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Privatzahler

IGeL füllt Lücken der Kassen

09.12.2008  10:12 Uhr

Privatzahler

IGeL füllt Lücken der Kassen

Von Martina Janning, Berlin

 

Mit 50 bis 100 Euro sind Sie dabei. So viel sind etliche Versicherte bereit, für individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) zu zahlen, zeigt eine Umfrage. Der Verband der Diagnostica-Industrie wertet das als Signal, »unbefangener« über privat zu zahlende Leistungen zu diskutieren.

 

Für viele gesetzlich Krankenversicherte gehört es zum Alltag, beim Arzt mit Leistungen konfrontiert zu werden, die privat zu zahlen sind: Rund 53 Prozent haben in den vergangenen drei Jahren eine individuelle Gesundheitsleistung (IGeL) angeboten bekommen; 80 Prozent davon nutzten mindestens eine Offerte. Insgesamt halten 57 Prozent es für sinnvoll, dass Ärzte zusätzliche medizinische Leistungen gegen Rechnung anbieten. Denn 83 Prozent urteilen, dass der Leistungskatalog der Kassen Lücken hat und die Gesetzliche Krankenversicherung nicht alles bezahlt, was Beitragszahler erwarten können.

 

So lauten einige Ergebnisse einer Umfrage von TNS Healthcare im Auftrag des Verbands der Diagnostica-Industrie (VDGH), bei der das Meinungsforschungsinstitut knapp 1000 Menschen befragte. Der Verband präsentierte die Umfrage kürzlich in Berlin.

 

Von den 41 Prozent der Befragten, die IGeL-Leistungen unsinnig finden, waren 37 Prozent der Meinung, dass die Kassen alle Leistungen übernehmen sollten und weitere 17 Prozent sagten, die Kassenbeiträge seien genug. Etwa 7 Prozent bewerteten IGeL als Ausdruck einer Zwei-Klassen-Medizin und als ungerecht.

 

Die TNS-Healthcare-Geschäftsführerin Dr. Maike Besthorn resümierte, dass die Menschen Selbstzahlerleistungen als Bestandteil der Versorgungsrealität in Deutschland empfänden und nicht als wesensfremd wahrnähmen. Sie berichtete jedoch von einer »Schmerzgrenze« bei der Investitionsbereitschaft. Der Umfrage zufolge sind 29 Prozent der gesetzlich Versicherten willens, bis zu 50 Euro für eine einzelne medizinische Zusatzleistung zu zahlen, für 20 Prozent sind bis zu 100 Euro akzeptabel. Nur eine Minderheit wäre bereit, mehr als 100 Euro oder gar 500 Euro für eine IGeL-Leistung zu zahlen, erklärte Besthorn.

 

Der VDGH-Vorsitzende Dr. Jürgen Schulze wertete die Ergebnisse der Befragung als wichtiges Signal. Viele Politiker schreckten davor zurück, Versicherte durch höhere Zuzahlungen oder das Herausnehmen von Leistungen aus dem Katalog der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu belasten und fürchteten Stimmenverluste bei der nächsten Bundestagswahl. »Möglicherweise sind solche Ängste unbegründet«, sagte Schulze. Die Befragung habe gezeigt, »dass die Bürger offensichtlich eine deutlich abgeklärtere und realistischere Einschätzung zur Leistungsfähigkeit unseres GKV-Systems haben als viele Politiker vermuten«. Die Umfrage zeige, dass die Debatte über solidarisch abgesicherte und privat zu zahlende Leistungen »unbefangener« geführt werden könne.

 

Es überfordere die GKV, jede medizinische Leistung zu übernehmen, sagte Schulze. Das gelte auch für Laborleistungen. »Menschen, die ihr persönliches Krankheitsrisiko abschätzen wollen, aber bislang keine Symptome einer Erkrankung haben, darf durchaus zugemutet werden, dafür auch selbst zu zahlen.«

 

Schulze wünschte sich eine versachlichte Diskussion über IGeL. Statt solche Leistungen als unnötig zu verunglimpfen, sollte die Bevölkerung über sinnvolle Angebote aufgeklärt werden. Das könnte zum Beispiel die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung übernehmen, schlug er vor. Um zusätzliche Anreize für Privatzahler zu schaffen, sprach er sich dafür aus, Vorsorgeleistungen steuerlich abzugsfähig zu machen. So ließe sich eine Brücke bauen bis zur Verabschiedung eines Präventionsgesetzes, so Schulze.

 

Der VDGH-Vorsitzende wies darauf hin, dass zahlreiche Kassenleistungen für gesetzlich Versicherte zunächst nur als IGeL erhältlich waren. »Gerade bei Laborleistungen hat es erhebliche Verzögerungen bei der Aufnahme in den Leistungskatalog gegeben«, sagte Schulze. Als Beispiele nannte er die Untersuchung zum Nachweis von (NT-pro)BNP bei Herzschwäche oder den Rheumamarker Anti-CCP.

 

Labordiagnostische Untersuchungen gehören zu den am häufigsten in Anspruch genommenen IGeL-Leistungen, zeigen Studien des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). Nach Schätzungen des VDGH geben die Deutschen jedes Jahr zwischen 150 bis 180 Millionen Euro für solche Untersuchungen zur Vorsorge und Früherkennung aus. Davon entfallen derzeit rund 60 Millionen Euro auf Produkte der Diagnostica-Industrie. Das entspricht knapp 3 Prozent ihres Umsatzes in Deutschland.

 

Schulze berichtete, dass die Hersteller etwa die Hälfte aller Testverfahren für weniger als einen Euro abgeben. Der Endverbraucher zahlt dafür 50 bis 100 Euro.

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