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Hochdrucktherapie

Genauer Blick auf Antihypertensiva

11.12.2006  14:04 Uhr

Hochdrucktherapie

Genauer Blick auf Antihypertensiva

Von Hannelore Gießen, München

 

Das britische NICE-Institut verwies kürzlich Betablocker vom ersten Platz, der gemeinsame Bundesausschuss urteilte kritisch über Calciumkanal-Blocker. Anlass für die Deutsche Hochdruckliga, die fünf Klassen antihypertensiver Wirkstoffe neu zu bewerten und ihre Therapieempfehlungen zu aktualisieren.

 

Was sich in der Bewertung von Antihypertensiva verändert hat und was bei der medikamentösen Therapie zu beachten ist, beleuchteten Experten auf dem 30. Wissenschaftlichen Kongress der Deutschen Hochdruckliga in München. Als erste Gruppe nahm Professor Dr. Alexander Rosenkranz von der Universität Innsbruck die Diuretika ins Visier. Da zu Schleifendiuretika noch keine validen Langzeitdaten vorliegen, beschränkte sich seine Einschätzung auf drei Thiazid-Diuretika: Chlorthalidon, Hydrochlorothiazid (HCT) sowie Indapamid.

 

Der Internist hob hervor, dass Chlorthalidon etwa doppelt so stark den Blutdruck senke wie HCT. Zudem müsse bei der Dosierung berücksichtigt werden, dass das in Kombinationen häufig eingesetzte HCT eine eher geringe therapeutische Breite aufweist. So nehme das Risiko für eine Hypokaliämie bei einer Dosis über 25 mg deutlich zu, während eine Dosis von 6,5 mg, die sich im Alltag durchaus ergibt, wenn Patienten ihre Kombinationspräparate teilen, nahezu wirkungslos sei.

 

Als dritte Substanz dieser Gruppe weist Indapamid gegenüber den beiden anderen Thiazid-Diuretika verschiedene Vorteile auf. So zeigt es bei gleicher Wirkung auf den Blutdruck ein besseres Wirkprofil. Denn während HCT sehr häufig die Serumlipide erhöht, ist Indapamid fettstoffwechselneutral, erhöht also weder Triglyzeride noch Gesamtcholesterol - ein relevanter Nebeneffekt für Patienten mit metabolischem Syndrom. Es sei zudem das einzige Diuretikum, das eine bestehende linksventrikuläre Hypertrophie zur Regression bringen kann, unterstrich Rosenkranz. In Studien zeigte es im Vergleich zu den anderen Wirkstoffen eine geringere Mortalität. Auch in der Metabolisierung unterscheidet sich Indapamid von den anderen Thiaziden. Es werde über die Leber verstoffwechselt und sei kaum natriuretisch. Wie es genau wirke, sei aber noch nicht vollständig geklärt, fügte der Hochdruckexperte hinzu.

 

Diuretika waren neben Reserpin die ersten Antihypertensiva, sodass sehr viel Erfahrung mit ihrem therapeutischen Einsatz vorliegt. Kürzlich empfahl die US-amerikanische Fachgesellschaft für Hypertonie, Diuretika als kostengünstige, wirksame Erstmedikation einzusetzen. Für ältere Patienten sei ein Diuretikum als Ersttherapie auch gut geeignet, kommentierte Rosenkranz. Um den Zielblutdruck zu erreichen, sei jedoch eine Monotherapie selten ausreichend, zumal bei höheren Dosierungen die unangenehmen Effekte wie häufiger Harndrang die Comliance vermindern. Meist müsse ein Diuretikum mit einer der anderen antihypertensiven Substanz kombiniert werden.

 

Pluspunkte für neuere Betablocker

 

Vor einigen Wochen sorgte eine Empfehlung des »National Institute for Health and Clinical Excellence« (NICE), das britische Pendant zum IQWIG, für Schlagzeilen. Nach Auswertung einer schwedischen Metaanalyse und der ASCOT-Studie kam NICE zu dem Schluss, dass Betablocker weniger nachhaltig vor Schlaganfällen und Diabetes schützen als die anderen Antihypertensiva. Kurzerhand strich das Institut Betablocker von der Liste der wichtigsten Hochdruckmittel.

 

Eher kritisch beurteilte Professor Dr. Josef Slany von der Universität Wien die ASCOT-Studie. Der Kardiologe warf die Frage auf, ob es sich bei dem schlechten Abschneiden der Betablocker um ein Klassenphänomen handele oder die schlechten Ergebnisse Atenolol-spezifisch seien. Slany hob hervor, dass Atenolol in der ASCOT-Studie nur einmal täglich in einer Dosis von 50 bis 100 mg verabreicht wurde. Aufgrund der kurzen Halbwertszeit von fünf bis elf Stunden war Atenolol vermutlich bei vielen Patienten unterdosiert.

 

Schwachpunkt der ASCOT-Studie, auf die sich die Entscheidung von NICE stützt, sei die fehlende Differenzierung zwischen den verschiedenen Betablockern, monierte Slany. Inhibitoren der Beta-1-Rezeptoren unterscheiden sich sowohl in ihrer Halbwertszeit als auch in ihrem Einfluss auf den Stoffwechsel deutlich. So verhalte sich das neuere Nebivolol stoffwechselneutral und Carvedilol verbessere sogar die Wirkung auf die Insulinresistenz in ähnlicher Weise wie ein Glitazon, betonte der Wiener Kardiologe. Von den neueren Betablockern wie Carvedilol und Nebivolol würden in der Hochdruck-Behandlung allerdings noch keine Studien mit harten Endpunkten existieren, auf die man sich im Rahmen der Evidenz-basierten Medizin stützen könne, bedauerte Slany. Als Firstline-Therapie empfahl der Kardiologe derzeit Betablocker nur bei Hypertonikern mit spezieller Indikation wie einem Zustand nach Koronarsyndrom.

 

Calciumkanal-Blocker für Hypertoniker

 

Während NICE die Betablocker von der Liste der erstplatzierten Antihypertensiva verwies, empfahl der gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) der Krankenkassen die Calciumkanal-Blocker 2004 nicht mehr als Therapie der ersten Wahl. Professor Dr. Walter Zidek aus Berlin bewertete diese Arzneistoffklasse anhand der ALLHAT-Studie, die Amlodipin mit dem ACE-Hemmer Lisinopril und mit Chlorthalidon verglich. Dabei zeigte sich im Wesentlichen ein äquivalentes Outcome der Patienten, unabhängig davon welche Substanz die Patienten erhalten hatten. Eine Subgruppenanalyse ergab allerdings, dass es unter Amlodipin signifikant seltener zu Angina pectoris, peripherer arterieller Verschlusskrankheit oder einem Schlaganfall kam als unter den beiden anderen Substanzen. Unterlegen war der Calciumkanal-Blocker jedoch bei Patienten mit Herzinsuffizienz.

 

Ein Vergleich des Calciumkanal-Blockers Amlodipin mit dem AT1-Antagonisten Valsartan in der VALUE-Studie zeigte eine äquivalente Wirkung beider Substanzen in Bezug auf die Blutdrucksenkung. In der Valsartan-Gruppe entwickelten jedoch signifikant weniger Patienten einen Diabetes. Aufgrund dieser Studien teile die Deutsche Hochdruckliga die Empfehlungen des G-BA nicht. Zidek: »Calciumkanal-Blocker gelten weiter als Mittel der ersten Wahl.«

 

Neue ACE-Hemmer besser als alte

 

Neue ACE-Hemmer wie Benazepril verhindern deutlich mehr Myokardinfarkte als alte, lautete das Fazit, das Professor Dr. Lars Christian Rump, Herne, aus der aktuellen Studienlage zog. Ob ein ACE-Hemmer die Manifestation eines Diabetes abzuwenden vermag, wurde in einer prospektiven Studie überprüft. Das Ergebnis: Verhindern konnte das Medikament einen Diabetes nicht, wohl aber bewirkte es, dass sich eine gestörte Glucosetoleranz wieder Normalwerten annäherte. In der DREAM-Studie war dabei der ACE-Hemmer Ramipril eingesetzt worden.

 

ACE-Hemmer verzögern die Progression einer Nierenschädigung ebenso gut wie AT1-Antagonisten, folgerte Rump aus der DETAIL-Studie, die zudem belege, dass ACE-Hemmer auch bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz unter sorgfältiger Beobachtung sicher und günstig anzuwenden sind.

 

AT1-Antagonisten bei Folgeschäden

 

Die schon ältere LIFE-Studie hatte gezeigt, dass der AT1-Antagonist Losartan bei Hochrisikopatienten mit bereits vorhandener linksventrikulären Hypertrophie im Vergleich mit Atenolol die Mortalität um 13 Prozent verminderte, wobei der Blutdruck gleich stark gesenkt wurde. Danach seien die Sartane in die Leitlinien aufgenommen worden, erinnerte der Berliner Kardiologe Professor Dr. Reinhold Kreutz.

 

Dass Patienten, die bereits einen Schlaganfall erlitten hatten, von AT1-Antagonisten profitieren, beschrieb Kreutz anhand der MOSES-Studie, die Eprosartan mit Nitrendipin verglich. Das Ergebnis: Der AT1-Antagonist war in Bezug auf die Gesamtmortalität durch cerebrovaskulärer Ereignisse dem Calciumkanal-Blocker bei diesen Patienten signifikant überlegen.

 

Auch bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und bereits ausgeprägter Nephropathie zeigten sich Unterschiede. Bei gleicher Blutdrucksenkung war Eprosartan dem Calciumkanal-Blocker Amlodipin bei Patienten signifikant überlegen. Dieses Ergebnis entnahm Kreuz aus den Daten der RENAAL-Studie.

 

Zeit gewinnen vor der Erkrankung

 

Sinnvoller als erst im Stadium eines manifesten Bluthochdrucks einzugreifen, wäre es, ihn zu verhindern. Hier sollte die TROPHY-Studie prüfen, ob eine frühe Gabe eines AT1-Antagonisten bei Personen mit hochnormalem Blutdruck (130 bis 139 mmHg systolisch und 85 bis 89 mmHg diastolisch) die Manifestation einer Hypertonie verhindern kann. Rund 800 Probanden erhielten vier Jahre lang Candesartan oder Placebo. Dabei zeigte sich, dass eine antihypertensive Therapie den Ausbruch einer Hochdruckkrankheit hinauszögern, jedoch meist nicht verhindern kann. Nach zwei Jahren waren in der Placebogruppe 40 Prozent, unter Verum 14 Prozent erkrankt, nach vier Jahren 62 Prozent und 53 Prozent.

 

Als besonderes Detail hob Kreutz hervor, dass die Nebenwirkungsrate unter dem AT1-Antagonisten auf demselben Niveau lag wie unter Placebo. Auch aufgrund ihrer guten Verträglichkeit plädierte Kreuz für AT1-Antagonisten in der Firstline-Therapie, vor allem bei Patienten, die bereits unter Folgeschäden ihres Hochdrucks leiden.

 

Hoffnung auf Renin-Inhibitoren

 

Seit Jahren erwarten Hochdruckexperten Fortschritte durch einen früheren Eingriff in das Renin-Angiotensin-System (RAS), als er bisher durch ACE-Hemmer und AT1-Antagonisten möglich ist. Inzwischen scheint es mit Aliskiren gelungen zu sein, einen wirksamen und gut bioverfügbaren Arzneistoff herzustellen. Die kurz vor der Zulassung stehende Substanz unterdrückt den ersten Schritt in der Aktivierung der RAS-Kaskade. Es ist zu hoffen, dass die Hochdrucktherapie mit dieser Substanz um eine entscheidende Facette reicher wird.

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