Rekordverdächtiges Tempo |
23.11.2016 09:12 Uhr |
Von Annette Mende, Berlin / Der monoklonale Antikörper Olaratumab hat in einer Phase-II-Studie die Überlebenszeit von Patienten mit Weichteilsarkom um fast ein Jahr verlängert. Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) zögerte nicht lange und ließ den Arzneistoff zu. Größere Studien müssen nun die ersten Ergebnisse bestätigen, sonst droht der Widerruf der Zulassung.
Weichteilsarkome sind bösartige Tumoren, die von Weichgewebe ausgehen. Zu den Weichgeweben gehören das Fett-, Muskel- und Bindegewebe sowie Blutgefäße und Nerven. Weichteilsarkome sind somit keine einheitliche Erkrankung und sie können überall im Körper auftreten. Die häufigsten Weichteilsarkome bei Erwachsenen sind gastrointestinale Stromatumoren (GIST), von der glatten Muskulatur ausgehende Sarkome (Leiomyosarkome) und vom Fettgewebe ausgehende Sarkome (Liposarkome). Bei Kindern ist die Häufigkeitsverteilung anders, hier dominieren Rhabdomyosarkome, maligne Neoplasien der quergestreiften Muskulatur.
Selten und schwierig zu diagnostizieren
Bei Verdacht auf ein Weichteilsarkom muss zunächst eine MRT-Untersuchung gemacht werden. Bei vorschnellen Biopsien oder Operationen besteht die Gefahr, dass Krebszellen verschleppt werden.
Foto: iStockphoto/selimaksan
Mit einer Inzidenz von vier bis fünf Fällen pro 100 000 Personen machen Weichteilsarkome etwa 1 Prozent der Krebsdiagnosen im Erwachsenenalter aus. Frauen und Männer sind in etwa gleich häufig betroffen. »Weil Weichteilsarkome so selten und schwierig zu diagnostizieren sind, werden sie häufig übersehen«, berichtete Privatdozent Dr. Peter Reichardt, stellvertretender Leiter des Sarkomzentrums Berlin-Brandenburg, bei einer Pressekonferenz von Lilly in Berlin. Etwa 10 Prozent der Patienten haben zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bereits Metastasen, meistens in der Lunge. Von den Patienten mit zunächst lokal begrenzter Erkrankung entwickeln im Verlauf 40 bis 60 Prozent Metastasen. Hat der Tumor metastasiert, beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung 15 Monate.
Wenn möglich, sollte ein Weichteilsarkom – in einem spezialisierten Zentrum (siehe Kasten) – operativ entfernt werden. Ob eine anschließende Bestrahlung und/oder Chemotherapie sinnvoll ist, hängt vom Stadium des Tumors ab und davon, ob er komplett entfernt werden konnte. Als Erstlinien-Chemotherapie sind Anthracycline wie Doxorubicin oder Epirubicin Mittel der Wahl. »Eine Kombination mit anderen Zytostatika, etwa Ifosfamid oder Dacarbazin, erzielt im Vergleich zur Anthracyclin-Monotherapie eine höhere Ansprechrate und ein längeres progressionsfreies Überleben, aber auch mehr Toxizität«, so Reichardt. Das Gesamtüberleben verlängere sich dadurch nicht. Den Patienten zunächst nur mit Doxorubicin und erst bei Progress mit einem anderen Zytostatikum zu behandeln, sei vermutlich ebenso wirksam wie die Kombinationstherapie.
Mit der Zulassung von Olaratumab (Lartruvo™) steht nun ein neuer Kombinationspartner für Doxorubicin bei erwachsenen Patienten mit fortgeschrittenen Weichteilsarkomen zur Verfügung. Der Einsatz ist laut Fachinformation auf Fälle beschränkt, in denen eine Operation oder Strahlentherapie nicht infrage kommen und der Patient zuvor noch nicht mit Doxorubicin behandelt wurde. Olaratumab ist ein humaner monoklonaler Antikörper gegen den Platelet-derived Growth Factor Receptor (PDGFR)-α. Der Arzneistoff verhindert die Bindung von aktivierenden Liganden an PDGFR-α und somit die von diesem Rezeptor vermittelte Signalübertragung auf Tumor- und Stromazellen.
Vorteil beim Gesamtüberleben
Die beschleunigte Zulassung basiert auf den Ergebnissen der JGDG-Studie, die im Juli 2016 im Fachjournal »The Lancet« erschienen (DOI: 10.1016/S0140-6736(16)30587-6). In dieser Phase-II-Studie erhielten 133 Patienten mit fortgeschrittenem Weichteilsarkom über acht Zyklen Doxorubicin entweder als Monotherapie oder in Kombination mit Olaratumab. Danach wurde im Kombinationsarm Olaratumab bis zum Progress weitergegeben und im Monotherapiearm hatten die Patienten die Möglichkeit, bei Progress Olaratumab als Monotherapie zu erhalten. »Acht Zyklen Doxorubicin ist ungewöhnlich. Wegen der kumulativen Kardiotoxizität gibt man normalerweise höchstens sechs«, informierte Reichardt. Um das Herz vor der Schädigung durch das Anthracyclin zu schützen, konnten die Patienten ab dem fünften Therapiezyklus das Zytoprotektivum Dexrazoxan dazubekommen.
Diagnose und Therapie von Patienten mit Weichteilsarkomen gehören in die Hand von Spezialisten, betont Privatdozent Dr. Peter Reichardt vom Sarkomzentrum Berlin-Brandenburg. Bei einem berechtigten Verdacht, etwa einer schnell gewachsenen Schwellung, muss als erstes eine Magnetresonaztomografie gemacht werden. Erst danach sollte die Verdachtsdiagnose durch eine Biopsie bestätigt werden, und zwar von einem erfahrenen Arzt. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Tumorzellen verschleppt werden. »Wenn man falsch biopsiert, wird aus einem operablen Tumor, etwa im Bein, die Notwendigkeit einer Amputation«, warnt Reichardt. Falls er operabel ist, müsse der Tumor großräumig, mit tumorfreien Resektionsrändern entfernt werden. Ansonsten komme es in 90 Prozent der Fälle zum Rezidiv.
Primärer Endpunkt der Studie war das progressionsfreie Überleben (PFS), sekundäre Endpunkte waren das Gesamtüberleben (OS), das Gesamtansprechen und das PFS nach drei Monaten. Beim PFS bot sich zunächst ein erwartetes Bild: Die Hinzunahme von Olaratumab verbesserte es im Median von 4,1 auf 6,6 Monate. »Dieser Unterschied ist beim Vergleich einer Mono- mit einer Kombitherapie durchaus üblich«, so Reichardt. Als »absolut sensationell« bezeichnete er hingegen das Ergebnis beim Gesamtüberleben. Dieses betrug unter Doxorubicin allein 14,7 Monate, unter Doxorubicin plus Olaratumab aber 26,5 Monate – ein Unterschied von 11,8 Monaten. Der Wert für das PFS unter Doxorubicin allein zeige, dass es sich bei den Patienten nicht um »handverlesene Subgruppen« gehandelt habe, sondern um ein normales Kollektiv, betonte der Onkologe.
Kombi mit Zytostatikum muss sein
Reaktionen auf die Infusion waren unter Olaratumab häufiger als unter der Doxorubicin-Monotherapie. Das sei typisch für einen monoklonalen Antikörper, aber in der Praxis handhabbar. Häufiger waren auch Muskelschmerzen, die jedoch meist nicht gravierend beziehungsweise therapielimitierend gewesen seien. Insgesamt sei das Nebenwirkungsprofil akzeptabel und gut zu kontrollieren gewesen.
Olaratumab muss nun seine Wirksamkeit und Sicherheit in einer Phase-III-Studie bestätigen, sonst könnte die EMA ihre Zulassung wieder rückgängig machen. Diese Studie läuft bereits, die Rekrutierung ist abgeschlossen. Überprüft werden muss laut Reichardt auch, ob als Kombinationspartner für den Antikörper auch andere Zytostatika infrage kommen, denn Doxorubicin hat das Problem der Kardiotoxizität und Dexrazoxan, das diese abmildern kann, »kennen viele Onkologen nicht«. Ohne gleichzeitig gegebenes Zytostatikum wirke Olaratumab nicht so gut, das habe die Erweiterungsphase der JGDG-Studie gezeigt. »Wie das genau funktioniert, ist momentan noch unklar, aber Olaratumab ist offenbar eine Wirkverstärker der Chemotherapie«, sagte Reichardt. /