Senioren müssten öfter zum Augenarzt |
07.12.2016 10:15 Uhr |
Von Annette Mende, Berlin / Die Stiftung Auge hat in einer Studie festgestellt: Viele Altenheimbewohner in Deutschland sind augenärztlich erheblich unterversorgt. Ohne regelmäßige Untersuchungen droht vielen dieser Senioren ein Verlust der Sehkraft. Negative Konsequenzen wie sozialer Rückzug und erhöhtes Sturzrisiko wären vermeidbar.
Mit dem Screening in 32 Seniorenheimen in der ganzen Bundesrepublik wollte die Stiftung Auge herausfinden, wie es um die ophthalmologische Versorgung der Bewohner bestellt ist. Die Ergebnisse der standardisierten Untersuchung durch Teams von 14 Universitäts-Augenkliniken sind ernüchternd: Bei 61 Prozent der 600 teilnehmenden Senioren wurden behandlungsbedürftige Befunde festgestellt. Zu den häufigsten Erkrankungen zählten grauer Star (Katarakt), altersabhängige Makuladegeneration und grüner Star (Glaukom).
Durch rechtzeitige Diagnose und Therapie von Augenerkrankungen kann man Verluste der Sehkraft oft vermeiden.
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Schwerwiegende Folgen
»In Deutschland ist augenärztliche Versorgung flächendeckend auf höchstem Niveau verfügbar, aber sie gelangt offenbar häufig nicht zu Menschen in Pflege- und Seniorenheimen«, sagte Professor Dr. Frank Holz, Vorsitzender der Stiftung Auge und Direktor der Universitäts-Augenklinik Bonn, bei der Vorstellung der Studie in Berlin. Viele Augenkrankheiten seien altersabhängig und gingen mit reversibler oder irreversibler Sehbeeinträchtigung einher. »Wenn diese Erkrankungen rechtzeitig erkannt und behandelt werden, kann man gutes Sehen oft bis ins hohe Alter gewährleisten und eine vermeidbare Erblindung verhindern«, so der Ophthalmologe. Die Folgen abnehmender Sehkraft seien für Betroffene schwerwiegend. Sie reichen von eingeschränkter Mobilität über den Rückgang sozialer Kontakte bis zu einer Erhöhung des Risikos für Stürze und Depressionen.
Die Teilnehmer der OVIS-Studie (Ophthalmologische Versorgung in Seniorenheimen) waren im Durchschnitt 83 Jahre alt. Fast drei Viertel waren Frauen und knapp die Hälfte (46 Prozent) gab an, aktuell Sehprobleme zu haben – eine typische Population für ein Altenheim, wie Professor Dr. Robert Finger von der Universitäts-Augenklinik Bonn ausführte. Ein behandlungsbedürftiger Befund erforderte in 31 Prozent der Fälle eine rasche Vorstellung beim Augenarzt (innerhalb von zwei Monaten); bei 6 Prozent der Betroffenen sahen die Untersucher sogar einen sofortigen Behandlungsbedarf (innerhalb von zwei Wochen). »Im Durchschnitt lag die letzte augenärztliche Untersuchung vier Jahre zurück«, berichtete Finger. Dieser Zeitraum ist deutlich zu lang. Der Berufsverband der Augenärzte empfiehlt ab dem 40. Lebensjahr ein- bis zweimal jährlich einen Besuch beim Augenarzt.
Einen Katarakt stellten die Untersucher bei 53 Prozent der Teilnehmer fest; in 62 Prozent der Fälle war er operationswürdig. 51 Prozent der Betroffenen gaben an, sich eine solche Operation, die heute ambulant und unter örtlicher Betäubung vorgenommen werden kann, zu wünschen. Auch bei der Versorgung mit Brillen lag einiges im Argen: Alle Untersuchten hätten von einer verbesserten Sehhilfe profitiert. »Im Extremfall waren die Bewohner ohne Brille fast blind und konnten mit Sehhilfe wieder gut sehen. Doch auch abgesehen von diesen Extremen konnte mit einer optimierten Sehhilfe eine durchschnittliche Verbesserung um eine Zeile im Sehtest erreicht werden«, sagte Finger.
Transport bereitet Probleme
Was sind die Gründe für diese Defizite? »Am häufigsten scheitert der Besuch eines Altenheimbewohners beim Augenarzt daran, dass der Betroffene nicht weiß, wie er in die Praxis und wieder zurückkommen soll«, berichtete Dr. Peter Heinz, niedergelassener Augenarzt in Schlüsselfeld. Das deckt sich mit den Ergebnissen der OVIS-Studie, in der fehlender Transport am häufigsten als Hürde genannt wurde, auch bei prinzipiell noch mobilen Personen.
Als weiteren Faktor nannte Heinz eine mangelnde Sensibilität bei den Pflegenden. Augen- beziehungsweise Sehprobleme der Bewohner würden oft nicht als solche erkannt und der resultierende soziale Rückzug des Betroffenen anderen Ursachen zugeschrieben. Nicht zuletzt fehle ein finanzieller Anreiz für Augenärzte, sich gezielt um diese Bevölkerungsgruppe zu kümmern: »Alte Menschen haben einen erhöhten Betreuungsaufwand, der in unserer Gebührenordnung leider nicht abgebildet ist.« /