des schnell wachsenden Konzerns. Danach erwirbt Pharmaco Unternehmen in Malta, Serbien, den skandinavischen Ländern sowie in der Türkei und in Polen. Seit Mai 2004 wird die Firma unter dem Namen Actavis geführt.
Einkaufstour durch Europa
Der Marktwert des Unternehmens steigt jährlich um bis zu 60 Prozent. Da sich Wessmans Portemonnaie nie zu leeren scheint, geht die Einkauftstour weiter: 2005 erwerben die Isländer Vertriebsfirmen in Tschechien, Ungarn und der Slowakei, einen Großhändler in Bulgarien, Forschungslabors in Indien. Gleichzeitig gelingt Wessman der Einstieg in den US-Markt, dem heute größten Absatzmarkt des Unternehmens. Mit der Übernahme der Humanarzneimittel-Sparte von Alpharma erhält Actavis außerdem erstmals direkten Zugriff auf den deutschen Markt. 2006 kauft der Konzern in Rumänien und Russland zu. Die Kehrseite der Medaille: Rund 5000 Arbeitsplätze sind seit 2003 der Expansion zum Opfer gefallen.
Globale Präsenz
Mit 11.000 Mitarbeitern in 32 Ländern, Produktionskapazitäten von 24 Milliarden Tabletten jährlich, 650 Präparaten im Portfolio und weiteren 330 in der Pipeline sowie mit einem erwarteten Jahresumsatz von 1,4 Milliarden Euro zählt Actavis bereits heute zu den Schwergewichten der Branche. In den kommenden Jahren soll Actavis auch als Marke endgültig zu globaler Präsenz gelangen. Denn bislang wurden die Produkte der erworbenen Konzerntöchter oft unter altem Etikett weitergeführt. In Deutschland soll noch im kommenden Jahr Alpharma/Isis komplett in die Weltmarke Actavis umgewandelt werden.
Wichtiger Zeitvorteil
Dabei hatte das Unternehmen seine Rolle innerhalb der weltweiten Generikaindustrie zunächst vollkommen anders definiert. Nicht eigene Markenware, sondern Entwicklung und Produktion im Auftrag der heutigen Konkurrenz waren das ursprüngliche Kerngeschäft des Herstellers aus dem Norden. Weil Actavis in Island aufgrund fehlender EU-Bestimmungen bereits vor Auslauf des Patentschutzes mit der Entwicklung generischer Alternativen eines bestimmten Wirkstoffs beginnen konnte, waren Wessman und sein Team anderen Unternehmen immer einen Schritt voraus. So hätten vor zwei Jahren sechs Jumbojets, beladen mit Präparaten des eben patentfrei gewordenen Wirkstoffs Ramipril, den Inselstaat in Richtung Deutschland verlassen, berichtet Wessman nicht ohne Stolz. Über einen Zeitraum von fünf Jahren sichert sich das Unternehmen nach Entwicklung eines neuen Generikums Exklusivverträge mit seinen Kunden. Ob Ratiopharm, Hexal, Stada: Allein hierzulande haben die Isländer mit bestimmten Produkten, etwa Neurologika oder ACE-Hemmern, in den ersten Jahren nach deren Patentablauf einen unsichtbaren Marktanteil von 50 bis 90 Prozent. Insgesamt setzt Actavis in Deutschland 55 Millionen Euro als Lohnhersteller um, das sind 45 Prozent der gesamten Sparte. Weitere 57 Millionen Euro verdient Actavis mit der eigenen Marke Alpharma/Isis. Hier will Wessman weiter zulegen. Zunächst soll das Verkaufsteam um die Hälfte aufgestockt werden. Und auch wenn derzeit keine Gespräche geführt werden, schließt Wessman weitere Zukäufe nicht aus.
Einstieg in Vertrieb
Besonders interessant seien für ihn Nischen mit werthaltigen Produkten, wie der Bereich der Onkologie oder Generika mit kontrollierter Wirkstofffreisetzung, macht Wessman deutlich. Parallel zur Verbreiterung will der Actavis-Chef international sein Unternehmens in den kommenden Jahren aber auch stärker vertikalisieren. In Serbien und Rumänien ist Actavis bereits in den Vertrieb von Arzneimitteln eingestiegen, in Bulgarien hat Großhandelstochter Higia im September die Apothekenkooperation Pharma Expert ins Leben gerufen.
Auch die Lohnherstellung soll in Zukunft von Bedeutung bleiben. Denn obwohl mit dem Zusammenschluss von Generikaherstellern auch Kapazitäten für die hausinterne Entwicklung neuer Produkte frei würden, seien insbesondere kleinere Anbieter weiter auf die Zulieferung angewiesen, so Wessman. Obwohl bei Actavis Auftragsproduktion und eigenes Generikageschäft im Interesse der Kunden streng getrennt geführt werden, macht der Actavis-Chef kein Geheimnis daraus, dass die Vernetzung Nutzen stiftet: »Wir haben in der Vergangenheit mit unglaublich vielen Unternehmen zusammengearbeitet und sind jetzt in der Lage, das Beste aus dem Gelernten für unsere eigene Forschung und Entwicklung anzuwenden.«