Mit vernetztem Denken die Zukunft gestalten |
18.12.2006 13:10 Uhr |
Mit vernetztem Denken die Zukunft gestalten
Von Margret Richter
Die tiefgreifenden Umbrüche im Gesundheitswesen konfrontieren die Apotheker mit sehr komplexen Herausforderungen. Mit linearen Strategien sind diese nicht zu bewältigen. Erforderlich ist vernetztes Denken. Nur auf dieser Basis können sie ihre Apotheke gesund, stark und lebensfähig machen.
Die Zeiten sind turbulent. Apotheker sehen sich zunehmend mit komplexen Problemsituationen konfrontiert. Gewohnte Strukturen verschwinden. Neue Wettbewerber drängen in den angestammten Markt. Oft verändert sich ein Problem schon, während man noch an der Lösung arbeitet. Die Gesundheitsreform (GKV-WSG), die am 1. April 2007 in Kraft treten soll, trifft Apotheker sehr hart, denn der Wettbewerbsdruck wird steigen. Die Zukunftsgestaltung wird immer schwieriger.
Wie wirkt sich die Gesundheitsreform auf die eigene Apotheke aus? Wie lauten systemverträgliche (oder systemgerechte) Antworten, um die Zukunft zu sichern? Welche Zusammenhänge und Konfliktfelder sind dabei zu beachten, wo kann man ansetzen? Das sind einige der zentralen Fragen, auf die Apotheker dringend Antworten suchen.
Komplexität managen
Mit herkömmlichen linearen Planungsmethoden ist der Wandel nicht zu bewältigen. Diese können kurzfristig zwar optimale Ergebnisse hervorbringen, führen langfristig jedoch in Teufelskreise. Oft verkehren unerwartete Nebenwirkungen, Wechselwirkungen und Störfaktoren den Erfolg der Maßnahmen in ihr Gegenteil. Betriebswirtschaftliche Kennzahlen sind vergangenheitsorientiert und reichen nicht aus, um die Apotheke in eine erfolgreiche Zukunft zu steuern. Simple Hochrechnungen führen zu Fehlplanungen und Fehlinvestitionen. Sie taugen zwar für statistische Phänomene, in komplexen Situationen liefern sie jedoch nur in Wachstumsphasen und innerhalb eines sehr kurzen Zeitabschnitts brauchbare Ergebnisse (27).
Apotheker benötigen wie alle Entscheider in Wirtschaft und Politik einen innovativen Zugang zu ihrer Problemsituation. Sie sollten ihre Managementaufgaben systemorientiert angehen. Aus dieser Sicht besteht Management darin, dynamische Systeme zu gestalten und zu lenken (3, 4, 14, 22). Voraussetzung ist, dass Apotheker ihre Apotheke als komplexes System erfassen und adäquat mit ihm umgehen.
Erforderlich ist »vernetztes Denken«, das auf den Gesetzen der Systemtheorie (5, 9, 15), Kybernetik (7, 28) und Biokybernetik (8, 24, 25, 26, 27) basiert. Diese Gesetzmäßigkeiten, auf denen das »Management« der Natur beruht, sind auch für Apotheker sowie für alle Entscheider in Wirtschaft und Politik hoch aktuell. Denn deren größte Herausforderung besteht darin, trotz der Komplexität des Wettbewerbs die eigene Handlungsfähigkeit zu bewahren und selbst gesteckte Ziele zu erreichen. Nur so kann die ökonomisch-rechtliche Selbstständigkeit eines Unternehmens erhalten werden (19).
Vernetztes System Apotheke
Apotheker können ihre Probleme nicht isoliert betrachten und bearbeiten. Aufgrund der engen Verbindungen zu anderen Leistungserbringern, Pharmagroßhandel, Pharmaindustrie und Kostenträgern spüren sie indirekt auch Änderungen in diesen Bereichen. Hinzu kommen die gesellschaftlichen, ökonomischen, ökologischen und politischen Wechselwirkungen. Sie befinden sich in einem damit vernetzten, intransparenten und dynamischen System.
Der Apotheker als Akteur in einer komplexen Handlungssituation gleicht einem Schachspieler, der auf einem Schachbrett mit vielen Figuren spielen muss, die zudem mit Gummifäden aneinander hängen, sodass es unmöglich ist, nur eine einzelne Figur zu bewegen. Außerdem bewegen sich seine und des Gegners Figuren auch von allein, nach Regeln, die er nicht oder nicht richtig kennt. Und obendrein befindet sich ein Teil der eigenen und der fremden Figuren im Nebel und ist nicht oder nur schemenhaft zu erkennen (6).
Eine Apotheke stellt wie jedes Unternehmen und wie jeder Organismus ein komplexes System dar, das offen ist und mit der Umwelt interagiert. Man kann darin nicht eine Größe allein modifizieren, ohne gleichzeitig alle anderen zu beeinflussen. Beim Eingriff an einer Stelle ändern sich die Beziehungen aller Teile zueinander und damit der Gesamtcharakter des Systems. Obwohl es aus vielen Teilen besteht, ist jedes System einzigartig (25).
Warenwirtschaft, Arzneimittelabgabe, pharmazeutische Betreuung, Rezeptur, Herstellung, Marketing: Diese und alle anderen Aufgaben stehen in einer bestimmten dynamischen Ordnung zueinander und bilden das System Apotheke. Ein Fehler in einem Bereich pflanzt sich fort, verliert sich, taucht irgendwo wieder auf oder wirkt auf Umwegen zurück. Eigendynamik macht sich breit. Eine Korrektur am Ausgangspunkt ist oft nicht mehr möglich oder sinnvoll. Probleme tauchen zwar in einem bestimmten Sektor zuerst auf, haben ihre Ursachen jedoch oft an anderer Stelle.
Ein Beispiel: Wenn Apotheker »Weitblick«, Inhaber einer Kleinstadt-Apotheke, mit seinem Team auf den Konkurrenzdruck mit Nischenbearbeitung antwortet und eine Positionierung in der Naturheilkunde aufbauen will, hat das vielfältige Konsequenzen. Aufgrund der Vernetzungen sind alle Arbeitsbereiche und die Umwelt direkt oder indirekt betroffen. Produktsortiment, Preise, Beratungsangebot und sonstige Dienstleistungen ändern sich. Die Mitarbeiter benötigen zusätzliche fachliche Qualifikationen. Zudem sind organisatorische Veränderungen erforderlich, da unterschiedliche Maßnahmen koordiniert werden müssen.
Aus diesen Veränderungen können auch Informations- und Kommunikationsprobleme resultieren. Läuft der Informationstransfer nicht glatt, behindert dies die Funktionsfähigkeit der Apotheke. Daher müssen die Störfaktoren eliminiert werden. Man muss dabei wissen, dass gleiche Störfaktoren verschiedene Effekte auslösen und verschiedene Faktoren die gleiche Symptomatik verursachen können (18). Ob ein System überlebensfähig ist oder nicht, liegt vor allem an der Art der Kommunikation zwischen seinen Teilen (27). Mängel im Informationstransfer und in der Kommunikation führen dazu, dass die Mitarbeiter in den einzelnen Sektoren keine einheitlichen Ziele verfolgen.
Unter Zeitdruck besteht die Gefahr, Perspektiven nicht zu erkennen und nicht zu diskutieren. Apotheker Weitblick sieht die Neuorientierung auf Naturheilkunde in einem gesamtheitlichen Konzept als Chance, die Wettbewerbsfähigkeit und Lebensfähigkeit seiner Apotheke zu sichern. Für die Mitarbeiter stehen höhere Jobanforderungen und Arbeitsplatzsicherheit im Vordergrund. Den Kunden ist die Befriedigung ihrer Bedürfnisse wichtig. Der Steuerberater denkt an die damit verbundenen Investitionen und mahnt zur Vorsicht. Die Neupositionierung beeinflusst sowohl das wirtschaftliche als auch das soziale Umfeld der Apotheke. All dies ist bei der Strategiefindung und beim Management der Apotheke zu berücksichtigen.
Lebensfähigkeit stärken
»Survival of the fittest« lautet Darwins These. Danach wären »größer, schneller, stärker« eine Garantie fürs Überleben. Das stimmt nur bedingt. Wer um jeden Preis Kunden gewinnen will, kann langfristig sogar das Gegenteil erleben. Auch eine Filialisierung stellt keine Garantie dar. Es überlebt der im Wechselspiel mit dem System Tüchtigste und nicht der Beste in bestimmten Einzelleistungen.
Wenn Apotheker Weitblick sich mit seinem Team durch seine Nischenarbeit besser positioniert, hat das im Idealfall folgende Auswirkungen: Je besser die Qualität der Leistungen, desto schwächer die Konkurrenz, desto besser seine Wettbewerbsposition, desto höher sein Gewinn, desto mehr kann er investieren, desto besser ist die Qualität der Leistungen und so weiter. Umgekehrt: Je besser die Konkurrenz, desto schlechter die eigene Wettbewerbsposition und so weiter. Durch negative Rückkopplung in Kreisprozessen reguliert sich das System selbst und hält sich in einem Gleichgewicht.
Je besser die Arzneimittelversorgungsqualität ist, desto besser die Kundenzufriedenheit, desto besser der Umsatz, desto besser der Gewinn. Explosionsartig schaukelt sich das Wachstum bei dieser positiven Rückkopplung nach oben auf. Ohne regulierenden Eingriff führt dies zur Systemzerstörung. Für Apotheken ist diese Gefahr aufgrund der Wettbewerbssituation und der politischen Eingriffe jedoch gering. Eher kann es passieren, dass sich die Spirale nach unten dreht. Wenn der Apotheker nicht rechtzeitig eine wirksame Positionierungsstrategie aufbaut, friert das System ein.
Jede Strategie muss die Lebensfähigkeit des Gesamtsystems erhöhen. Dies ist immer das systemrelevante oberste Ziel. Daraus werden Unterziele definiert und in Maßnahmen konkretisiert.
Zielsetzungen wie »Unsere Apotheke soll die größte am Ort werden«, »Wir wollen besser sein als unsere Wettbewerber« oder »Wir wollen Kunden gewinnen um jeden Preis« sind für die Lebensfähigkeit eines Systems irrelevant. Die Optimierung einzelner Komponenten ist kurzfristig gedacht wie die Behandlung von Symptomen anstelle von Ursachen. Dadurch brechen Regelkreise auf, was zur Ineffizienz mit Fehlinvestitionen und Fehlplanungen führt.
Vernetzt denken
Die Darstellung der Apotheke in einem Organigramm suggeriert, dass die Kenntnis der einzelnen Komponenten ausreicht, um das Ganze zu verstehen. Wird ein Mitarbeiter nach seinen Erfahrungen gefragt, zeigt sich schnell, dass die Beziehungen zwischen den Teilen ebenso wichtig sind wie diese selbst. Allein aus der Kenntnis der Teile lässt sich das Ganze nicht konstruieren.
Ein komplexes System ist mehr als die Summe seiner Teile. Das zeigt zum Beispiel ein stark gerastertes Bild von Albert Einstein. Sieht man sich das Bild von Nahem an, stellt es sich lediglich als Ansammlung von Quadraten mit unterschiedlichem Helligkeitsgrad dar. Betrachtet man das Bild jedoch aus größerer Entfernung oder blinzelt stark, ergeben die Quadrate unverwechselbar Einsteins Gesichtszüge. Sobald das Bild unscharf wird und die Trennlinien verschwinden, setzt unser Gehirn die Quadrate zueinander in Beziehung und erkennt Muster. Entscheidend für die Erkennung von Mustern sind somit die Beziehungen zwischen den Teilen. Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Das »Mehr« ist die Struktur, die Organisation, das Netz der Wechselwirkungen (27). Unser Gehirn ergänzt ein Bild trotz fehlender Teile zu einem Ganzen.
Sobald die Teile eines Systems vernetzt werden, ist nur noch ein Bruchteil der Daten nötig, um es zu charakterisieren. Denn mehr Information bedeutet nicht automatisch, besser informiert zu sein. Auf die wesentlichen Schlüsselkomponenten kommt es an. Auch in der Fuzzy-logic ist Datenreduktion das Hauptprinzip. Damit werden zum Beispiel in der Verfahrenstechnik enorme Effizienzsteigerungen erzielt (13).
Ohne die Beziehungen und damit die Interdependenzen zwischen einzelnen Segmenten zu kennen, ist ein System nicht zu verstehen und nicht zu gestalten. Probleme nehmen keine Rücksicht auf Bereichsgrenzen. Eine Apotheke lässt sich wie jedes andere System nicht als Ganzes entwickeln, wenn jeder Bereich isoliert betrachtet wird. Die Rolle, die ein bestimmter Ausschnitt im Gesamtsystem spielt, kann erst aus den Verbindungen zwischen den Bereichen erkannt werden und nie aus dem Einzelbereich selbst (27).
Das Gesamtsystem optimieren
Nach dem Descartes‘schen Prinzip bewältigt man ein großes Problem, indem man es in Teilprobleme zerlegt und diese einzeln löst. Diese Methode funktioniert für komplizierte Systeme, zum Beispiel für Computer, die deterministisch und berechenbar sind, da ihre Beziehungen über den Zeitablauf stabil sind (10). Für das System Apotheke reicht dies nicht.
Komplexe Systeme wie eine Apotheke können unter Beachtung der Systemgesetze erfolgreich gesteuert, geregelt und gestaltet werden. Ziel der systemischen Strategien ist nicht, einen bestimmten Zustand, das heißt eine exakt zu beschreibende Konstellation anzustreben oder zu konstruieren. Ziel ist, die Lebensfähigkeit des Gesamtsystems an sich mit all seinen Sub-Fähigkeiten zu fördern.
Durch systemorientiertes Management stellen Apotheker Weitblick und sein Team die Weichen so, dass Schäden geringere Chancen haben aufzutauchen. Durch kybernetische Selbststeuerung machen sie das System stabil gegen Störungen. Dann kann das System seine Funktion, ähnlich wie ein lebender Organismus, trotz störender Einflüsse von außen erfüllen.
Die Voraussetzungen dafür haben sich Apotheker Weitblick und sein Team geschaffen, indem sie die Gesamtvernetzung des Systems Apotheke kennengelernt und die Interdependenzen, Rückkopplungen und Rolle der einzelnen Systemelemente verstanden haben. Durch Kenntnis der wirksamen Hebel sind sie in der Lage, auch durch minimale Verstellung eines Hebels und die dabei rückgekoppelten Regelkreise die für das Gesamtsystem besten Bedingungen zu schaffen. Darüber hinaus können sie die Hebel so koppeln, dass sich Eingriffe von anderer Seite von selbst ausgleichen. Dadurch erreichen sie mehr mit weniger Aufwand.
Die unsystemische Phase haben Apotheker Weitblick und sein Team hinter sich gelassen. Denn symptomatische Problemlösungen sind nicht von langer Dauer. Der Steuerberater meinte, die Kosten müssten gesenkt und die Lagerhaltungskosten optimiert werden, um die Gewinneinbrüche zu kompensieren. Ein Marketingexperte sah das Heil der Apotheke einzig und allein in besserer Qualität des Marketings. Die Anhänger qualitativ hochwertiger Beratung meinten, die Herausforderungen könnten nur durch bessere Fort- und Weiterbildung kompensiert werden. Plausibel klingen alle Vorschläge. Doch keiner hat das System als Ganzes berücksichtigt. Jeder hat nur einen Realitätsausschnitt betrachtet (6, 21).
Allzu viele Akteure arbeiten in komplexen Handlungssituationen immer noch zu häufig gegen das System. Sie versuchen, Einzelprobleme zu lösen. Danach korrigieren sie den nächsten Missstand, der unter Umständen bereits eine Folge des ersten Eingriffs darstellt. Oft führen sie unvernetzte Situationsanalysen aus, sodass sie die Dynamik des Systems nicht erkennen können. Oder sie versteifen sich auf einen zunächst richtig erkannten Schwerpunkt und beachten Missstände in anderen Bereichen nicht. Befangen im linear-kausalen Denken gehen viele oft zielstrebig vor und analysieren die Nebenwirkungen ihrer Strategien nicht. Wenn sich bei kleinen Eingriffen nicht gleich etwas tut, wird nachdosiert und das System damit übersteuert. Das hat fatale Folgen. Zu guter Letzt wird die Macht ausgespielt. Das System verändern zu dürfen und der Glaube, es durchschaut zu haben, führen dann zu einem diktatorischen Verhalten.
Das Ergebnis sind kostspielige Neben-, Wechsel-, Rück-, Folge-, Fern- und Spätwirkungen (21, 27). Jeder hat solche Fehler schon gemacht. Vernetztes Denken ist ungewohnt. Doch es lässt sich lernen. Erforderlich dazu sind die Methode und die Instrumente des vernetzten Denkens.
Vernetztes Denken anwenden
Vernetztes Denken bedeutet Teamarbeit, sodass Apotheker Weitblick die Positionierungsstrategie in moderierten Workshops mit seinem Team erarbeitet hat. Vernetztes Denken bedeutet, in Kreisläufen zu denken. Deshalb ist auch der Problemlösungsprozess ein Kreislauf (20). Er beruht auf dem St. Galler Managementmodell zur ganzheitlichen Problemlösung (16, 17). Das wichtigste Darstellungsmittel beim vernetzten Denken sind Wirkungsgefüge. Sie visualisieren die Zusammenhänge zwischen den relevanten Einflussgrößen eines Wirklichkeitsausschnitts. Sie gelten als zentraler Bestandteil des Systemdenkens (24). Mit Wirkungsgefügen (Wirkungsnetzen) werden problemrelevante Kreisläufe beziehungsweise zirkulare Rückkopplungsschleifen dokumentiert, deren Zusammenwirken die Problemsituation maßgeblich bestimmt (29). Wirkungsgefüge dienen als Kommunikationsmittel. Im Folgenden werden die einzelnen Schritte der Problemlösung vorgestellt.
Problematik abgrenzen und Ziele definieren: Als zentrale Frage- und Problemstellung formulieren Apotheker Weitblick und sein Team: Welche Zusammenhänge und Konfliktfelder müssen wir beachten, um die Lebensfähigkeit unserer Apotheke zu erhöhen und zu sichern? Das unscharfe Oberziel ist in dieser Form nicht operabel. Im ersten Schritt konkretisiert das Team deshalb seine Zielvorstellungen und definiert Unterziele. Diese konkretisiert es zum Schluss in Maßnahmen.
Um die Situation nicht nur aus Apothekensicht zu beurteilen, muss man sich bewusst in die Perspektiven der Anspruchsgruppen wie Kunden, Lieferanten und Öffentlichkeit hinein versetzen. Die Perspektivenvielfalt ist ein Schlüssel zum interdisziplinären Ansatz des Systemdenkens. Die Gefahr der Einseitigkeit kann dadurch weitgehend vermieden werden.
Um ein annähernd vollständiges Bild vom System Apotheke zu erhalten, definiert das Team die Erfolgsfaktoren anhand folgender Frage: Welche Faktoren sind aus Sichtweise der unterschiedlichen Anspruchsgruppen für die Lebensfähigkeit der Apotheke relevant? Aus diesen Erfolgsfaktoren werden Unterziele abgeleitet und in Beziehung zu den Hauptsäulen des Wertschöpfungskreislaufs gesetzt (1, 2): Mitarbeiter - Qualität - Kunden - Finanzen. Diese Unterziele bilden die Elemente des Wirkungsnetzes.
Realität in einem Wirkungsnetz erfassen: Zentrale Thematik dieses Schritts ist die Frage: Wie entsteht aus einzelnen Teilen ein Ganzes? Alle Unterziele hängen zusammen und beeinflussen sich direkt oder indirekt. Anhand einer Einflussmatrix ermittelt das Apothekenteam die Wirkungszusammenhänge (26) und definiert die Art der Beziehung. Die Ermittlung der Wirkungsbeziehungen führt zu einem vertieften Verständnis über die Entstehung der Problemsituation. Die Erstellung eines Wirkungsnetzes ist eine schwierige und kritische Phase. Ein gutes Wirkungsnetz ist immer das Ergebnis eines iterativen Prozesses (20).
Ist-Zustand der Netzelemente bewerten: Entscheidungen kann man nur zwischen bewerteten Alternativen treffen. Bewertungen werden über Ziele ausgedrückt. Das geschieht anhand der heute in vielen Organisationen eingesetzten Balanced Scorecard (»ausgewogene Anzeigetafel«) (1, 2, 11). Dies ist ein strategisch orientiertes Steuerungssystem, mit dem sich neben finanziellen Kennzahlen eines Unternehmens auch solche einbeziehen lassen, die andere Erfolgsfaktoren wie Kundenzufriedenheit, Motivation, Qualität der Arbeitsprozesse und andere berücksichtigen. Das Apothekenteam bewertet deshalb in diesem Schritt die Unterziele und errechnet daraus eine Gesamtnote für das System Apotheke.
Zusammenspiel erfolgskritischer Faktoren analysieren: In diesem Schritt untersucht das Team, wie die einzelnen Elemente zusammenhängen und wie sie aufeinander wirken. Es analysiert die Interdependenzen, macht die Rückkopplungsschleifen ausfindig, deckt unbeabsichtigte Neben- und Fernwirkungen auf. Es interpretiert die Schlüsselelemente und untersucht, welche Rolle jedes einzelne Element im System spielt. Dabei zeigt sich beispielsweise, dass Fachkompetenz und Qualität des Marketings gute Hebel darstellen, mit denen wirksam eingegriffen werden kann. Der Apotheker und sein Team identifizieren auch die Elemente, mit denen sich die Gesamtkonstellation nicht verbessern lässt. Sie erkennen Katalysatoren und Indikatoren (23, 24, 26).
Lenkungsmöglichkeiten entwickeln: Nachdem das Apothekenteam weiß, wie das System funktioniert, kann die Entwicklung der Apotheke durch zielgerichtetes Eingreifen jetzt positiv beeinflusst werden.
Erforderlich ist es, zuerst die Wirkstärken der Beziehungen genauer zu charakterisieren. Ebenso wichtig ist es abzuschätzen, wie lange es dauert, bis eine Maßnahme wirkt. Danach betrachtet das Apothekenteam die nicht lenkbaren Elemente und untersucht, wie sich die Rahmenbedingungen auf die Apotheke auswirken. Es entwirft Ereignisszenarien, führt eine »Systemverträglichkeitsprüfung« durch und erstellt »Wenn-dann-Prognosen«. Welche Elemente werden beeinflusst? Wie reagiert unser System, wenn bestimmte Ereignisse eintreten?
Die Voraussagen beziehen sich nicht darauf, welche Ereignisse wann eintreten, was in den meisten Fällen ohnehin nicht möglich ist, sondern darauf, wie sich das System verhält und wie es auf bestimmte Eingriffe reagiert. Ziel ist, es so stabil und anpassungsfähig zu machen, dass es sich an die Änderungen im Umfeld anpassen kann und trotzdem seine volle Funktionsfähigkeit behält.
Als Nächstes entwickelt das Apothekenteam unter Nutzung der wirksamen Hebel Interventionsszenarien. Es definiert dazu unterschiedliche Strategiebündel, die sich alle mit dem vorgegebenen Budget umsetzen lassen. Es schätzt die Auswirkung der Alternativen auf die einzelnen Elemente ab und entscheidet sich für das Maßnahmenbündel, das den Gesamtzustand der Apotheke am stärksten verbessert. Es ist nicht leicht, die Auswirkungen der unterschiedlichen Strategien auf die einzelnen Elemente mit ihren zahlreichen Vernetzungen abzuschätzen.
Sicherer, einfacher, schneller und risikolos lassen sich sowohl die Ereignis- als auch die Interventionsszenarien mit geeigneter Simulationssoftware durchführen (12).
Strategien umsetzen und weiterentwickeln: Die Umsetzung stellt den schwierigsten Teil des Problemlösungsprozesses dar. Aufgrund unberücksichtigter Interaktionen, der Eigendynamik bestimmter Bereiche oder plötzlicher menschlicher Reaktionen lassen sich zentrale Unternehmensgrößen nicht vorhersagen. Ständig muss Kalkulierbares mit Unkalkulierbarem verbunden und miteinander in Einklang gebracht werden (17).
Wichtig ist es deshalb, den Erfolg der Systemeingriffe regelmäßig zu messen und die Entwicklung des Systems zu verfolgen. Dazu benötigt man Indikatoren oder Ziel- und Früherkennungsgrößen. Sie können aus den Elementen des Wirkungsnetzes identifiziert werden. Auf diese Art und Weise kann die Apotheke Fortschritte erfassen, Abweichungen registrieren und über gezielte Hinterfragung Korrekturmaßnahmen einleiten. So erhöhen Apotheker Weitblick und sein Team kontinuierlich ihre Problemlösungs- und Handlungskompetenz und stärken die Gesundheit ihrer Apotheke.
Die Zukunft ist prinzipiell offen. Doch mit den Methoden des vernetzten Denkens können Apotheker sich den Herausforderungen erfolgreich stellen. Damit machen Apotheken tiefgreifende und evolutive Veränderungen durch und entwickeln sich systemisch weiter. Das erhöht und sichert ihre Lebensfähigkeit.
Kybernetik: Hergeleitet vom griechischen kybernetes, Steuermann. Darunter wird die Erkennung, Steuerung und selbsttätige Regelung ineinandergreifender vernetzter Abläufe bei minimalem Energieaufwand verstanden.
Lebensfähigkeit: Beinhaltet, dass eine Organisation sich an ihre sich stetig verändernde Umgebung anpassen, ihre Identität bewahren, Erfahrungen aufnehmen und verwerten, lernen und sich weiterentwickeln kann.
System: Besteht aus verschiedenen Teilen, die in einer bestimmten dynamischen Ordnung zueinander stehen und zu einem Wirkungsgefüge vernetzt sind.
Systemtheorie: Sie sagt allgemein, dass selbstständige natürliche und künstliche Teilsysteme nur dann auf die Umwelt mit einem »anpassungsfähigen Verhalten« reagieren können, wenn sie einen inneren (Selbstregulation) oder äußeren (Steuerung) Kontrollmechanismus besitzen.
Vernetztes Denken: Damit können Problemsituationen unter vielfältigen Gesichtspunkten in ihren Abhängigkeiten erfasst und zielorientiert in wesentlichen Wirkungszusammenhängen integriert werden. Einflussgrößen und ihre Funktionen werden ganzheitlich und handlungsbezogen analysiert und können so adäquat genutzt werden.
... bei der Verfasserin.
Margret Richter studierte in Marburg Pharmazie und wurde dort mit einer Arbeit in Pharmazeutischer Analytik promoviert. Sie hat mehrjährige Erfahrung in der analytischen Entwicklung und Qualitätskontrolle der Pharmazeutischen Industrie und als selbstständige Apothekerin. Dr. Richter hat sich spezialisiert auf das Management komplexer Probleme und arbeitet seit mehr als 15 Jahren auf den Gebieten »Vernetztes Denken«, Biokybernetik, Systemtheorie und Evaluation. Sie ist Inhaberin der Solidia Managementberatung und Mitglied der Forschungsgruppe kybernetische Unternehmensstrategie.
Anschrift der Verfasserin:
Dr. rer. nat. Margret Richter
Solidia Managementberatung
Saseler Straße 177e
22159 Hamburg
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