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Duo im November

02.12.2015  09:29 Uhr

Von Kerstin A. Gräfe / Im November kamen zwei neue Arzneistoffe auf den Markt. Alirocumab ist der zweite Vertreter der sogenannten PCSK9-Hemmer und dient der Senkung des LDL-Cholesterols. Isavuconazol ist ein neues Antimykotikum, das bei lebensbedrohlichen Pilzinfektionen zum Einsatz kommen soll.

Vor rund elf Jahren entdeckten US-amerikanische Forscher, dass Menschen mit Loss-of-Function-Mutationen im PCSK9-Gen niedrige LDL-Chol­esterol-Werte haben und extrem selten an einer koronaren Herzkrankheit erkranken. Da die Wissenschaftler keine gesundheitlichen Nachteile des Gendefekts fanden, entstand rasch die Idee, Antikörper zu entwickeln, die die gleiche Auswirkung haben wie die Genmutation. Ziel war es, Arzneistoffe zur effektiven Senkung des LDL-Cholesterols zu finden. Mit Evolocumab (Repatha®) kam für diese Indikation im September der erste Vertreter der PCSK9-Hemmer auf den Markt.

<typohead type="1">Alirocumab

Mit Alirocumab (Praluent® 75/150 mg Injektionslösung in einem Fertigpen, Sanofi-Aventis) steht nun ein weiterer Vertreter der PCSK9-Hemmer zur Verfügung. Das Akronym PCSK9 steht für Proproteinkonvertase Subtilisin/Kexin Typ 9. Das Protein spielt bei der Regulierung des Serumspiegels von LDL-Cholesterol eine wichtige Rolle, indem es die Anzahl der LDL-Rezeptoren auf der Oberfläche der Hepatozyten beeinflusst. PCSK9 bindet wie LDL-Cholesterol an LDL-Rezeptoren hepatischer Zellen. Nach der Bindung gelangt der gebildete Komplex in die Zelle. Anders jedoch als die LDL-Cholesterol-Rezeptorkomplexe, die in der Zelle gespalten und recycelt werden, werden die PCSK9-Rezeptor-Komplexe vollständig abgebaut. In der Folge stehen an der Oberfläche weniger LDL-Rezeptoren zur Verfügung, die LDL-Cholesterol aus dem Blut aufnehmen könnten. Der Serumspiegel steigt. Blockiert man PCSK9 mit einem spezifischen Antikörper wie Alirocumab, erhöhen sich die Zahl der LDL-Rezeptoren auf der Oberfläche der Hepatozyten und der LDL-Cholesterol-Spiegel sinkt.

 

Zwei Dosierungen verfügbar

 

Alirocumab ist zugelassen begleitend zu einer Diät zur Behandlung Erwachsener mit primärer familärer Hypercholesterolämie oder kombinierter Dyslipidämie. Eingesetzt werden darf der neue Wirkstoff zum einen in Kombination mit einem Statin oder einem Statin plus weitere lipidsenkende Maßnahmen bei Patienten, bei denen trotz maximal tolerierter Statindosis das LDL-Cholesterol nicht stark genug gesenkt werden konnte. Zum anderen darf Alirocumab angewendet werden als Monotherapie oder in Kombination mit anderen Lipidsenkern bei Patienten, bei denen Statine kontraindiziert sind oder nicht vertragen werden.

 

Vor Beginn der Behandlung ist auszuschließen, dass den Grunderkrankungen Hypercholesterolämie oder gemischte Dyslipidämie keine sekundären Ursachen wie ein nephrotisches Syndrom oder ein Hypothyroidismus zugrunde liegen. Alirocumab steht als vorgefüllter Einzeldosis-Pen in den Dosierungen 75 mg und 150 mg zur Verfügung. Die empfohlene Anfangsdosis beträgt 75 mg, das Dosierungsintervall zwei Wochen. Patienten, bei denen eine stärkere LDL-Senkung erforderlich ist, können mit 150 mg alle zwei Wochen beginnen.

 

Bei Patienten mit leichter bis mittelschwer eingeschränkter Leber- oder Nierenfunktion ist keine Dosisanpassung erforderlich. Für die Anwendung bei schwerer Einschränkung eines der beiden Organe liegen entweder keine oder nur begrenzte Daten vor. Hier sollte Alirocumab nur mit Vorsicht angewendet werden. Bei Schwangeren wird der Einsatz des Antikörpers nicht empfohlen, es sei denn, der klinische Zustand der Mutter erfordert die Behandlung. Gleiches gilt für stillende Frauen, da unbekannt ist, ob und wie sich Alirocumab auf das gestillte Kind auswirkt. Hier muss der Arzt im Einzelfall entscheiden, ob die Mutter abstillen oder die Antikörper-Behandlung unterbrechen soll.

 

Deutliche LDL-Senkung

 

Der Antikörper wird subkutan in Oberschenkel, Bauch oder Oberarm injiziert. Es wird empfohlen, die Einstichstelle bei jeder Injektion zu wechseln und Alirocumab nicht in Bereiche zu spritzen, die verletzt oder entzündet sind, zum Beispiel Sonnenbrand oder Hautausschläge. Zudem darf der Patient den Antikörper nicht an derselben Stelle spritzen, die er gleichzeitig für andere injizierbare Arzneimittel gewählt hat. Apotheker sollten die Kunden ferner darauf hinweisen, dass Alirocumab bei 2 bis 8 °C zu lagern ist. Der Pen sollte aber rechtzeitig vor der Injektion aus dem Kühlschrank genommen werden, damit die Lösung zum Injektionszeitpunkt Raumtemperatur erreicht hat.

 

Die Zulassung basiert auf den Daten aus zehn Phase-III-Studien des Programms ODYSSEY mit mehr als 5200 Patienten. Fünf Studien waren placebokontrolliert, fünf Vergleiche mit Ezetimib. In den Studien konnte eine gleichmäßige und stabile Senkung der Cholesterol-Spiegel gezeigt werden, wenn Alirocumab zusätzlich zur Standardtherapie gegeben wurde. Primärer Endpunkt war die Senkung des LDL-Cholesterol-Spiegels nach 24 Wochen. In allen Studien gelang dies mit Alirocumab signifikant besser als mit Placebo oder Ezetimib.

 

In den placebokontrollierten Studien senkte Alirocumab den durchschnittlichen LDL-Cholesterol-Wert verglichen mit dem Ausgangswert um 46 bis 61 Prozent. In einer Ezetimib-kontrollierten Studie, in der Alirocumab zusätzlich zu einer Statin-Therapie gegeben wurde, betrug die durchschnittliche Reduktion des LDL-C-Werts verglichen mit dem Ausgangswert 51 Prozent. In den Ezetimib-Studien mit Patienten, die keine Statine erhielten, senkte Alirocumab den LDL-C-Wert durchschnittlich um 45 bis 47 Prozent. Zudem erreichten unter Alirocumab signifikant mehr Patienten nach 12 und 24 Wochen den LDL-Zielwert von unter 70 mg/dl als unter Ezetimib oder Placebo. Ob unter Alirocumab tatsächlich auch weniger kardiovaskuläre Ereignisse auftreten, soll die ODYSSEY-OUTCOMES-Studie zeigen. Laut Hersteller werden erste Ergebnisse im Jahr 2017 erwartet.

 

Häufige Nebenwirkungen waren in Studien lokale Reaktionen an der Injektionsstelle wie Rötung und Schwellung, Symptome einer gewöhnlichen Erkältung oder Grippe sowie Juckreiz. Treten nach Injektion Anzeichen schwerwiegender allergischer Reaktionen auf, muss der Patient den PCSK9-Hemmer absetzen und ein Arzt die Symptome direkt behandeln.

 

>> vorläufige Bewertung: Sprunginnovation

 

<typohead type="1">Isavuconazol

Das Antimykotikum Isavuconazol (Cresemba® 100 mg Hartkapseln und 200 mg Pulver für ein Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung, Basilea Pharmaceutica) ist ein weiterer Vertreter aus der Klasse der Azole. Zugelassen ist Isavuconazol zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit invasiver Aspergillose sowie von Erwachsenen mit Mukormykose, für die eine Behandlung mit Amphotericin B ungeeignet ist. Bei beiden Erkrankungen handelt es sich um lebensbedroh­liche Pilzinfektionen, die selten auf­treten. Cresemba hat daher den Orphan-Drug-Status erhalten.

Isavuconazol ist ein Triazol und die aktive Wirksubstanz des Prodrugs Isavuconazoniumsulfat. Wie alle Azole hemmt auch der neue Wirkstoff die Synthese von Ergosterol und stört so den Zellwandaufbau der Pilze.

Die Kapseln und Infusionen werden gleich dosiert. Die empfohlene Aufsättigungsdosis beträgt 200 mg alle acht Stunden in den ersten 48 Stunden, gefolgt von einer 200-mg-Erhaltungsdosis einmal täglich. Eine Umstellung zwischen den beiden Darreichungsformen ist möglich, da Isavuconazol mit 98 Prozent eine hohe orale Bioverfügbarkeit hat. Die Dauer der Therapie hängt vom klinischen Ansprechen ab. Ab einer Dauer von mehr als sechs Monaten sollte das Nutzen-Risiko-Verhältnis sorgfältig abgewogen werden.

 

Hohes Interaktionspotenzial

 

Isavuconazol ist ein Substrat der Cytochrom P450 (CYP)-Enzyme CYP3A4 und CYP3A5. Daher ist der neue Arzneistoff kontraindiziert bei Patienten, die Ketoconazol, hoch dosiertes Ritonavir oder starke beziehungsweise mäßig starke CYP3A4/5-Induktoren einnehmen. Die gleichzeitige Anwendung mit schwachen CYP3A4/5-Induktoren sollte vermieden werden. Zudem ist Isavuconazol kontraindiziert bei Patienten, die an der Herzrhythmus-Erkrankung familiäres Kurzes-QT-Syndrom leiden. Vorsicht ist daher auch bei Patienten geboten, die QT-Intervall verkürzende Arzneimittel einnehmen, zum Beispiel das Antiepileptikum Rufinamid.

 

Ebenfalls ist Vorsicht geboten bei Patienten mit einer Überempfindlichkeit gegen andere Azol-Antimykotika. Diese kann sich als Hypotonie, respiratorische Insuffizienz, Dyspnö, Exanthem, Juckreiz und Ausschlag äußern. Zum Teil wurden in den Studien schwere Hautreaktionen wie Stevens-Johnson-Syndrom beobachtet. In solchen Fällen muss Isavuconazol abgesetzt werden. Des Weiteren wurde in den Studien über erhöhte Lebertransaminasen berichtet. Eine Überwachung der Werte sollte in solchen Fällen erwogen werden. Bei Patienten mit schwerer Leberfunktionsstörung wurde die Anwendung des neuen Arzneistoffs nicht untersucht.

Isavuconazol kann als mittelstarker Inhibitor von CYP3A4 betrachtet werden. Daher ist bei gleichzeitiger Anwendung mit Arzneimitteln, die Subs­trate dieses Enzyms sind, eine Dosis­anpassung potenziell erforderlich. Des Weiteren ist Isavuconazol ein CYP2B6-Induktor. Vorsicht ist daher geboten, wenn der Patient CYP2B6-Substrate wie Cyclophosphamid einnimmt, insbesondere solche mit geringer therapeutischer Breite. Ebenso muss unter Umständen bei gleichzeitiger Anwendung mit Substraten des Transporters P-Glykoprotein die Isavuconazol-Dosis angepasst werden.

 

Schwangere dürfen das Antimykotikum nicht erhalten, es sei denn, sie sind an einer schweren oder möglicherweise lebensbedrohlichen Pilzinfektion erkrankt. In diesem Fall kann der Arzt Isavuconazol verordnen, wenn er den erwarteten Nutzen höher einschätzt als die möglichen Risiken für den Fetus. Frauen im gebärfähigen Alter, die nicht zuverlässig verhüten, sollten Isavucon­azol nicht erhalten. Außerdem sollten Frauen während der Behandlung das Stillen unterbrechen.

 

Voriconazol ebenbürtig

 

Die Zulassung basiert auf den beiden Phase-III-Studien SECURE und VITAL. SECURE war eine randomisierte doppelblinde Studie mit 516 Patienten mit invasiver Aspergillose, in der Isavucon­azol mit Voriconazol verglichen wurde. Isavuconazol zeigte sich hinsichtlich des primären Endpunkts, der 42-Tage-Gesamtsterblichkeit in der Intent-to-Treat-Population, als ebenbürtig mit der Vergleichssubstanz Voriconazol. Mit Isavuconazol lag die 42-Tage- Gesamtsterblichkeit bei 18,6 Prozent, mit Voriconazol bei 20,2 Prozent.

 

VITAL war ein Open-Label-Studie (das heißt ohne Vergleichssubstanz) mit 146 Patienten, die eine Subgruppe von 37 Mukormykose-Patienten enthielt. Bei diesen Patienten betrug die 42-Tage-Gesamtsterblichkeit 38 Prozent und war laut Hersteller damit vergleichbar zu den in der Literatur berichteten Sterblichkeitsraten bei der Behandlung von Mukormykose.

 

Die häufigsten Nebenwirkungen waren Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Kopfschmerzen, erhöhte Leberenzymwerte, Kaliummangel, Verstopfung, Atemnot, Husten, periphere Ödeme und Rückenschmerzen. /

 

>> vorläufige Bewertung: Analogpräparat

Kommentar

Eine Sprunginnovation, ein Analogpräparat

Alirocumab (Praluent®) ist nach Evolocumab (Repatha®) der zweite Vertreter der PCSK9-Hemmer, die wie bei einer Loss-of-Function-Mutation im PCSK9-Gen zu einem niedrigen LDL-Cholesterol-Spiegel führen. Da beide Stoffe zur gleichen Zeit entwickelt wurden und bisher keine vergleichende klinische Studie vorliegt, sollte die Bewertung für beide Stoffe gleich ausfallen. Deshalb kann Alirocumab wie Evolocumab als Sprunginnova­tion eingestuft werden.

 

Der zweite neue Arzneistoff ist das Antimykotikum Isovuconazol (Cresemba®), das bei lebensbedrohlichen seltenen Mykosen eingesetzt wird und mit Voriconazol vergleichbar ist. Trotz seines Orphan-Drug- Status ist Isovucon­azol deshalb als Analogpräparat einzustufen. Bei der Anwendung von Isovuconazol ist das hohe Interak­tionspotenzial zu beachten.

 

Professor Dr. Hartmut Morck

Universität Marburg

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