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Kachexie

Auszehrung aufhalten

22.11.2016  16:44 Uhr

Von Hannelore Gießen, München / Viele Tumorpatienten sterben nicht an ihrer Erkrankung, sondern an einer Kachexie. Nicht nur mit gezielter Ernährung, sondern auch mit Medikamenten kann eine solche Auszehrung verhindert werden. Einige vielversprechende Neuerungen befinden sich in der klinischen Prüfung.

»Kachexie ist weit mehr als Mangel­ernährung«, sagte Professor Dr. Hartmut Bertz vom Universitätsklinikum Freiburg beim Update Ernährungs­medizin in München. Ein Gewichtsverlust von mehr als 5 Prozent des Körper­gewichts und eine systemische Inflammation seien die Parade-Marker einer Tumorkachexie, laute die momentan wohl am breitesten akzeptierte Definition. Der Onkologe betonte, dass die Behandlung einer Kachexie sehr wichtig sei, da heute Patienten auch im meta­stasierten Stadium oft fünf bis zehn Jahre überlebten.

 

Muskelmasse erhöhen

 

Neben einer guten ernährungsmedizinischen Versorgung tragen zahlreiche Medikamente dazu bei, eine Kachexie in den Griff zu bekommen. Etabliert sind Corticsteroide, Cannabinoide sowie die Progesterone Megestrolacetat und Medroxyprogesteronacetat. Alle steigern den Appetit und verbessern die Lebensqualität der Patienten, weisen jedoch ausgeprägte Nebenwirkungen auf. Ähnliches gilt für anabole Andro­gene wie Nandrolon, Fluoxym­esteron oder Oxandrolon.

 

Eine Weiterentwicklung der anabolen Androgene stellen selektive Androgenrezeptor-Modulatoren (SARM) dar, deren erster Vertreter Enobosarm sich aktuell in der klinischen Prüfung befindet. Bertz zitierte eine im Fachmagazin »Lancet Oncology« publizierte Phase-IIb-Studie aus dem Jahr 2013: Die Patienten hatten entweder 1 oder 3 mg Enobosarm oder Placebo erhalten. In beiden Verumarmen nahm die fettfreie Körpermasse der Patienten signifikant zu (DOI: 10.1016/S1470-2045 (13)70055-X).

 

»Einen ebenfalls aussichtsreichen Ansatz bietet das oral verfügbare Ghrelin-Analogon Anamorelin, das zurzeit noch getestet wird«, informierte Bertz. Anamorelin ahmt die Wirkung des vom Gastro­intestinaltrakt freigesetzten Hormons Ghrelin nach, das dem Gehirn einen leeren Magen signalisiert. Bertz verwies auf die Ergebnisse zweier randomisierter, kontrollierter Phase-III-Studien an insgesamt mehr als 800 Patienten mit nicht kleinzelligem Lungenkarzinom und Kachexie, die 2016 im Fachmagazin »The Lancet Oncology« publiziert wurden (DOI: 10.1016/S1470-2045(15)00558-6). Die mit Anamorelin behandelten Patienten profitierten nicht nur durch ein höheres Gewicht, sondern auch durch signifikant mehr fettfreie Körpermasse im Vergleich mit Patienten, die das Ghrelin-Analogon nicht erhalten hatten.

 

Interleukin-6 als Target

 

Als maßgebliche entzündungsfördernde Mediatoren der Tumorkachexie gelten die Zytokine Tumornekrosefaktor-α und Interleukin-6 (IL-6) sowie Myo­statin. Besonders IL-6 ist bei verschiedenen Tumorerkrankungen, wie dem Lungenkarzinom, deutlich erhöht. Seit 2009 ist der IL-6-Antikörper Tocilizu­mab für die Indikation rheumatoide Arthritis auf dem Markt. In Einzelfällen wurde Tocilizumab zur Behandlung der Kachexie eingesetzt und führte zu einer deutlichen Bessserung. Die Patienten nahmen unter dieser Therapie zu und überlebten signifikant länger als ohne den IL-6-Antikörper (»PLOS one« 2014, DOI: 10.1371/journal.pone.0102436)

 

IL-6 aktiviert die intrazelluläre Informationsübertragung über den JAK-STAT-Signalweg. Daher lag es nahe, therapeutisch auch an der Januskinase JAK anzusetzen. In einer Studie mit Pankreaskarzinompatienten überlebten Patienten, die Capecitabin plus den JAK-Inhibitor Ruxolitinib erhielten, signifikant länger als Studienteilnehmer, die mit Capecitabin plus Placebo therapiert worden waren. Am stärksten von der JAK-Inhibitor-Therapie profitierten die Patienten, die zu Studienbeginn einen CRP-Wert oberhalb von 13 mg/l aufwiesen (»Clinical Oncology« 2015, DOI: 10.1200/JCO.2015.61.4578).

 

»Interventionen müssen früh ansetzen und dabei alle Möglichkeiten von optimierter Ernährung über körper­liches Training bis hin zur medikamentösen Therapie ausschöpfen«, lautete das Fazit von Bertz. /

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