Krebsdiagnose aus dem Blut |
02.12.2015 09:29 Uhr |
Von Ilse Zündorf, Freiburg / Bislang werden Tumore über eine Biopsie analysiert. Doch auch das Blut hält Informationen in Form von freier Tumor-DNA oder einzelnen Tumor-Zellen bereit. Wie weit die Forschung auf dem Gebiet der sogenannten Tumor Liquid Biopsy bereits ist, stellten Experten kürzlich auf einem Symposium in Freiburg vor.
Blut hat einiges an Informationen zu bieten – von Blutzucker- oder HbA1c-Werte über die Lipidwerte und Entzündungsmarker bis hin zu Biomarkern für die Tumordiagnostik wie das Prostataspezifische Antigen. Bereits seit den 1940er-Jahren ist bekannt, dass im Blut auch freie DNA zirkuliert.
Blut enthält viele Informationen – auch über mögliche Krebserkrankungen und die genetische Beschaffenheit des Tumors.
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Die Analyse dieser DNA bietet ebenfalls reichlich Informationen. Angewendet wird dies bereits in der Pränataldiagnostik, um nicht invasiv die DNA des Fetus zu analysieren. Interessant ist, inwieweit entsprechende Methoden auch in der Tumordiagnostik eingesetzt werden können. Denn der Tumor gibt sowohl freie DNA und RNA als auch einzelne Zellen ins Blut ab.
Durch die direkte Untersuchung dieser im Blut zirkulierenden Tumorzellen oder Nukleinsäuren hoffen Wissenschaftler, ein realistischeres Bild der Krebserkrankung zu erhalten als über eine Biopsie – das derzeit gängige Verfahren, um eine sichere Aussage über einen soliden Tumor zu treffen. Denn wie man inzwischen weiß, sind Tumoren keine Ansammlung identischer entarteter Zellen, sondern bestehen aus einer Mischung von Zellen mit unterschiedlichen Mutationen. Eine kleine Gewebeprobe kann also eventuell ein unzulängliches oder sogar falsches Bild des Gesamttumors abgeben.
Die Liquid Biopsy hat somit gegenüber der regulären Biopsie eines soliden Tumors einige Vorteile, die Professor Dr. Maximilian Diehn von der Stanford University auf dem vom Tumorzentrum Freiburg und der französischen Cancéropôle du Grand-Est organisierten Symposium vorstellte:
Zirkulierende DNA
Grundlage der Tumor Liquid Biopsy: Tumorzellen geben aktiv oder infolge von Apoptose beziehungsweise Nekrose DNA in die Umgebung ab. Diese DNA beinhaltet auch die entscheidenden Mutationen oder epigenetischen Veränderungen des Tumorgewebes. Zusätzlich finden sich im Blut zirkulierende Tumorzellen und Exosomen (nach Diaz und Bardelli, 2014).
m Blut jedes Menschen befindet sich zellfreie DNA, allerdings in recht unterschiedlichen Mengen: In gesunden Menschen sind zwischen 2 und 1500 ng DNA pro ml Blut nachweisbar. Bei schwangeren Frauen und bei (Tumor-)Erkrankungen steigt diese Menge an und beinhaltet auch Nukleinsäuren des Fetus beziehungsweise der betroffenen Gewebe. Diese geringen DNA-Mengen aus der komplexen Matrix »Blut« zu isolieren, ist eine große Herausforderung. Um zu vermeiden, dass das Ergebnis zusätzlich durch Nukleinsäuren aus lysierten Blutzellen verfälscht wird, sollte die DNA-Isolierung möglichst schnell, das heißt innerhalb von sechs Stunden nach der Blutentnahme erfolgen.
Mittlerweile sind spezielle Kits auf dem Markt, um mehr oder weniger zuverlässig, quantitativ und reproduzierbar die DNA aus Plasma zu gewinnen. Das ist allerdings nur der erste Schritt. Anschließend gilt es, aus der isolierten Gesamt-DNA die nötigen Informationen über den Tumor zu erhalten: Vor dem Hintergrund der zirkulierenden DNA aus gesunden Zellen müssen noch möglichst spezifische und aussagekräftige Analysen der betroffenen Gene durchgeführt werden. Je nach Tumortyp liegen jedoch Deletionen, Mutationen, Amplifikationen von Genen, epigenetische Modifikationen oder chromosomale Veränderungen vor, die bei der zirkulierenden Tumor-DNA (ctDNA) nachgewiesen werden sollen – keine einfache Aufgabe, wenn man berücksichtigt, dass die Tumor-DNA nur circa 1 Prozent der zirkulierenden DNA ausmacht.
Noch suchen Forscher nach geeigneten molekularbiologischen Methoden, die die Nachweisgrenze und die methodisch bedingten Fehler möglichst niedrig und die Spezifität möglichst hoch halten. Diehn und seine Mitarbeiter haben ein Verfahren entwickelt, das sie CAPP-Seq (Cancer Personalized Profiling by Deep Sequencing) benannt haben. Hierfür suchten sie charakteristische Mutationen bei Patienten mit nicht kleinzelligen Lungentumoren. Dann entwickelten sie Oligonukleotide, die an die charakteristischen Regionen binden, um diese amplifizieren und sequenzieren zu können. Auf diese Weise ließen sich auch extrem geringe DNA-Mengen auf eine Vielzahl an Mutationen analysieren, berichtete Diehn. Bei der Validierung dieses Tests konnten die Forscher alle Patienten mit nicht kleinzelligem Lungenkrebs in Krankheitsstadium 2 und höher identifizieren sowie 50 Prozent der Patienten in Stadium 1 (»Nature Medicine«, DOI: 10.1038/nm.3519).
Bisherige Untersuchungen aus verschiedenen Arbeitsgruppen weisen darauf hin, dass eine größere Menge ctDNA und eine stärkere Fragmentierung der zirkulierenden DNA eine schlechte Prognose der Tumorerkrankung anzeigt. Für Kolonkarzinom-Patienten konnte von einer Arbeitsgruppe in Turin gezeigt werden, dass im direkten Vergleich zwischen Biopsie- und Blutanalysen in der ctDNA deutlich mehr KRAS- und BRAF-Mutationen detektiert wurden, die für eine Resistenz gegenüber einer Cetuximab-Therapie verantwortlich sind. Dr. Giulia Siravegna vom IRCC in Turin stellte in ihrem Vortrag vor, dass nach Aussetzen einer Cetuximab-Therapie die resistenten Zellklone in den Verlaufskontrollen ihrer Patienten und damit auch die mutierten ctDNA wieder verschwanden. Das deutet darauf hin, dass über ein Aussetzen der EGFR-Blockade-Therapie der Tumor wieder sensitiv für den Antikörper wird.
Zirkulierende Tumorzellen
Zirkulierende Tumor-DNA ist schwierig zu analysieren und wird von verschiedenen Faktoren stark beeinflusst, weshalb einige Forschergruppen, wie die um Professor Dr. Klaus Pantel in Hamburg, eher auf die Aussagekraft zirkulierender Tumorzellen (CTC) vertrauen. Denn auch Tumorzellen werden von soliden Tumoren abgegeben und sind schlimmstenfalls die Grundsteine für Metastasen. Diese Zellen rechtzeitig zu isolieren und genauer zu charakterisieren bietet also im Idealfall die Option, frühzeitig mit der richtigen Therapie gegen die Tumorzellen vorzugehen, berichtete der Direktor des Instituts für Tumorbiologie der Uniklinik Hamburg. Er sieht in CTC den Vorteil, dass die Zellen nicht nur auf DNA-Mutationen, sondern auch hinsichtlich der Expression der Gene und der resultierenden Proteinmengen untersucht werden können. Dadurch sind wesentlich relevantere Aussagen über den Tumor möglich, sagt doch eine gefundene Mutation noch lange nicht, dass das veränderte Protein tatsächlich gebildet und die Zell-Proliferation induziert wird.
Allerdings ist die Isolierung der CTC auch nicht einfach. Je nachdem, ob der Tumor bereits metastasiert und Zellen freisetzt, befinden sich mehr oder weniger CTC im Blut. So kommt normalerweise eine Tumorzelle in einer Umgebung von 106 bis 107 normalen, peripheren Blutzellen vor. Bei einer höheren Anzahl von mehr als fünf Zellen in 7,5 ml Blut liegt bereits eine schlechtere Prognose für die Krebserkrankung vor.
Zirkulierende Vesikel
Im Blut von Tumorpatienten wurden auch größere Mengen sogenannter Exosomen und Ektosomen entdeckt und als eventuelle Biomarker untersucht, wie Professor Dr. Lorraine O’Driscoll vom Trinity College Dublin vorstellte. Exosomen und Ektosomen sind membranumhüllte Vesikel, die von Zellen – vor allem auch von Tumorzellen – abgeschnürt werden und neben Proteinen und Lipiden DNA, rRNA, mRNA und miRNA enthalten.
Von soliden Tumoren lösen sich einzelne Zellen ab, die an anderen Stellen Metastasen bilden können.
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Als Ektosomen werden dabei größere Vesikel bezeichnet, während Exosomen kleinere Vertreter sind. Gemeinsam ist den Vesikeln, dass sie als Transportsystem zwischen verschiedenen Zellen fungieren können und somit gegebenenfalls andere, gesunde Zellen mit Eigenschaften der Tumorzellen ausstatten können. Außerdem kann über den ektosomalen Transport von zum Beispiel Matrixmetalloproteasen die Metastasierung des Tumors und die Neoangiogenese im Tumorgewebe erleichtert werden.
Auch diese kleinen, membranumhüllten Vesikel sind nicht so einfach aus Blut zu isolieren, berichtete die Pharmazeutin. Mit der weiteren Charakterisierung der Exosomen lassen sich typische Oberflächenproteine definieren, die für eine selektive Anreicherung der Vesikel genutzt werden können. Der Vorteil der Exosomen ist ihre relativ große Menge von 108 bis 1013 pro ml Blut und ihre gute Stabilität bei unterschiedlichen Lagerbedingungen. Mittlerweile konnten bereits bei verschiedenen Tumorarten exosomale Besonderheiten identifiziert werden. So zeigte es sich, dass Exosomen aus Patientinnen mit einem Ovarialkarzinom signifikant mehr TGFβ1, MAGE3/6 und Claudin 4 sowie bestimmte miRNA-Moleküle enthalten als die von gesunden Kontrollen und Frauen mit gutartigen Wucherungen. Darüber könnte nicht nur ein Ovarialkarzinom frühzeitig entdeckt, sondern auch der Therapieverlauf verfolgt werden, da sich Studien zufolge der Proteingehalt der Exosomen bei einer erfolgreichen Chemotherapie verringert.
Ausblick
Die Möglichkeiten der Liquid Biopsy sind vielfältig und nicht auf eine Untersuchung von Blut beschränkt: Je nach Tumorart bieten sich auch andere Körperflüssigkeiten wie Speichel oder Urin beziehungsweise selbst eine Stuhlprobe zur Analyse an. Entsprechende Daten für erfolgreiche Verlaufskontrollen bei Tumorerkrankungen zeigte Professor Dr. Nick Papadopoulos von der Johns Hopkins University in Baltimore. Allerdings wird es noch einige Zeit dauern, bis diese Methoden in die Routine-Tumordiagnostik aufgenommen werden. Zum einen sind die Analysen noch nicht ausreichend standardisiert, zum anderen sind die Kosten für eine Untersuchung noch zu hoch. Welche der Methoden den anderen überlegen ist, konnte auf dem Symposium nicht geklärt werden, vielmehr waren sich die Wissenschaftler einig, dass es jeweils vom Tumortyp und vom Patienten abhängt. /