Aspirin für alle? |
14.12.2010 12:26 Uhr |
»Soll ich nun regelmäßig Aspirin-Tabletten zum Schutz vor Krebs schlucken?«, wurde ich am Wochenende gefragt. Vermutlich war ich nicht der Einzige. Vielleicht wollte sich der ein oder andere Patient auch bei Ihnen in der Apotheke schon seine tägliche Dosis ASS gegen Krebs abholen. Immerhin haben fast alle großen Zeitungen und viele TV-Sender darüber berichtet, was britische und japanische Wissenschaftler im Fachjournal »Lancet« veröffentlichten (siehe dazu ASS: Eine tägliche Dosis gegen Krebs?). Eine tägliche, niedrige Dosis Acetylsalicylsäure (ASS) senke das Risiko, an Krebs zu sterben. Je länger die Einnahmedauer, desto besser der Effekt, heißt es im Resümee der Autoren.
Etwas überraschend ist es schon, dass diese Publikation überhaupt so viel Aufsehen erregt. Denn das Thema »ASS und Krebs« ist kein neues. So ergab die Iowa Women´s Health Study bereits vor einigen Jahren, dass ASS möglicherweise vor Bauchspeicheldrüsenkrebs schützt, die Nurses´ Health Study kam genau zum gegenteiligen Ergebnis und eine Studie der American Cancer Society konnte weder das eine noch das andere bestätigen. Nun schlägt das Pendel also mal wieder zugunsten eines Nutzens bei Krebs aus.
Ohne Zweifel ist ASS je nach gewählter Dosierung ein gutes Schmerzmittel und ein bewährtes Mittel zur Prophylaxe von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Es wirkt jedoch nicht bei jedem. Eine Metaanalyse, die 2008 im »British Medical Journal« erschien, zeigte zum Beispiel, dass fast jeder dritte Patient nicht ausreichend auf eine antithrombotische Behandlung mit ASS ansprach. Deshalb ist es wichtig, die Vor- und Nachteile des Wirkstoffes patientenindividuell gegeneinander abzuwägen. Auf Grundlage der im Lancet vorgestellten Analyse von acht Studien sollte man jedoch keine Therapieentscheidung zugunsten einer Krebsprophylaxe mit ASS treffen. Das Studienergebnis liefert lediglich einen Hinweis darauf, dass ASS einen Nutzen haben könnte und sollte Anlass für weitere Forschung sein, unter Umständen auch in Richtung noch besserer Wirkstoffe.
Auf alle Fälle ist es notwendig, den Zusammenhang zwischen ASS und Krebsentstehung beziehungsweise -prävention besser verstehen zu lernen. Diesbezüglich ist die Analyse aus dem Lancet zu schwach, da sie angelegt war, um die Auswirkungen der ASS-Einnahme auf das Herzrisiko zu ermitteln. Zweifelhaft ist auch, ob die Nachbeobachtungszeit von wenigen Jahren überhaupt ausreichend war, um eine so weitreichende Aussage zum Krebsschutz zu machen. Ein deutlich längerer Zeitraum würde die Aussagekraft jedenfalls erhöhen. Unser täglich ASS gegen Krebs gib uns heute: Das ist nicht mehr als reine Zukunftsmusik.
Sven Siebenand
Stellvertretender Chefredakteur