Vorreiter bei Lungenkrebs |
Bei Lungenkrebs ist die Therapie heute stark vom Mutationsstatus des Patienten abhängig. Bei NSCLC ist häufig eine zielgerichtete Therapie möglich. / Foto: Colourbox
Bei NSCLC-Patienten wird heute geprüft, ob bei ihnen Mutationen des epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptors (EGFR) vorliegen. Bei 10 bis 15 Prozent der NSCLC-Patienten kaukasischer Herkunft liegen diese EGFR-Mutationen vor, bei Asiaten findet man sie in 40 Prozent der Fälle. Der EGFR gehört zur sogenannten ErbB-Familie. Insgesamt besteht diese aus vier eng verwandten Rezeptor-Tyrosinkinasen: EGFR (ErbB1), HER2 (ErbB2), ErbB3 und ErbB4.
Der EGFR besteht aus einem extrazellulären Außenbereich, an den zum Beispiel Liganden wie Wachstumsfaktoren oder auch Arzneistoffe angreifen können, und einer intrazellulären Domäne mit Enzymaktivität. Eine Überaktivierung oder Mutation der ErbB-Rezeptor-Tyrosinkinasen kann intrazelluläre Signalwege abnorm aktivieren und zu unkontrollierter Zellproliferation sowie Hemmung der Apoptose führen. Damit werden Tumorwachstum und -ausbreitung gefördert. Ein aktiver ErbB-Rezeptor entsteht erst bei Dimerisierung von zwei Rezeptormolekülen. Erlotinib richtet sich ausschließlich gegen Homo- und Heterodimere, die EGFR enthalten. Der Wirkstoff wandert in die Tumorzelle und besetzt hoch selektiv und reversibel die Adenosintriphosphat-Bindungsstelle der intrazellulären Tyrosinkinase-Domäne des EGFR. Dadurch wird die Phosphorylierung gehemmt und die Signalweiterleitung unterbrochen. Diese zielgerichtete Therapie zahlt sich zum Beispiel beim Parameter progressionsfreies Überleben aus.
Der Kinasehemmer ist zur Behandlung des lokal fortgeschrittenen oder metastasierten NSCLC mit aktivierenden EGFR-Mutationen zugelassen. Vor Therapiestart ist der Mutationsstatus des Patienten zu testen. Nur 1 Prozent der Patienten ohne diese Mutationen spricht an. Bei ihnen ist Erlotinib daher nur dann angezeigt, wenn andere Therapieoptionen als ungeeignet erachtet werden. Ein weiteres Zulassungsgebiet von Erlotinib ist die Behandlung von Patienten mit metastasiertem Pankreaskarzinom. Bei dieser Krebsart wird der Kinasehemmer mit Gemcitabin kombiniert.
Erlotinib blieb nicht der einzige Vertreter seiner Klasse. Andere oral verfügbare Wirkstoffe, die ebenfalls EGFR als Zielstruktur haben, folgten. Gefitinib (Iressa®) richtet sich wie Erlotinib ausschließlich gegen Homo- und Heterodimere, die EGFR enthalten. Afatinib (Giotrif®) ist nicht nur gegen EGFR, sondern auch gegen andere Rezeptoren der ErbB-Familie gerichtet. Beide kommen wie Erlotinib bei NSCLC-Patienten zum Einsatz. Jüngster Kinasehemmer mit der Zielstruktur EGFR ist Osimertinib (Tagrisso®).
Klassenspezifische Nebenwirkungen sind zum Beispiel Diarrhö und Hautausschlag. Die unerwünschten Effekte können auch noch Monate nach Therapiebeginn auftreten. Bei den Hautreaktionen handelt es sich oft um einen leichten bis mittelschweren erythematösen akneartigen Ausschlag, der in sonnenexponierten Hautbereichen auftreten oder sich dort verstärken kann. Geht der Patient an die Sonne, sollte er daher schützende Kleidung tragen und ein Sonnenschutzmittel mit hohem Lichtschutzfaktor auftragen. Bereits bei Beginn einer EGFR-Therapie sollten die Patienten ihre Haut mit rückfettenden, feuchtigkeitsspendenden Pflegeprodukten eincremen. Sobald erste Pusteln auftreten, sind nicht fettende Pflegeprodukte vorzuziehen.
Seit fast einem Vierteljahrhundert vergibt die Pharmazeutische Zeitung den PZ-Innovationspreis und würdigt damit das jeweils innovativste Arzneimittel eines Jahres. Beim diesjährigen Pharmacon-Kongress in Meran wird der Preis zum 25. Mal verliehen. Das Jubiläum nimmt die PZ zum Anlass, alle bisherigen Preisträger Revue passieren zu lassen und sie kritisch zu beleuchten. Ließen sie sich in den Therapiealltag integrieren? Haben sie neue Therapierichtungen induziert? Als Autoren fungieren die Professoren Dr. Theo Dingermann und Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz, Mitglieder der externen PZ-Chefredaktion, sowie der stellvertretende PZ-Chefredakteur Sven Siebenand.