Neue Therapieoption bei Lungenkrebs |
04.12.2013 10:32 Uhr |
Von Sven Siebenand / Tyrosinkinase-Hemmer wie Gefitinib und Erlotinib werden bereits seit einigen Jahren bei bestimmten Patienten mit Lungenkarzinom eingesetzt. Sie richten sich gegen den epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptor (EGFR). Konkurrenz macht ihnen nun Afatinib, das nicht nur gegen EGFR, sondern auch gegen andere Rezeptoren der ErbB-Familie gerichtet ist.
Bei der Entwicklung von Lungenkrebs spielen verschiedene sogenannte Treiber-Mutationen eine Rolle. Etwa 10 bis 15 Prozent der Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) kaukasischer Herkunft haben zum Beispiel Tumoren mit EGFR-Mutationen, bei Asiaten sind es sogar 40 Prozent. EGFR ist ein Rezeptor der sogenannten ErbB-Familie. Insgesamt besteht diese aus vier eng verwandten Rezeptor-Tyrosinkinasen: EGFR (ErbB1), HER2 (ErbB2), ErbB3 und ErbB4.
Eine Überaktivierung oder Mutation der ErbB-Rezeptor-Tyrosinkinasen kann intrazelluläre Signalwege abnorm aktivieren und zu unkontrollierter Zellproliferation und Hemmung der Apoptose führen und damit Tumorwachstum und -ausbreitung fördern. Ein aktiver ErbB-Rezeptor entsteht erst bei Dimerisierung von zwei Rezeptormolekülen. Dieser Vorgang ist nur nach Bindung eines Liganden möglich. Die Tyrosinkinase-Hemmer Gefitinib und Erlotinib richten sich ausschließlich gegen Homo- und Heterodimere, die EGFR enthalten.
Eine Radon-Exposition gilt neben Rauchen als eine Ursache für Lungenkrebs. Das natürliche Gas kommt in vielen Regionen Deutschlands vor und kann sich in Räumen sammeln und dort zu einer radiologischen Belastung für die Bewohner führen.
Foto: dpa
Mit Afatinib (Giotrif® 20/30/40 und 50 mg Filmtabletten, Boehringer Ingelheim Pharma) kam im November ein neuer Tyrosinkinase-Inhibitor auf den deutschen Markt. Dieser Wirkstoff bindet kovalent und irreversibel an EGFR, HER2 und ErB4. Er ist damit gegen mehrere Rezeptordimere der ErbB-Familie gerichtet, wovon man sich eine stärkere und breitere Hemmung der Signalweiterleitung verspricht. Zugelassen ist Afatinib zur Behandlung des lokal fortgeschrittenen oder metastasierten NSCLC mit aktivierenden EGFR-Mutationen. Vor Therapiestart ist der Mutationsstatus des Patienten zu testen. Das zugelassene Anwendungsgebiet umfasst sowohl die Erstlinientherapie als auch spätere Behandlungslinien bei Patienten, die keine vorangegangene Therapie mit EGFR-Tyrosinkinase-Inhibitoren erhalten haben.
Afatinib wird (bis zum Fortschreiten der Erkrankung oder bis das Medikament nicht mehr vertragen wird) einmal täglich eingenommen. Die empfohlene Dosis beträgt 40 mg. Der Arzt kann die Dosis auf maximal 50 mg pro Tag erhöhen. Wenn bestimmte Nebenwirkungen auftreten, muss er sie unter Umständen aber auch reduzieren, die Behandlung unterbrechen oder ganz absetzen. Bei schwerer Nieren- oder Leberfunktionsstörung wird Afatinib nicht empfohlen. Apotheker sollten dazu raten, die Filmtablette nicht mit dem Essen einzunehmen. Denn das kann zu einer deutlichen Abnahme der systemischen Exposition mit Afatinib führen. Patienten sollten mindestens drei Stunden vor und mindestens eine Stunde nach der Einnahme keine Nahrung zu sich nehmen. Wird die Einnahme vergessen, kann der Patient die Tablette später einnehmen, allerdings nur solange der Zeitraum bis zur nächsten geplanten Dosis weniger als acht Stunden beträgt.
Das klinische Studienprogramm LUX-LUNG umfasst derzeit acht Studien, die Afatinib in verschiedenen Therapiesituationen beim NSCLC untersuchen. Für die europäische Zulassung von besonderer Bedeutung ist die LUX-LUNG-3-Studie. In dieser randomisierten Phase-III-Studie wurde Afatinib als Erstlinientherapie bei 345 Patienten mit fortgeschrittenem und/oder metastasiertem NSCLC und EGFR-Mutationen mit einer Standard-Chemotherapie aus Cisplatin und Pemetrexed verglichen. Im Verhältnis 2:1 randomisiert erhielten die Patienten entweder Afatinib (40 mg oral einmal täglich) oder bis zu sechs Zyklen Cisplatin (intravenös 75 mg/m2 Tag 1, alle 21 Tage) plus Pemetrexed (intravenös 500 mg/m2 Tag 1, alle 21 Tage).
Das progressionsfreie Überleben (PFS) betrug in der Gesamtpopulation (alle EGFR-Mutationen) 11,1 Monate unter Afatinib verglichen mit 6,9 Monaten unter Cisplatin/Pemetrexed. Betrachtet man nur die Subgruppe von Patienten mit häufigen EGFR-Mutationen (del 19 und L858R), lag das PFS bei 13,6 Monaten.
Wasserstoff: Hellblau
Stickstoff: Blau
Sauerstoff: Rot
Fluor: Grün Chlor: Magenta
Grafiken: Wurglics
Head-to-Head-Vergleiche mit Gefitinib und Erlotinib gibt es bislang noch nicht, sind aber im LUX-LUNG-Studienprogramm geplant. Erste Ergebnisse dazu soll es 2014/2015 geben. Um die Wirksamkeit der drei Tyrosinkinase-Hemmer zu vergleichen, muss man bis dahin auf andere Studien mit Erlotinib und Gefitinib schauen. In der EURTAC-Studie mit Erlotinib konnte bei Patienten mit häufigen EGFR-Mutationen ein PFS von 9,7 Monaten erreicht werden. In der IPASS-Studie mit Gefitinib lag das PFS bei EGFR-mutationspositiven Patienten bei 9,5 Monaten.
Atemnot, Husten und Schmerzen gehören zu den Leitsymptomen bei Lungenkrebs und schränken die Lebensqualität stark ein. In der LUX-LUNG 3-Studie wurden deshalb auch diese Symptome und die gesundheitsbezogene Lebensqualität mittels standardisierter Fragebögen erhoben. Die Therapie mit Afatinib verlängerte signifikant die Zeit bis zur Verschlechterung der Leitsymptome Atemnot und Husten und verbesserte die Lebensqualität der Patienten signifikant im Vergleich zu Cisplatin/Pemetrexed. Auch die Verschlimmerung von Schmerzen erfolgte später. Der Unterschied war jedoch nicht statistisch signifikant.
Unter der Therapie mit Afatinib traten klassenspezifische Nebenwirkungen auf. Sehr häufig kommt es zum Beispiel zu Diarrhö und Hautausschlägen. In der Fachinformation von Giotrif wird dazu geraten, insbesondere in den ersten sechs Behandlungswochen schon erste Anzeichen von Durchfall proaktiv mit adäquater Hydrierung und Antidiarrhoika zu behandeln. Bei schwerer Diarrhö kann es erforderlich sein, die Behandlung mit Afatinib zu unterbrechen, die Dosis zu reduzieren oder die Behandlung ganz abzusetzen.
Bei den in Studien beobachteten Hautreaktionen handelt es sich oft um einen leichten bis mittelschweren erythematösen, akneartigen Ausschlag, der in sonnenexponierten Hautbereichen auftreten oder sich dort verstärken kann. Geht der Patient an die Sonne, sollte er daher schützende Kleidung tragen und ein Sonnenschutzmittel auftragen. Die rechtzeitige Behandlung dermatologischer Reaktionen, zum Beispiel mit Hautpflegemitteln oder Antibiotika, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Behandlung mit Afatinib fortgesetzt werden kann. Bei schweren Hautreaktionen können vorübergehende Unterbrechung der Behandlung, Dosisreduktionen oder die Überweisung an einen Dermatologen erforderlich werden. Auch ein Therapieabbruch kann in bestimmten Fällen notwendig werden. Besonders engmaschig auf Nebenwirkungen zu überwachen sind Frauen, Patienten mit niedrigerem Körpergewicht und Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion. Bei ihnen wurden erhöhte Afatinib-Plasmaspiegel beobachtet.
Auch muss der Arzt Patienten, bei denen pulmonale Symptome akut auftreten und/oder sich ohne erklärbare Ursache verstärken, sorgfältig untersuchen. Zudem wird in der Fachinformation auf das Risiko für Hornhautentzündungen eingegangen. Patienten mit Anzeichen dafür müssen umgehend zum Augenarzt.
Patienten, die eine Behandlung mit einem P-gp-Inhibitor benötigen, sollten diesen mit möglichst großem zeitlichen Abstand zu Afatinib einnehmen. In der Fachinformation wird ein Abstand von vorzugsweise sechs Stunden genannt, wenn der P-gp-Inhibitor zweimal täglich einzunehmen ist und von zwölf Stunden, wenn nur eine Gabe pro Tag vorgesehen ist. Beispiele für starke P-gp-Inhibitoren sind in der Fachinformation gelistet.
Aus Vorsichtsgründen sollten gebärfähige Frauen während einer Behandlung mit Afatinib eine Schwangerschaft vermeiden. Frauen, die Afatinib während der Schwangerschaft anwenden oder während oder nach einer Behandlung mit dem neuen Wirkstoff schwanger werden, müssen über das potenzielle Risiko für den Fötus informiert werden. Während einer Afatinib-Behandlung ist vom Stillen abzuraten. /
vorläufige Bewertung:
Analogpräparat
Noch kein Vorteil nachgewiesen
Mit Afatinib ist neben Gefitnib und Erlotinib der dritte Tyrosinkinase-Hemmer zur Therapie des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms in den deutschen Markt eingeführt worden. Die zur Verfügung stehenden Daten lassen zurzeit allerdings noch keine vergleichende Betrachtung zu den beiden anderen Kinase-Inhibitoren zu. Nur gegenüber einer Standard-Chemotherapie wurde eine Verlängerung des progressionsfreien Überlebens nachgewiesen. Solange keine anderen Daten zur Verfügung stehen, die einen Vorteil der breiteren Wirkung gegen die verschiedenen Rezeptoren der ErbB-Familie nachweisen, muss Afatinib vorläufig als Analogpräparat beurteilt werden.
Professor Dr. Hartmut Morck,
Universität Marburg