Polonium 210 als ideales Gift |
12.12.2006 12:09 Uhr |
Polonium 210 als ideales Gift
Von Christina Hohmann
Der russische Ex-Spion Alexander Litwinenko wurde mit Polonium 210 ermordet. Das radioaktive Isotop ist ein ideales Gift, weil es sehr schlecht nachzuweisen ist, schon in kleinsten Mengen tödlich wirkt und leicht zu handhaben ist.
Am 23. November starb Litwinenko an einer »hohen Dosis« Polonium 210 in einem Londoner Krankenhaus. Seither stieß Scotland Yard bei seinen Ermittlungen auf weitere radioaktiv kontaminierte Lokalitäten, wie ein Sushi-Restaurant, ein Hotel und mehrere Flugzeuge. Wie die Substanz, die genauso schwierig zu beschaffen wie nachzuweisen ist, nach London zu Litwinenko gelangte, ist bislang noch unklar.
Polonium 210 ist ein natürlich vorkommendes radioaktives Metall, das in geringen Spuren im menschlichen Körper (etwa 60 Bq), in Tabak und auch in Luft und Erde vorkommt. Vom Element Polonium existieren mehr als 25 Isotope, von denen Polonium 210 das häufigste ist. Es entsteht über eine lange Zerfallskette aus Uran-238. In der Natur ist es aber sehr selten. So enthält eine Tonne Uranerz nur etwa 100 µg. Normalerweise wird Polonium 210 in Nuklearreaktoren durch den Beschuss von Wismut 209 mit Neutronen künstlich hergestellt. Weltweit werden Schätzungen zufolge pro Jahr etwa 100 g Polonium auf diese Weise produziert. Verwendet wird das Isotop in industriellen Ionisatoren, um statische Aufladungen zu verhindern, sowie früher in Satelliten und in Zündern von Kernwaffen.
Nur im Körper gefährlich
Polonium 210 ist ein starker Alphastrahler, er zerfällt unter Freisetzung von zwei Protonen und zwei Neutronen zu Blei-206. Die ausgesandte Alphastrahlung ist allerdings harmlos, da sie in der Luft nur wenige Zentimeter zurücklegen kann. Bereits ein Blatt Papier oder ein Kleidungsstück können die Teilchen aufhalten, weshalb Polonium sehr leicht zu transportieren ist. In einer Glasflasche oder einem Blechbehälter verpackt, ist die Strahlung der Substanz nicht nachzuweisen. Auch in die Haut dringt die Alphastrahlung nur etwa 60 µm weit ein, was wenigen Hautzellschichten entspricht.
Gefährlich ist Polonium 210 nur, wenn es durch Inhalation, Ingestion mit der Nahrung oder über Wunden in den menschlichen Körper gelangt. Zwischen 50 und 90 Prozent der mit der Nahrung aufgenommenen Dosis wird direkt mit den Faezes ausgeschieden. Das in den Organismus aufgenommene Polonium erreicht über den Blutstrom verschiedene Gewebe, wo es erheblichen Schaden anrichten kann. Die energiereiche Alphastrahlung kann Zellstrukturen zertrümmern, das Erbgut schädigen und schließlich die Zelle töten. Die Wirkung zeigt sich zuerst bei Geweben mit schnell teilenden Zellen wie das Knochenmark oder die Darmepithelien, die bei hohen Dosen völlig zerstört werden können. Die ersten Symptome einer Polonium-Intoxikation ähneln denen einer Nahrungsmittelvergiftung. Zuerst treten Schwindel, Übelkeit, Erbrechen und eine generelle Müdigkeit auf. Später kommen Durchfall, eine ausgeprägte Anämie, Haarausfall und Blutungen aus Nase, Mund und Rektum hinzu.
Polonium 210 hat mit 138 Tagen eine recht kurze physikalische Halbwertszeit und somit eine hohe Zerfallsrate. Schon eine aufgenommene Menge von 1 µg reicht aus, um einen Menschen zu töten. Bei Litwinenko soll eine Dosis gefunden worden sein, die ihn 100 Mal hätte umbringen können und einen Marktwert von etwa 29 Millionen Euro hat, berichtet die britische Zeitung »Guardian«.
Im menschlichen Körper hat die Substanz eine Halbwertszeit von etwa 50 Tagen. Sie wird über die Faezes und zum Teil über den Urin eliminiert. Auch im Schweiß können Spuren enthalten sein, was die Polonium-Funde in London und den Flugzeugen der British Airways erklären könnte.
Die Intoxikation mit Polonium lässt sich nur über eine spektrometrische Analyse der Körperausscheidungen feststellen. Am einfachsten ist der Nachweis im Urin. Da Polonium nur geringe Mengen an Gamma-Strahlen emittiert, lässt es sich nicht von außen durch Ganzkörperzähler detektieren.
Keine Gefahr für die Bevölkerung
Wegen der geringen Reichweite der Alphastrahlung waren Unbeteiligte, wie Kontaktpersonen von Litwinenko oder Passagiere der kontaminierten Flugzeuge, zu keiner Zeit gefährdet. Nur für das medizinische Personal, das den Russen behandelte, bestand ein theoretisches Risiko, da es mit Körperausscheidungen in Kontakt kommen konnte. Vorsorglich durchgeführte Urintests von insgesamt 69 Krankenhausmitarbeitern fielen laut Angaben der britischen Health Protection Agency alle negativ aus.